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Der „Grüne Ring“ gab die umfangreiche literarischkünstlerische Monatszeitschrift „Die Argonauten“ heraus. Und wenig später erschien das erste Heft der Bibliothek „Grüner Ring“ mit einem Poem von Ljonka Pantelejew über die Blockade und den Hunger.

London-Chikago
ohne Zwischenstation!
Ein gellender Schrei,
sind die Reklamen…

So begann dieses Poem, das Ljonka „Wir gegen sie“ genannt hatte. Dem ersten Heft folgten noch andere.

Die Jungkommunarden standen jetzt fest auf ihren Beinen. Im Zimmer des „Junkom“ war dauernd Hochbetrieb. In jeder der vier Ecken arbeitete ein Zirkel, und in der Mitte saßen die Leseratten am Tisch, die Nase ins Buch gesteckt. Und genau wie in jener dunklen Nacht, als die illegale kommunistische Organisation geboren wurde, konnte man hier Redefetzen hören — aber nicht mehr leise und unterdrückt, sondern laut und frei.

„Der zweite Kongreß der Komintern… im Jahre 1920… siebenund-dreißig Länder…

Und mit angehaltenem Atem lauschten die Zuhörer dem Lektor. 'Fein', sagte Jankel in solchen Augenblicken gerührt zu Ljonka, mit dem er vor kurzem 'Blutsbruderschaft im Bruch' geschlossen hatte. 'Fein', bestätigte Ljonka und ließ den Blick durch das blitzsaubere lustige Zimmer schweifen. 'Die Komintern… die Bedingungen für den Parteieintritt… Es darf keine Spaltung geben… Propaganda…'“

Neue Worte klangen auf und prägten sich den Jungkommunarden fest ein. In der Ecke stand die rote Fahne der Schule, und fröhlich leuchtete die gelbe Sonnenblume mit den beiden Anfangsbuchstaben des Schulnamens — das Wappen der Republik Schkid.

SODOM UND GOMORRHA

Anarchie Ostindischer Kaffee * Siwer Dolgoruki * Der erste Raubzug * Die Zecherei Barfuß im Ford * Zwei Jungkommunarden * Sodom und Gomorrha.

Vikniksor fuhr zu einem mehrwöchigen Kongreß für Sozialerziehung nach Moskau. Elanljum übernahm inzwischen die Regierung der Republik. Sie war ein willensstarker Mensch, aber eben eine Frau. Die Schkider begriffen die Situation und zogen ihre Konsequenzen. Sie schlugen über die Stränge. Eine Frau, meinten sie, könnte niemals den gleichen Respekt beanspruchen wie ein Mann. Sie würde auch nicht so durchgreifen wie Vikniksor. Das genügte, um außer Rand und Band zu geraten.

Anfangs gab es noch keinen richtigen Skandal. Nur die Disziplin lokkerte sich. Die Jungen gingen später zu Bett, kamen nicht rechtzeitig zum Essen und zum Unterricht und warfen den Erziehern häufiger als sonst Grobheiten an den Kopf. Doch bald erkannten einige, daß man aus dieser Situation einen Vorteil schlagen könne. Ihr Anstifter war Siwer Dolgoruki, der erst seit kurzer Zeit in der Schkid lebte. Nach Schkider Begriffen war er vornehmer Abstammung, nämlich der Sohn eines Künstlers. Aber sein ungehobeltes Benehmen hatte ihm in der Schkid den Spitznamen „Kutscher“ eingetragen. Kutscher stammte aus einer Intellektuellenfamilie — Eltern und Schwester waren, wie gesagt, Künstler. Da sie an ein ungebundenes Boheme-Dasein gewöhnt waren, hatten sie ihn schon als kleines Kind in ein Heim für Künstlerkinder gegeben. Dort war er bis zum Alter von neun Jahren geblieben. Schon damals kam seine Veranlagung zum Vorschein — er benahm sich flegelhaft und stahl. Daraufhin wurde er nach Zarskoje Selo versetzt, in ein Heim, das schon ein wenig primitiver war. Hier bestahl er hemmungslos, wen er konnte — die Vorgesetzten, die Angestellten und sogar seine Kameraden. Er besuchte das Gymnasium von Zarskoje Selo, war aber zu faul zum Lernen, fiel nur durch seine diebischen Talente auf und wurde schon aus der ersten Klasse hinausgejagt. Bald mußte er auch das Heim verlassen und wurde in eine Anstalt für Schwererziehbare gesteckt.

Das geschah bereits nach der Revolution. Zu dieser Zeit hatte Siwer Dolgoruki schon Vater, Mutter und Schwester für immer verloren. Der Vater war gestorben, Mutter und Schwester waren mit unbekanntem Ziel verreist und hatten ihn dabei in der Aufregung oder vielleicht auch absichtlich vergessen. Er wanderte von einem Heim für Schwererziehbare ins andere, flog aus jedem wegen Diebstahls wieder hinaus, schien dabei manchmal zur Besinnung zu kommen, wurde jedoch bald wieder rückfällig und mußte die Anstalt verlassen. Nach einem Aufenthalt im „Kloster“ kam er schließlich in die Schkid. Er galt als „hoffnungsloser Fall“, aber Vikniksor nahm ihn dennoch auf, weil er der Meinung war, man könne einen fünfzehnjährigen Burschen nicht als hoffnungslos bezeichnen. Übrigens wurde die Sache mit Dolgorukis Alter nie ganz geklärt. Er sagte zwar, er sei erst fünfzehn, aber er sah wie ein Achtzehnjähriger aus, und da seine Geburtspapiere verlorengegangen waren, konnte man seine Angaben nicht nachprüfen. Wahrscheinlich log er ein paar Jahre ab, wohl um vor den Gerichten möglichst lange als Minderjähriger zu gelten. Auf jeden Fall hatte er einen miserablen Ruf und begann gleich nach seinem Eintreffen in der Schkid zu randalieren und zu stehlen. Und als nun die Zeit der „Anarchie“ anbrach, verlor er die letzten Hemmungen. - Kutscher hatte mit Zigeuner „Blutsbrüderschaft im Bruch“ geschlossen. Zigeuner war für sein Alter recht gut entwickelt. Er freundete sich gern mit Jüngeren — besonders mit verrufenen Radaubrüdern — an, wohl weil er glaubte, er könne sie dadurch vor dem endgültigen Abgleiten bewahren, obgleich er keine moralische Standfestigkeit besaß. Der Verschlagenheit und Körperkraft Kutschers war er erst recht nicht gewachsen. So geriet er unter Kutschers Einfluß.

Nach dem Unterricht kam Kutscher einmal in die vierte Abteilung. „Komm mit“, sagte er zu Zigeimer. „Ich muß mit dir reden.“ Zigeuner stand auf und ging mit seinem Blutsbruder in den oberen Saal. Dort setzten sie sich auf die Fensterbank. „Was ist?“ fragte Zigeuner.

Kutscher sah sich um, schnalzte mit der Zunge und tuschelte geheimnisvoll: „Ich hab' 'n Ding vor… Kann man was dran verdienen.“

„Was denn?“

Kutscher sah sich noch einmal vorsichtig um.

„Kaffee“, flüsterte er. „Der Nackte Herr hat's mir gesteckt. Auf dem Hof steht ein Sack Konsumkaffee. Der Nackte und Bock haben ein Loch reingebohrt, zwei Pfund mitgehen lassen und sie an die estnische Händlerin verscheuert. Für zwanzig 'Eier'. Weißt du davon?“

„Ja… na und?“ Kutscher beugte sich vor.

„Der Kaffee ist verdammt viel wert“, flüsterte er, dicht an Zigeuners Ohr. „Na und?“ wiederholte Zigeuner.

„Der Sack enthält Kaffee für mindestens 'ne Milliarde.“ Zigeuner fuhr erblassend zusammen.

„Kapiert“, stammelte er. „Aber das will ich nicht, Kutscher, Ehrenwort, das mach' ich nicht mehr mit.“

„Idiot. Hat das Glück direkt vor der Fresse und will nicht.“

„Wir gehn doch dabei hoch…“

„Den Deibel tun wir. Wir drehn das Ding so, daß kein Schwein dahinterkommt. Glaub' mir doch,“ Zigeuner lehnte an der Fensterbank, biß sich auf die Lippen und starrte zu Boden.

„Wann?“ fragte er endlich.

„In der Nacht. Wir müssen mit aller Vorsicht rangehn.“ Nun, da Zigeuner einmal eingewilligt hatte, mitzumachen, war er auch Feuer und Flamme.

„Wer macht noch mit?“ stieß er hervor. „Zu zweit ist es zu schwierig, wir brauchen 'ne richtige Bande. Der Nackte und Ochse wissen schon davon. Die sollte man mit reinnehmen.“ „Gut.“

Die Blutsbrüder gingen zum Nackten Herrn und zu Ochse, einem Jungen aus der dritten Klasse. Ohne Umschweife setzten sie ihnen ihren Plan auseinander. Die beiden waren bereit, wenn sich der Nackte Herr auch noch ein wenig sträubte, genau wie es Zigeuner vorher getan hatte, aber aus Willenlosigkeit gab er ebenso wie Zigeuner schon nach wenigen Augenblicken seine Zustimmung.

Sofort wurden die Rollen verteilt. Zigeuner und Kutscher „drehten das Ding“, die anderen beiden sollten Schmiere stehen. In einem halbzerstörten Schuppen im Hinterhof wurde der Plan gründlich und in allen Einzelheiten ausgearbeitet.