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„Ach, Ljonka“, fängt er plötzlich an. „Ob ich es dir sage? Ich hab' mir was ausgedacht.“

„Was denn?“

„Du darfst mich aber nicht auslachen.“

„Warum sollte ich?“ Ljonka ist empört. „Wir sind doch Blutsbrüder.“

„Stimmt. Beinahe richtige Brüder.“

„Na?“

„Was heißt 'na'?“

„Was hast du dir ausgedacht?“

„Weißt du, ich hab' einen Traum…“ Jankel blickt entrückt auf das Stückchen Himmel hinter dem Fensterkreuz. „Ich will Filmschauspieler werden, Mann.“

Ljonka fährt zusammen und hebt hastig den Kopf vom Kissen. „Du auch?“

„Wieso?“

„Das willst du auch werden?“ „Du etwa ebenfalls?“ staunt Jankel.

„Ja“, bekennt Ljonka verlegen. „Aber Regisseur, nicht Schauspieler.

Das hab' ich einmal in Menselinsk probiert, aber es war 'n Reinfall — ich hab' keine richtige Diktion.“

„Und ich? Hab' ich eine richtige?“ erkundigt sich Jankel, der von Wesen und Wirkung des Begriffes „Diktion“ nur eine reichlich dunkle Vorstellung hat.

„Du ja“, erklärt Ljonka. „Du sprichst alle Buchstaben richtig aus. Ich nicht.“ Trotz der Dunkelheit ist zu erkennen, daß er errötet. Jankel hat Mitleid mit ihm.

„Macht nichts“, sagt er, um den Blutsbruder zu trösten. Nach kurzer Pause fügt er großzügig hinzu: „Dafür kann ich nicht malen. Ich bin farbenblind.“

Das ist noch schlimmer als die Sache mit der Diktion. Ljonka ist erschüttert. Er überlegt.

„Bist du kurzsichtig?“ fragt er dann.

„Nein, ich kann nur nicht unterscheiden, was rot und was grün ist. Aber weißt du, ich freue mich wirklich, daß wir beide den gleichen Berufswunsch haben.“

„Natürlich!“ stimmt Ljonka zu. „Zu Zweit kommen wir schneller ans Ziel. Ich hab' nämlich schon lange den Entschluß gefaßt, gleich nach meiner Entlassung nach Odessa zum Filmstudio zu gehen. Sie sollen mich da wenigstens als Lehrling einstellen. Dann kann ich Regisseur lernen.“

„Nimmst du mich mit?“

„Wohin?“

„Nach Odessa.“

„Klar. Ich nehme dich nicht nur nach Odessa mit, ich geb' dir auch die Hauptrolle.“

„Was für Filme willst du denn machen?“

„Darüber zerbrechen wir uns noch den Kopf. Revolutionsfilme selbstverständlich.“

„Wie die 'Roten Teufel'?“ „Sicher! Sogar noch bessere.“ Jankel ist Feuer und Flamme. „Weißt du, das ist gar nicht schwierig. Mit dem Entlassungsschein der Schkid fahren wir sofort nach Süden. Großartiger Gedanke!.. Sonne… Palmen… Weintrauben… und das Schwarze Meer… Ein prima Leben werden wir führen, Ljonka, was?“

Jankel ist bisher noch nicht weiter aus Petrograd herausgekommen als bis Ligow und Petershof. Er macht sich deshalb recht rosige Vorstellungen von einer Reise in den Süden. Der lebenserfahrene Ljonka dämpft seinen Eifer.

„Und das Geld?“ fragt er mit ironischem Lächeln. „Was für Geld?“

„Ja, wovon sollen wir denn leben? Und auch die Reise kostet einen Haufen Geld. Als Schwarzfahrer wollen wir doch nicht reisen.“

„Ist das so schwierig?“

„Mir langt's.“ Ljonkas Gesicht verdüstert sich.

Tief beeindruckt von den gewichtigen Argumenten seines Blutsbruders, starrt Jankel nachdenklich in den blauen Nachthimmel Petrograds. „Ich hab's!“ ruft er plötzlich vergnügt. „Wir müssen das Geld zusammensparen.“

„Vielen Dank! Ich bin Ihnen außerordentlich verbunden. Eine sehr geistreiche Idee.“

„Natürlich, was denn sonst! Mit dem Sparen fangen wir gleich jetzt, in diesem Augenblick, an. Paß auf, dann haben wir bei unserer Entlassung eine anständige Summe zusammen.“

Jankel springt aus dem Bett, nimmt seine Hose vom Schemel und wühlt sachlich in den Taschen. Dann fördert er zwei Geldscheine zutage und zeigt sie dem Blutsbruder.

„Da. Vom Wort zur Tat. Dies ist mein erster Sparbeitrag. Zwei 'Eier'. Wenn du auch welche hast, dann zahl sie in die gemeinsame Kasse.“ Ljonka zahlt drei Millionen Rubel in die gemeinsame Kasse. „Der Grundstein ist gelegt“, erklärt Jankel feierlich und steckt die fünf Millionen Rubel in eine zerschrammte Streichholzschachtel. Um der noch größeren Feierlichkeit willen bestätigen die Blutsbrüder ihre Abmachung mit einem kräftigen Händedruck. Lange tuscheln sie noch in der Stille, lange bleiben sie noch wach, um alles zu besprechen, um Pläne zu schmieden und von der Zukunft zu träumen. Zuweilen wird ihre Unterhaltung von Hundegebell unterbrochen, vom Pfiff eines Milizionärs oder vom Grölen eines Trunkenboldes, der sich im Rausch hierher verirrt hat.

Immer häufiger bemerkten die Schkider, daß sich die Blutsbrüder Jankel und Ljonka absonderten und dann miteinander flüsterten. Sie hockten in einem verlassenen Winkel und führten endlose, leidenschaftliche Gespräche. Anfangs kümmerte sich niemand darum. Es waren schließlich Blutsbrüder — warum sollten sie nicht gemeinsame Interessen haben. Aber es wurde immer schlimmer mit ihnen — sie zogen sich vollständig vom Kollektiv zurück. Ja, es kam so weit, daß beide bei einer Sitzung des ZK fehlten.

Das ZK bestand aus fünf Personen, und es machte sich natürlich bemerkbar, wenn fast die Hälfte fehlte. Die Jungen waren empört und rügten die Blutsbrüder, stießen jedoch auf vollständige Gleichgültigkeit.

Jankel und Ljonka entfremdeten sich dem „Junkom“ immer mehr. Ihre „Idee“ hielt sie gänzlich gefangen.

„Es wird Zeit, unsere 'Junkom'-Zeitung herauszugeben“, mahnte Japs mehrmals den Redakteur Jankel. „Schon seit zwei Wochen ist sie nicht mehr erschienen. Auf der Versammlung kriegen wir eins auf den Deckel.“

Aber Jankel hörte nur mit halbem Ohr hin.

„Gut, ich mache das schon irgendwann“, antwortete er und guckte in die Gegend.

Die Blutsbrüder wurden immer zerstreuter und streitsüchtiger. Die Zirkel des „Junkom“ besuchten sie schon längst nicht mehr. In ihren Köpfen hatte nur ein Gedanke Platz: Wir müssen Geld für die Entlassung sammeln und dann nach Süden reisen, zum Filmstudio! Abends hockten sie in ihrem Winkel und träumten. Im „Junkom“ wuchs unterdessen die Unzufriedenheit — dumpf, aber drohend.

„Was heißt das? Soll das noch lange so weitergehen?“

„Sie sabotieren die Arbeit.“, Undisziplinierte Mitglieder! „Und sitzen außerdem noch im ZK!“ Die Zelle war in heller Aufregung.

Eines Tages wurde in einer allgemeinen Versammlung der Jungkommunarden über die Aufnahme neuer Mitglieder diskutiert. Unter den Neuhinzugekommenen gab es viele Unreife, über die man sich unbedingt erst eine Meinung bilden mußte, bevor man sie im „Junkom“ arbeiten ließ. Bei der Diskussion über die Aufnahmeanträge sprachen sich die meisten Jungkommunarden in diesem Sinne aus. Die andere Seite — sie bestand aus Jankel, Ljonka und Dse, der sich ihnen angeschlossen hatte — verfocht energisch den entgegengesetzten Standpunkt.

„Ihr habt unrecht, Genossen!“ rief Jankel hitzig. „Unsere Organisation ist doch an sich noch ganz unvollkommen. Wir selbst sind noch unreif.“

„Wie man's nimmt. Vielleicht meint Jankel damit sich selber“, spottete Japs giftig.

„Nein, ich meine nicht nur mich, sondern alle. Wir sind unreif, wenn auch entwickelter als die übrigen. Deshalb haben wir die Aufgabe, so viele neue Mitglieder wie nur möglich heranzuziehen, wenn sie auch noch wenig wissen. Hauptsache, sie wollen arbeiten. Hier bei uns, in unserer Organisation, bekommen sie dann den richtigen Schliff.“

„Und wer soll sie schleifen?“ piepste Falke ironisch dazwischen. Jankel fuhr herum.

„Natürlich nicht Falke mit seinen vorsintflutlichen Anschauungen“, parierte er. „Die Umwelt und das gemeinsame Streben nach einem Ziel werden die neuen Mitglieder entwickeln. Dafür haben wir ja schon ein Beispiel.“

„Zeig es!“ rief einer von den Sitzenden.

„Bitte!“ Jankel drehte sich zu Ljonka um. „Ljonka, berichte mal vom Nackten.“

Ljonka erhob sich und schnupfte auf.

„Das ist Tatsache“, bestätigte er. „Der Nackte hat sich gut entwickelt. Von Kutschers Abenteuern bis zum, Junkom' war ein weiter Weg. Und ihr wißt alle, daß er diesen Weg erfolgreich zurückgelegt hat. Guckt euch den Nackten an — da sitzt er. Kann man sich jetzt noch vorstellen, daß er einmal Kaffee geklaut hat? Nein, das kann man nicht. Er gehört jetzt zu unseren besten Mitgliedern. Was soll ich noch lange darüber reden.“ Der Anblick des verlegenen Nackten Herrn überzeugte im Moment alle, daß die Meinung der Minderheit richtig war. Doch Japs und Sascha Pylnikow, die anschließend sprachen, widerlegten Jankels und L jonkas Beweise gründlich.