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Die Jungen können in dieser Stille ungestört ihrem Vorhaben nachgehen. Einen Sack haben sie schon mit Tannengrün vollgestopft. „Wozu brauchen die Toten noch so was?“ philosophiert Dse. „Sie haben nichts mehr davon, aber wir müssen unbedingt den Saal schmücken.“

Allmählich sind die Säcke proppenvoll. „So, das genügt wohl.“ Schwer beladen schleichen sie davon, blicken sich noch einmal nach den schiefen Kreuzen um und gehen dann zur Straßenbahn. Es ist schon Abend, als sie in der Schkid anlangen. Beim Eintritt in den Saal bleiben sie verdutzt stehen. Ein merkwürdiges Schauspiel bietet sich ihnen.

Am Klavier sitzt ein Erzieher und hämmert einen Krakowiak. Die Schkider haben sich paarweise aufgestellt, treten von einem Fuß auf den anderen und sehen Vikniksor an, der mitten im Saal einen Krakowiak vorfuhrt.

„Zuerst links, dann rechts. So und so.“ Vikniksor rutscht beineschlenkernd über das Parkett. „So und so. Trulala. Na, macht's mal nach.“ Ungeschickt trampeln die Schkider mit den Füßen, aber allmählich werden sie vom Rhythmus gepackt. „Richtig! Hopp und hopp!“ ermuntert Vikniksor.

Die Jungen kommen in Fahrt. Würfel zwingt seinen ungehorsamen Beinen kunstvolle Schnörkel ab und singt dabei:

Russe, Deutscher und Polack
tanzen den Krakowiak!

Mitten im Eifer des Gefechts ist die Saaltür aufgeflogen. „Wirbringen das Grünzeug!“ ruft Dse. „Oho!“

„Hurra! Her damit!“

Die Paare lösen sich auf. Alle stürzen zu den Ankömmlingen. „Warum hopst Vikniksor hier herum?“ fragt Dse, während er die Säcke aufbindet.

„Dussel! Der hopst doch nicht. Er bringt uns für morgen abend das Tanzen bei“, erklärt Mamachen gekränkt.

Unter Beifallsgebrüll werden die Tannenzweige zutage gefördert. Sofort beginnen die Jungen, den Saal zu schmücken. Noch am späten Abend klettern sie auf den Leitern umher, um lange Tannengirlanden an den Wänden zu befestigen und die Bilder der Schriftsteller und Führer der Revolutipn mit grünen, stachligen Zweigen zu schmücken. „So, das war's wohl.“

„Ja, das ist jetzt alles.“

Der Weiße Saal — sonst ein nüchterner Anstaltsraum — hat sich in ein großes, gemütliches, blitzsauberes Zimmer verwandelt. „Schlafenszeit!“ mahnt der Erzieher, und kurz darauf hat sich der Saal geleert.

Die Morgengeräusche eines Festtages drangen zum Fenster herein — Orchesterklänge, Rufe, Stimmengewirr weckten die Schkider und steckten sie mit der Feiertagsstimmung an. Beim Frühstück hielt Vikniksor eine kurze Rede über die Oktoberrevolution, dann sprach Japs im Namen des „Junkom“, und hinterher erhoben sich alle, um gemeinsam die „Internationale“ und anschließend die Nationalhymne der Schkid zu singen.

Der Tag begann mit wildem Durcheinander. Im Saal fand die letzte Generalprobe statt, in der Küche wurde das Essen für die Gäste vorbereitet, in der Kanzlei schrieb man die Einladungskarten und händigte sie sofort den Zöglingen aus, die damit zu ihren Eltern, Verwandten und Bekannten liefen. In der Schkid stand alles köpf.

Die Essenszeit kam, aber niemand hatte Hunger. Nur widerwillig schlangen die Jungen ein paar Bissen hinein. In ihrer Aufregung waren ihnen die Gespräche viel wichtiger. Die Großen ließen die Hälfte stehen und gingen zur Probe. Die Kleinen sausten in der Schule umher, schleppten Stühle und Bänke in den Saal und stellten sie reihenweise auf. Alle strahlten, und Vikniksor sah mit großer Freude, daß sich in ihren Gesichtern der Festtag spiegelte. Um vier Uhr wurde die Probe beendet.

„Ziemlich anständig“, lautete Japs' Abschlußkritik. Dann kommandierte er: „Eine Stunde Ruhe. Danach schminken.“ Auch die Dekorationen waren fertig. Die amerikanischen Decken erwiesen sich als sehr brauchbar. Man hatte sie mit bunten Kreidestrichen bemalt, und auf diese Weise war die vollständige Illusion eines Zimmers entstanden. Auch ein Telefon hatten die Jungen aufgetrieben. Nun machten sie die Bühne endgültig fertig — sie stellten Tisch und Stühle auf und hängten eine Landkarte an die Wand. Um fünf Uhr trafen die ersten Gäste ein. Die speziell zu diesem Zweck abkommandierten Schkider führten sie in den Warteraum, wo sie sich einstweilen mit den zu ihnen gehörenden Schülern niederließen. Inzwischen wurden auf der Bühne die letzten Vorbereitungen getroffen. Das Essen — Suppe und einige Brötchen von den für die Gäste bestimmten Portionen — stand auf dem Tisch. Es wurde im ersten Akt gebraucht. Der Kulak muß doch als Hausherr die Teilnehmer an der weißgardistischen Verschwörung bewirten.

Als Vikniksor hinter die Bühne kam, schminkten sich die Jungen noch.

„Es ist Zeit anzufangen“, sagte er besorgt.

„Wir sind fertig“, war die Antwort. Fünf Minuten später klingelte es — die Aufforderung, im Saal Platz zu nehmen. Die Jungen drängten sich hinter dem Vorhang und spähten durch eine Ritze. Langsam wurde der Saal voll. Viele Leute waren gekommen. Beim Anblick der Gäste knirschte Japs aufgeregt mit den Zähnen.

„Ja, das gibt 'nen heißen Kampf!“ flüsterte er. „Wir dürfen uns nicht blamieren, Leute!“

„Wir blamieren uns nicht, Japs“, grinste Kaufmann. Er kaute. „Keine Angst!“

Es klingelte zum zweitenmal. Im Saal verstummte das aufgeregte Stimmengewirr. Beim dritten Klingelzeichen ruckte der Vorhang krampfhaft, ohne sich zu öffnen. Die Zuschauer wurden aufmerksam und starrten auf die Bühne. Interessiert beobachteten sie den eigensinnigen Vorhang, der wallte, zuckte und hüpfte, aber fest geschlossen blieb.

„Ach, der geht ja nicht auf!“ sagte jemand im Saal teilnahmsvoll. Plötzlich kam ein erstickter Ruf von der Bühne: „Zieh doch kräftig, du Strolch! Feste! Schlappschwanz!“

Etwas krachte, der Vorhang krümmte sich, ging auf und gab die Bühne frei. Den Blicken der Zuschauer bot sich ein Zimmer mit einem Tisch in der Mitte, um den die lärmenden Verschwörer saßen. Es war eine reichlich merkwürdige Gesellschaft. Kaufmann trug eine Art altmodischen Gehrock und weite, blaue Pumphosen. Neben ihm thronte ein Wesen, das teils Bauernweib, teils Dame zu sein schien. Jedenfalls konnte man die Klassenzugehörigkeit dieser Person nur mühsam bestimmen, denn sie war gleichsam aus zwei verschiedenen Hälften zusammengesetzt: Der obere Teil verkörperte entsprechend den Anforderungen der Rolle eine Intellektuelle mit Federhut, indes der untere Teil mit dem grell geblümten Sonntagsrock eher einer Bäuerin aus Rjasan zu gehören schien. Doch die Zuschauer gewöhnten sich schnell an die Spaltung dieser Persönlichkeit, weil auch die übrigen Verschwörer nicht minder phantastisch kostümiert waren. So trug der Haupträdelsführer der Weißen, ein französischer Diplomat, als Zeichen seiner Zugehörigkeit zum Bürgertum nur einen ziemlich zerknautschten Zylinder, mit dem er seine Anstaltshose aus Tuch und sein Leinenhemd wettmachen mußte.

Die Handlung verlief programmgemäß, und Japs' Nerven beruhigten sich. Aber da gab es auf der Bühne plötzlich eine Stockung. „He, Matrjona! Bring das Essen!“ donnerte Kaufmann in seinem tiefsten Baß.

Grabesschweigen war die Antwort. „Matrjona, das Essen!“ Wieder keine Antwort. Verwirrt rutschten die Verschwörer auf den Stühlen herum. Ihre Aufregung übertrug sich auf den Zuschauerraum. Interessiert wartete das Publikum auf die verstockte Matrjona, die den Ruf ihres Herrn so eigensinnig mißachtete. Alles hielt den Atem an.

Kaufmann wurde blaß und rot.

„Matrjona!“ brüllte er zum drittenmal, nun schon extemporierend. „Bringst du Dämlack uns nun was zu fressen oder nicht?“ Plötzlich raschelte es hinter den Kulissen, und dann zischelte eine leise, aber durchaus vernehmbare Stimme: „Was soll ich dir denn bringen, du Holzkopf? Vor der Aufführung hast du alles verputzt, und jetzt willst du es haben!“

Im Saal wurde gekichert. Japs erblaßte und raste auf die andere Seite der Bühne. Dort stand Mamachen, die fassungslose Köchin. „Bring doch rein, Halunke! Leere Teller! Schnell!“ fuhr Japs ihn an.