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„Ach!“ seufzt er niedergeschlagen. „Ein paar Zeilen in der kleinsten Schriftgröße müßte ich noch haben, dann war alles voll.“

Da findet er Material in der „Roten“. Kurz darauf schreibt er bereits:

„Gesucht wird eine Maschinenschreiberin für die Verwaltung der ÄRA.“

Plötzlich stürzt der kleine Kusja aus der ersten Abteilung in die Klasse und rennt stracks auf Jankel zu.

„Nun?“ Fragend blickt Jankel von seiner Zeichnung auf. „Einverstanden!“ sagt Kusja aufgeregt.

„Gut“, erwidert Jankel kurz. Beide laufen in die erste Abteilung. Da werden sie schon von mehreren Neugierigen erwartet.

„Es bleibt also bei unserer Verabredung“, erklärt Jankel. „Ich schreibe euch jetzt ein Poem von sechzig Zeilen, und dafür gebt ihr mir ein Taschenmesser. Klar?“

„Klar!“ stimmen die Kleinen zu.

Jankel setzt sich hin und beginnt auf der Stelle, ein Poem für den „Fliegenpilz“ zu schreiben:

Ich fange jetzt zu schreiben an,
ist auch mein Kopf so leer wie'n Faß,
so daß mir gar nichts einfall'n kann.
Doch trotzdem schreib' ich euch nun was…

Die Feder fliegt über das Papier, und die Strophen reihen sich aneinander.

Die Jungen aus der ersten Klasse sind tief befriedigt, so angesehene Mitarbeiter zu haben. Das Poem kostet allerdings ein Taschenmesser, das als Honorar in Jankels Tasche wandert, aber der angesehene Name bedeutet schließlich etwas für eine Zeitung!

Nach einer halben Stunde hat Jankel den Auftrag erledigt. Das Poem von sechzig Zeilen wird dem Redakteur eingehändigt, und der berühmte Literat rast davon, um seine Zeichnung zu vollenden. Still ist es in der Schule, niemand rennt im Saal umher, niemand schaukelt an der Tür, rutscht das Treppengeländer hinunter oder prügelt sich. Alle sind in die Arbeit vertieft.

Drei Monate lang ist die Schule einzig und allein von dem Streben besessen, immer neue und neue Zeitungen herauszugeben. Drei Monate lang werden saubere Bogen Tag für Tag mit Druckbuchstaben, handschriftlichen Notizen, fehlerhaften Krakeln bedeckt.

Jede Zeitung hat ihr eigenes Gesicht.

Ein Redakteur veröffentlicht eine Erzählung in folgendem Stil:

DER BÄR Eine Erzählung

Es war eine kalte Nacht. Der Schneesturm heulte. Der Rotarmist Iwan Sacharow stand Posten. Es war kalt. Plötzlich kam ein Bär herbei und lief gerade auf Iwan zu. Iwan wollte wegrennen, aber da fielen ihm die Feinde ein, die die Patronenlager anzünden könnten. Er blieb. Der Bär kam nahe heran, aber Iwan holte Streichhölzer heraus und zündete sie an. Der Bär erschrak und blieb stehen, weil er sich fürchtete, zum Feuer hinzugehen. Am Morgen lief der Bär weg, und Iwan hatte das Lager gerettet.

Verfasser der Erzählung: Kusmin.

Ein anderer Redakteur, ein Lyriker, schreibt so:

Ich betrachte die Mimosen,
atme tief den Duft der Rosen.
Glück verschleiert meine Augen,
die zum Sehen nicht mehr taugen.
Warme Strahlen schickt die Sonne,
taucht die Welt in lauter Wonne.
Und mein Herz fühlt nichts als Liebe,
wenn es ewig doch so bliebe!

Ein dritter Redakteur ist ganz anders eingestellt:

Laßt die Sturmesglocke schallen,
weithin übers Feld,
daß sie den Millionen allen
in den Ohren gellt!
Proletarierland im Dämmer,
strebe stolz zum Licht des Mai!
Hell ertönt im Klang der Hämmer
unser Mailied endlich frei!

Drei Monate lang tobte sich die Republik Schkid aus. Dann schwand das Fieber allmählich. Wie Sterne im Morgenrot erloschen nacheinander „Fliegenpilz“, „Clown“, „Fackel“, „Sonnenaufgang“ und andere Zeitungen und Zeitschriften. Die Jungen ermüdeten. Rechtzeitig gab Vikniksor ihnen einen guten Gedanken ein: Es war an der Zeit, eine große Wandzeitung gemeinsam für alle Klassen zu gründen. So entstand der „Pfeffer“, eine gesunde, stabile Schulzeitung, deren Material aus der ganzen Schule, aus allen Abteilungen stammte, die nicht von einem einzigen Redakteur, sondern von fünfzehn bis zwanzig Korrespondenten geschrieben wurde. Von sechzig Presseorganen blieben nur vier übrig. Das Spiel war zu Ende. Es machte ernsthafter Arbeit Platz, und von den früheren Vergnügungen kündete nur noch das Schulmuseum, das eine vollständige Sammlung aller Zeitungen enthielt.

DSE, HAPPEN & CO

Der grusinische Fürst Georgl Dshaporldse * Michail Korolews Personalakte * Ein habgieriger Charakter * Der Spekulant der Kolonie * Das geheimnisvolle Bündel und die Balalaika * Frachtbrief Nr. 234 * Dse und Happen * Der wiederkäuende Admiral * Der nackte Herr Sparbüchse.

Ein vierblättriges Kleeblatt kam von der Sergijewka, einem Internat mit üblem Ruf. In der Sergijewka eingeliefert zu werden, galt als ausgesprochenes Unglück.

Dort herrschte eiserne Kasernendisziplin. Die Zöglinge mußten in stickigen Räumen hocken und durften selten — auch dann nur unter Aufsicht — Spazierengehen. Für ihre Verfehlungen hatte sich der Direktor unwahrscheinliche Strafen ausgedacht. Eine bestand in folgendem:

Der Zögling kam splitternackt in den unbeleuchteten Karzer, der auf Befehl des phantasievollen Sadisten in einen Abort verwandelt worden war. Dort saß der Missetäter drei bis vier Tage lang ohne Wasser und Brot im Dreck und rang in den ekelhaften Ausdünstungen nach Luft. Die Sergijewka wurde schließlich so berüchtigt, daß sich die Gerichtsbehörden mit ihr beschäftigen mußten.

Es kam zu einem aufsehenerregenden Skandalprozeß, nach dem das Internat aufgelöst wurde. Seine halbwüchsigen Insassen steckte man in andere Anstalten. So kamen die vier in die Schkid.

Dshaparidse, der älteste, war der Sohn eines grusinischen Fürsten, eines Marineoffiziers.

Er hatte ein typisch grusinisches Gesicht: große Adlernase, abstehende Ohren und schneeweiße, ungleichmäßige Zähne.

SCHKID. Die republik der strolche i_030.png

So kamen die vier in die Schkid.

Wie es in der Familie Tradition war, mußte Dshaparidse seine Kindheit in der Kadettenanstalt verbringen. Dort lernte er fast zwei Jahre die Kunst des Kommandierens und des guten Benehmens. Die Anstalt impfte ihm die Liebe zu militärischer Haltung ein, zur Sauberkeit in der Kleidung, zu spartanischem Lebenswandel. Aber sie verdarb seinen Charakter, sie zerbrach auch seine Moral, sie machte ihn verlogen und unaufrichtig. 1917 wurde die Anstalt geschlossen. Die Kadetten mußten sie verlassen. Dshaparidse lebte eine Zeitlang daheim, wurde bei mehreren Diebstählen ertappt und wanderte von nun an von einem Internat oder Kinderheim ins andere. Schmiß man ihn aus einem Heim hinaus, kam er ins nächste. So landete er schließlich in der Sergijewka. Dort verbrachte er zwei Jahre. Im Alter von fünfzehn Jahren war er bereits überreizt und erschöpft, als er in der Republik Schkid einen stillen Hafen fand.

SCHKID. Die republik der strolche i_031.png

Korolew hatte einen kugelrunden Kopf und dicke, rosige Wangen. Seine kräftige, hochgewachsene Gestalt, die römische Nase und das etwas gelockte Haar gaben ihm das Aussehen eines Patriziers aus der Zeit Julius Cäsars. Korolew war ein uneheliches Kind. Im Fragebogen der „Personalakte Michail Korolew“ stand in der Rubrik „Beruf der Eltern“: …„Außerehelich geboren.“ In der alten Zarenzeit gab es für die Außerehelichen nur einen Weg — das Erziehungsheim und die Gewerbeschule.