'Gut', sagte Zigeuner. 'Wenn ihr nicht wollt, dann laßt es bleiben.
Ich komme auch ohne euch aus.'
Er verließ die Redaktion des 'Vorwärts', und kurz darauf erschien in der 'Mücke' die Ankündigung:
'Zum Kopfzerbrechen' erschien am nächsten Tage. Dann verließen Mamachen und Brotkanten ebenso überraschend das Redaktionskollegium von Kaufmanns 'Maschinengewehr', um eigene Zeitschriften herauszugeben. Mamachens Blatt hatte den klugen Titel 'Der Gedanke' und trug als Motto einen Aphorismus, den Zigeuner einmal in einer Russischstunde von sich gegeben hatte. Als er gefragt wurde, was ein Gedanke sei, hatte er mit frechem Lächeln geantwortet: 'Der Gedanke ist der intellektuelle Exzeß eines bestimmten Individuums.' Seitdem verfolgte ihn dieser unsinnige Ausspruch, wo er ging und stand, bis er schließlich als Motto über Mamachens hochkünstlerischem Presseorgan prangte.
Brotkanten verachtete Erörterungen über hohe Materien. Er neigte eher zur Poesie und nannte seine Zeitung deshalb lyrisch: 'Morgenröte'. Trotz seiner poetischen Talente war Brotkanten jedoch unbeleckt von orthographischem Wissen und machte schon in der ersten Nummer skandalöse Schnitzer. Anläßlich einer Theateraufführung, die vor drei Monaten stattgefunden hatte, prangte auf der ersten Seite von Brotkantens Blatt eine Illustration zu Puschkins 'Boris Godunow'.
Sie stellte Japs mit einem langen Eisenstab in der Hand als Godunow dar.
Doch nicht die Illustration veranlaßte die gesamte Schule zu wieherndem Gelächter, sondern die Erklärung, die darunter stand: 'Ülistratjon zur Troge die 'Barris Godunw'.'
Brotkanten hatte es also geschafft, in fünf Wörtern zehn Fehler zu machen. Das mußte er schwer büßen.
Die poetischen Ergüsse der 'Morgenröte' wurden nicht etwa gelesen, weil sich die Schkider für Lyrik interessierten, sondern wegen ihrer humoristischen Form. Selbst Jankel meinte beleidigt: 'Brotkanten ist ein Halunke — ein schmutziger Konkurrent!' Brotkantens Lyrik rief ein so einträchtiges Gelächter hervor, daß die geistreichsten Glossen der 'Mücke' vor Neid erblassen konnten. Aber Brotkanten konnte einfach nicht begreifen, worüber die Schkider lachten. Er war tief beleidigt. So was aber auch! Nächtelang hatte er über seiner Zeitung gesessen, sein ganzes Herz hatte er in die Verse gelegt, und sie waren seiner Meinung nach ausgezeichnet gelungen. Er war Lyriker von Natur, faßte jedoch den Begriff Lyrik auf seine eigene Weise auf. 'Lyrik ist', pflegte er zu sagen, 'wenn man von sich aus und aus Langeweile schreibt.' Er schrieb seine langweiligen Gedichte nur dann, wenn er bestraft worden war. So lautete eines:
Als Brotkanten diese Schöpfung mit vielen Rechtschreibfehlern in seiner 'Morgenröte' veröffentlichte, wälzte sich die ganze Schule vor Lachen, und die 'Mücke' machte sich in der neuen Rubrik 'Aus Schkider Zeitungen' erbarmungslos über Brotkantens Lyrik lustig: 'Anscheinend ist der Poet Brotkanterich ein Mann von überaus feiner Beobachtungsgabe, denn er erwähnt die bemerkenswerte Erscheinung, daß,Rauch aus dem Schornstein raussteigt'. Wir befürchten nur, daß der Rauch eines Tages aus einer anderen Stelle raussteigt, etwa aus der 'Morgenröte' oder aus Brotkantens Kopf, der so leer zu sein scheint wie seine Fenster. Außerdem will Brotkanten 'in die Ferne rasen'. Wir würden ihm seinen Wunsch mit Vergnügen erfüllen, damit er seine Verse dort weiterschreibt.'
Lyrik ist, wenn man aus Langeweile schreibt.
Brotkanten ließ sich jedoch nicht beirren. Er setzte seine lyrischen Bemühungen fort und gab die 'Morgenröte' regelmäßig heraus. Allein in der vierten Abteilung erschienen nun schon sechs Zeitungen. Dieser Überfluß an Druckerzeugnissen erregte die Aufmerksamkeit der ganzen Schule und erhöhte den Ruhm der Großen. In erster Linie interessierte sich natürlich Vikniksor für die neue Zeitungsepidemie. Eines Tages kam er in die Klasse und hielt eine geistsprühende Rede über die Schuljournalistik. Sie sei eine ganz ausgezeichnete Sache, denn Zeitungen entwickeln die Talente, erweitern den Gesichtskreis, verbessern das Benehmen, bilden einen guten Stil heraus, beflügeln die Phantasie usw. usw. Zum Schluß erklärte er, er würde in nächster Zeit ein Schulmuseum eröffnen, in dem die Zeitungen als wichtigste Ausstellungsstücke enthalten sein würden. Außerdem versprach er, die Journalisten mit Schreibutensilien zu unterstützen, und händigte Jankel zur Bestätigung dieser Worte noch am gleichen Tage Papier und Farben aus. Vikniksors Großzügigkeit verblüffte und ermutigte die Jungen, und schon am folgenden Tage kamen drei neue Zeitungen heraus: der 'Sonnenaufgang', der 'Technische Bote' und der 'Clown'. Spatzens 'Sonnenaufgang' unterschied sich von Brotkantens 'Morgenröte' eigentlich nur dadurch, daß er weniger Fehler enthielt. Der 'Clown' war nur für die Lehrer interessant, weil er von Pierre, dem faulsten und unwissendsten Schüler der vierten Abteilung, herausgegeben wurde. Pierre — sein eigentlicher Name lautete Sokolow — befand sich dauernd im Zustand der Geistesabwesenheit. Nur dreimal am Tage — zu den Mahlzeiten — wurde er lebendig. Als die Lehrer erfuhren, daß er eine Zeitung herausgäbe, kamen sie, um sich von dieser Tatsache zu überzeugen, betrachteten verwundert den Jungen, der sich schnaufend über ein Blatt Papier beugte, und stellten ihm, nicht ohne Zaghaftigkeit, einige prüfende Fragen. 'Sokolow! Was machst du da?' Pierre blies würdevoll die Backen auf. 'Eine Zeitung', antwortete er, ohne den Kopf zu heben. 'Was für eine Zeitung?'
'Ich gebe sie raus.'
'Wie soll sie denn heißen?'
'Clown!'
'Warum?'
Aber Pierre war von seinen Auskünften schon zu erschöpft, um auf diese und die folgenden Fragen noch antworten zu können. Die dritte Zeitung, der 'Technische Bote', verblüffte allgemein. Alle möglichen Gerüchte gingen durch die Schkid. 'Was ist das für ein 'Technischer Bote'?'
'Wer braucht so was?'
'Wir beschäftigen uns doch gar nicht mit Technik.'
'Was sollen wir damit?'
Kaum einer konnte das verstehen, und das erstaunlichste war, daß Ljonka Pantelejew, der doch keinerlei Beziehung zur Technik besaß, den 'Technischen Boten' herausgab. Man hielt das für einen Scherz, für eine Finte, und man vermutete hinter dem merkwürdigen Titel einen neuen Konkurrenten der 'Mücke'. Die Schkider waren durchaus bereit, über die neuen Versschöpfungen des namhaften Satirikers zu lachen. Außerdem erwarteten sie neue Knüttelverse. Aber das Komische war, daß sich die Zeitung von Anfang bis Ende tatsächlich mit technischen Dingen beschäftigte. Schnell wurde sie bei den Lesern populär, obgleich sie weder Knüttelverse noch Gedichte, Erzählungen oder gelehrte Artikel über die Gerichtsbarkeit im alten Rußland enthielt. Der Redakteur des 'Technischen Boten' war nämlich kein schlechter Journalist. Er hatte begriffen, daß der Zeitungsmarkt in der Schkid mit literarisch-künstlerischen. Erzeugnissen gesättigt war, daß man mit Belletristik keinen Leser mehr hinter dem Ofen hervorlocken konnte, und sich deshalb entschlossen, einen neuen Zeitungstyp ausfindig zu machen. Seine eigenen technischen Kenntnisse beschränkten sich zwar auf die Fähigkeit, in anderer Leute Treppenhäusern Glühbirnen herauszudrehen, aber dafür verstand er es, die Jungen, die sich für technische und wissenschaftliche Fragen interessierten, die in Physik gute Zeugnisse bekamen, zur Mitarbeit heranzuziehen. Die erste Nummer des 'Boten' enthielt die Artikel 'Wie man eine elektrische Leitung legt', 'Die Technik des Großen Stummen' und 'Radio der Zukunft'.