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Jankels und Ljonkas Kinematograph war von merkwürdiger Konstruktion. Eine eigentliche Leinwand gab es nicht. Ein langer Papierstreifen mit einzelnen „Bildern“ — Zeichnungen, die hinten von einer elektrischen Lampe beleuchtet wurden — glitt am Projeklionsfenster vorbei. Man konnte die Bilder nur dann sehen, wenn man nicht weiter als drei Schritt entfernt war.

Aber die Schkider stellten keine großen Ansprüche, und außerdem sieht man einem geschenkten Gaul bekanntlich nicht ins Maul. Deshalb begrüßten sie den ersten Titel mit einträchtigem, wenn auch zurückhaltendem Applaus.

SCHKID. Die republik der strolche i_048.png

Ljonka wartete, bis alle den Titel gelesen hatten, und drehte den Streifen dann weiter. Das nächste Bild zeigte ein dickes Gesicht, unter dem folgende Verse prangten:

Dieses Antlitz, rund wie 'n Mond,
über dem ein Strohhut thront,
ist der Anton Nabelmann,
über den man lachen kann.

Auf dem folgenden Bild saß Nabelmann auf einer Gartenbank und las die Zeitung.

Abends m dem Garten saß er,
und die neuste Zeitung las er,
denn er brauchte Zeitvertreib
und auch Kühlung für den Leib.

Der in seine Lektüre vertiefte Nabelmann wurde von Räubern überfallen. Sie krochen aus dem Gebüsch, fesselten den Ärmsten kreuz und quer mit einem dicken Strick, schleppten ihn in ihre Höhle, warfen ihn in den Keller und gingen davon. Durch verschiedene Tricks, die häufig in Detektivfilmen praktiziert werden, befreite sich Nabelmann, und…

Wieder seht ihr Anton hier,
dick und stämmig wie ein Stier.
Kein Gramm Fett hinweggerafft
hat ihm die Gefangenschaft.
Ende

Die „Filmvorführung“ hatte nur drei Minuten gedauert, aber die Schkider waren hell begeistert. Sie gaben ihren Gefühlen durch rauschenden Beifall Ausdruck und wollten auseinandergehen. Aber da leuchtete die „Leinwand“ noch einmal auf und verkündete, jetzt werde ein Film aus dem Leben der Dostojewski-Schule gezeigt. Der „Film“ entpuppte sich als eine Bilderfolge von Szenen aus dem Schulleben, die Jankel sehr geschickt gezeichnet hatte — Situationen in der Klasse, im Eßraum, im Schlafraum, beim Holzsägen — und einzelne Typen von Propheten und Schkidern. Die Jungen fanden die Vorstellung großartig.

„Das kapier ich“, meinte Kaufmann. „Das ist doch was anderes als der 'Junkom'.“

Am übernächsten Tage zeigte das Schkidkino einen neuen Film: „Nabelmann kommt ins Kloster“, in dem in witziger Form Nabelmanns Abenteuer in der Petrograder Verbrecherwelt geschildert wurden.

Das Programm wechselte alle zwei Tage. Einmal hielten sich Regisseur und Szenarienschreiber gerade im „Kino“ auf, um sich den Film „Anton Nabelmann in der Prärie“, der gerade fertig geworden war, anzusehen.

„Weißt du“, sagte Jankel, „wir könnten doch aus unserem Kino Nutzen ziehen.“

„Wie meinst du das?“ Ljonka machte ein erstauntes Gesicht. „Sollen wir uns dauernd mit dem popligen Schkidkino rumplagen? Unser Ideal ist doch das Staatskino.“

„Na und?“

„Wir könnten ebenfalls Eintrittsgeld nehmen.“ Ljonka überlegte.

„Quatsch. Die werden protestieren.“

„Nicht die Bohne. Wir nehmen zwei Goldkopeken. Das ist billig.“

„Nabelmann in der Prärie“ wurde bereits mit gewinnsüchtiger Berechnung aufgeführt. Der Eintrittspreis wirkte sich merklich auf die Besucherzahl aus. Am ersten Tage kamen nur zehn Personen, am zweiten noch weniger — sechs oder sieben.

„Ja, das war tatsächlich Quatsch“, gestand Jankel. „Weißt du, wir müssen was Besonderes ausknobeln.“

Und die Blutsbrüder knobelten.

Für gewöhnlich wurde ein neuer Film durch Anzeigen und Plakate in den Klassen bekanntgegeben. Diesmal verteilten die Kinounternehmer kleine Handzettel:

SCHKID. Die republik der strolche i_049.png

Zum erstenmal seit langer Zeit war der Weiße Saal überfüllt. Mit grölendem Gelächter genossen die Schkider den reichlich unanständigen Streifen.

Doch schon am nächsten Tage stand in der Zeitung „Junkom“ folgender Artikel:

„Zwei Genossen, die früher Mitglieder des 'Junkom', sogar seines Zentralkomitees, waren und dann wegen Disziplinlosigkeit ausgeschlossen wurden, beschäftigen sich augenblicklich mit Dingen, die sogar ihrer unwürdig sind. Sie haben ein Spielzeugkino angefertigt, in dem sie abscheuliche Filme zeigen — zudem gegen Eintrittsgeld. Wir halten es nicht für notwendig, uns lange über den zersetzenden Einfluß dieses Schkidkinos auf die Schüler der unteren Klassen zu verbreiten. Wir erklären ganz einfach: Schulleitung, schließe den Laden!“

Vikniksor las den Artikel, rief die „Kinounternehmer“ zu sich und erklärte: „Wenn das noch einmal vorkommt, werdet ihr beide ins Kloster versetzt. Vorerst kommt ihr in die fünfte Gruppe. Und nun — linksum kehrt!“

PAPIERSCHIEBUNG

Sara Solomonowna * Papier und „Eier“ * Altpapier für den Reisefonds * Gesetzbuch des Russischen Imperiums * Schiebung * Sklavenkarawane * Eingehandelle Tscherwonzen.

Sara Solomonownas Stand war eigentlich ein regelrechter Konditorladen. Den ganzen Tag stand sie hinter dem Ladentisch, von Büchsen mit Bonbons, Kandiszucker, Pfefferkuchen und Schokolade umgeben.

„Madame!“ pflegte Sara Solomonowna zu rufen. „Madamchen, haben Sie auch nicht vergessen, für Ihren reizenden Knaben Bonbons zu kaufen?“

Sara Solomonowna machte gute Geschäfte. Tag für Tag fuhr ihr Bruder Jascha auf einem kleinen Karren die gefüllten Bonbonbüchsen an, und abends holte er sie fast leer wieder ab. Sara Solomonowna hatte deshalb immer ein zufriedenes Gesicht. Winters und sommers stand sie von früh bis spät hinter dem Ladentisch und rief: „Bürger, warum wollen Sie Ihrer sympathischen Gattin keine Tafel Schokolade mitbringen?“

Ljonka und Jankel machten Sara Solomonownas Bekanntschaft, als sie einmal bei ihr ein Viertelpfund Streuzucker erstanden. „Bringen Sie eigentlich Ihren Stand über Nacht nach Hause?“ fragte Jankel plötzlich.

Sara Solomonowna fuhr unwillkürlich zusammen. Sie fand die Frage seltsam, ja unheimlich. Das sind wahrscheinlich Einbrecher, dachte sie. Ob sie meinen Stand aufs Korn genommen haben? „Nein“, sagte sie laut. „Ein sehr starker und ehrlicher Mann bewahrt mir den Stand auf. Er fährt ihn auf seinem eigenen Karren weg.“ „Und wieviel bezahlen Sie ihm dafür?“ forschte Ljonka. Sara Solomonowna seufzte. „Ach, fragen Sie nicht! Fünfzig Millionen muß ich ihm jeden Monat zahlen.“

„Allerhand!“ entfuhr es Jankel. „So ein Gauner!“ knurrte Ljonka. „Warum wollt ihr das wissen?“ fragte Sara.

„Wir würden Ihnen den Stand für zwanzig Millionen wegbringen“, erklärte Ljonka.

Sara Solomonowna warf den Jungen einen ungläubigen Blick zu, willigte jedoch sofort ein.

„Gut! Es ist zwar sehr verdächtig, aber ihr macht es billiger, und außerdem ist der Karren in meiner eigenen Wohnung sicherer. Der Rothaarige hat mir neulich das Verdeck zerbrochen.“ Seitdem gingen Ljonka und Jankel täglich um sieben Uhr abends auf den Markt und brachten mit einer einzigen Fuhre sämtliche Teile des verhältnismäßig leichten Verkaufsstandes von Sara Solomonowna weg. Als sie später ihr Vertrauen gewonnen hatten, halfen sie außerdem ihrem Bruder Jascha, die Ware zu holen.