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Er hatte die „Knüttelverse über den Alltag“ nach einiger Überlegung der „Roten Zeitung“ eingeschickt und geschrieben, daß er diese Verse unbekannter Autoren gesammelt habe und daß man sie drucken solle. Danach hatte er mehrere Tage auf Antwort gewartet. Doch dann rollten die Ereignisse in Ljonkas Leben mit der Geschwindigkeit eines amerikanischen Cowboyfilms ab, und die Knüttelverse oder die „Rote Zeitung“ wurden ihm unwichtig. Er vergaß sie. Kurz darauf kam er in die Schkid. Eines Tages stürzte „Hühnchen“, ein Schüler aus der dritten Klasse, nach dem Unterricht atemlos und aufgeregt in die vierte Abteilung. In der Hand hielt er ein zerknülltes Zeitungsblatt. „Pantelejew! Bist du das?“ schrie er schon auf der Schwelle. „Was ist?“ Ljonka erblaßte. Sein Herz begann wie ein Hammer zu schlagen. Seine Hände und Füße wurden eiskalt. Hühnchen schwenkte das Zeitungsblatt wie eine Fahne. „Hast du der 'Roten Zeitung' ein Gedidit geschickt?“

„Ja… hab' ich…“, stammelte Ljonka.

„Na bitte. Das wußte ich doch. Die Jungens bestreiten das. Sie meinen, es könne nicht sein.“

„Zeig her.“ Ljonka streckte die Hand aus. Die anderen umdrängten ihn. Die Buchstaben tanzten ihm vor den Augen und wollten sich nicht zu Zeilen zusammenfügen. „Wo? Wo?“ fragten die Jungen.

„Da! Unten mußt du hingucken“, stieß Hühnchen erregt hervor. „Wo. Briefkasten' drüber steht.“

Ljonka fand den „Briefkasten“, eine Spalte, in der die Redaktion den Autoren antwortete. An zweiter oder dritter Stelle fiel ihm sein Name in die Augen. Er war mit großen Buchstaben gedruckt. Nachdem das Geflimmer vor seinen Augen aufgehört hatte, las er vor: „Ah ALEXEJ PANTELEJEW. — Die von Ihnen eingesandten 'Knüttelverse über den Alltag' sind nicht von anonymen Autoren, sondern ein Gedicht, das Sie selbst verfaßt haben. Zur Veröffentlichung in unserer Rubrik nicht geeignet.“

Sekundenlang verweigerten Ljonkas eiskalte Füße ihm den Dienst. Alles Blut strömte ihm in die Ohren. Er glaubte, den Kameraden nicht mehr in die Augen sehen zu können. Gleich würden sie ihn auspfeifen, verhöhnen, dem Gelächter preisgeben.

Aber nichts von alledem geschah. Ljonka blickte auf und sah, daß die ihn umdrängenden Jungen ihn anstarrten, als stünde zwar nicht Puschkin, aber doch mindestens Block oder Majakowski vor ihnen.

„Dieser Pantelej!“ piepste Mamachen begeistert. „Hoch Ljonka!“ rief Zigeuner nicht ohne Neid. „Vielleicht ist er es gar nicht?“ zweifelte jemand. „Bist du es?“ wurde Ljonka gefragt. „Ja“, antwortete er und schlug die Augen nieder — und diesmal aus reiner Bescheidenheit. Die Zeitung ging von Hand zu Hand.

„Gib! Zeig her! Laß mich auch mal sehen!“ riefen die Jungen durcheinander.

Aber bald entführte Hühnchen ihnen die Zeitung. Und Ljonka spürte, daß ihm etwas sehr Wertvolles, Kostbares, ein Teil seines Ruhmes, ein Zeugnis seines Triumphes entführt wurde. Er suchte Alnikpop, den diensthabenden Erzieher, auf und flehte ihn in heller Aufregung an, ihn für fünf Minuten auf die Straße zu lassen. Nach kurzem Zaudern gab Alnikpop ihm einen Erlaubnisschein. An der Ecke Peterhofstraße und Ogorodnikow-Allee stand ein Zeitungskiosk. Dort kaufte Ljonka für 18000 Rubel die letzte Nummer der „Roten Zeitung“. Bei der Rückkehr zur Schkid blätterte er die Zeitung noch auf der Straße fünfmal auseinander und schaute in den „Briefkasten“. Wie in Hühnchens Exemplar stand das schwarz auf weiß: „An Alexej Pantelejew…“ Ljonka wurde der Held des Tages.

Bis zum Abend wallfahrteten die Jungen aus den unteren Klassen zu ihm. Immer wieder öffnete sich die Tür zur vierten Abteilung, und mehrere Personen steckten schüchtern den Kopf in den Raum. „Pantelej, zeig uns mal die Zeitung, ja?“ flehten die Knirpse. Ljonka lächelte herablassend, holte die Zeitung aus dem Fach und hielt sie allen Interessierten unter die Nase. Die Jungen lasen jedes Wort laut vor, schüttelten den Kopf und riefen „ach“ und „oh“ vor Erstaunen. „Bist du das?“ fragte jeder. „Ja“, erwiderte Ljonka bescheiden.

Sogar nachdem es zum Schlafengehen geklingelt hatte, wurde die Erörterung des außergewöhnlichen Ereignisses fortgesetzt. Gesättigt von Ruhm, schlummerte Ljonka ein.

Gegen vier Uhr morgens erwachte er, und sofort fiel ihm ein, daß am Vortage etwas sehr Wichtiges geschehen war. Die sorgfältig zusammengelegte Zeitung hatte er unter seinem Kopfkissen verwahrt. Vorsichtig holte er sie hervor und faltete sie auseinander. Im Schlafraum war es dunkel. Da schlich er barfuß, nur in Unterhose, ins Treppenhaus und las beim schwachen Licht der Glühbirne noch einmal: „An ALEXEJ PANTELEJEW. — Die von Ihnen eingesandten 'Knüttelverse über den Alltag' sind nicht von anonymen Autoren, sondern ein Gedicht, das Sie selbst verfaßt haben. Zur Veröffentlichung in unserer Rubrik nicht geeignet.“

So kam noch ein Literat in die Republik Schkid, diesmal ein Literat von Rang und Namen. Schon nach kurzer Zeit war es ihm beschieden, seine Talente in der Schkider Arena vorzuführen — zum Wohle der Republik, die ihm eine neue Heimat wurde.

DIE „SECHSTE GROSSMACHT“

Von großen und kleinen Dingen * Sechzig auf sechzig * Folgenschwerer Skandal Beginn der „Mücke“ * Brofkantens Lyrik * Die sechste Großmacht ersteht * Drei Redakteure.

Es klingt unglaublich, aber während der Blockade, der Hungersnot und Papierkrise, als die sowjetische Bevölkerung nur Zeitungen lesen konnte, die an den Hausmauern klebten, erschienen in der kleinen Republik Schkid mit ihrer Bevölkerung von sechzig Köpfen sage und schreibe sechzig periodische Druckerzeugnisse aller Arten, Typen und Richtungen.

Das kam folgendermaßen.

Der „Spiegel“, die älteste Zeitung der Republik Schkid, hatte sich fest eingebürgert. Pünktlich hingen ihre neuen Nummern allwöchentlich am Schwarzen Brett, bis der Brand sie beinahe vernichtete. Ersetzt wurde sie durch eine Zeitschrift. Wieder schrieb Jankel mit Druckbuchstaben die Artikel ab, wieder verfaßte Japs den Inhalt, und auch der Titel — „Spiegel“ — war derselbe geblieben. Nur der Umfang hatte sich erweitert. Niemand vermutete, daß es dem glänzenden „Spiegel“ schon nach kurzer Zeit beschieden sein würde, zu zerplatzen und in viele Dutzend großer und kleiner Teile zu zersplittern.

Ursache der Katastrophe war die mangelnde Übereinstimmung der Ansichten beider Zeitschriftenredakteure. Jankel und Japs bekamen Krach miteinander.

Japs war ein seriöser Journalist, der eine bestimmte Linie verfolgte. Die wöchentliche Schülerzeitschrift, die Leben und Alltag der Schule in Poesie und Prosa kommentierte, gefiel ihm nicht mehr, o nein! Er wünschte, aus dem „Spiegel“ eine dicke, gewichtige Monatszeitschrift mit Abhandlungen und Referaten über Geschichte, Kunst und Philosophie zu machen. Und weil er hartnäckig seine Linie verfolgte, veränderte sich das Gesicht der Zeitschrift. Die Anzahl der Seiten stieg auf dreißig, das Blatt erschien alle zehn Tage, dann alle zwei Wochen, die Schulchronik und der Humor wurden daraus verbannt. Sie gehörten nicht in eine „geistige“ Zeitschrift. Dafür schrieb Jankel eine umfangreiche historische Arbeit in Fortsetzungen: „Die Gerichtsbarkeit im alten Rußland.“

Die gewichtige Arbeit erschien in drei „Spiegel“-Nummern und umfaßte jedesmal fünfzehn bis zwanzig Seiten.

Jankel wurde an die Wand gedrückt. Er verwandelte sich in eine Dauerdruckerei. Ihm blieb nur der technische Teil — die Nummern zu drucken, zu illustrieren und herauszugeben. Aber es langweilte ihn außerordentlich, die endlosen Artikel über das alte Rußland abzuschreiben. Er wußte genau, daß niemand außer dem Verfasser und dem unglücklichen Typographen sie lesen würde. Er schrieb sich die Finger wund. Dreißig Seiten mit sauberen Druckbuchstaben abzumalen, sie zu illustrieren, mit Vignetten zu versehen und alles in sechs bis acht Tagen — das war zu schwierig. Die technische Arbeit machte ihn stumpfsinnig und war ihm bald gründlich zuwider. Nachdem auf diese Weise sechs Nummern erschienen waren, überlegte sich Jankel die Sache. Er hatte ebenfalls das Bedürfnis, schöpferisch zu arbeiten, Gedichte und Erzählungen zu schreiben, lustige Glossen über das Schulleben zu verfassen, aber dazu fehlte ihm die Zeit, Das „alte Rußland“ verschlang sie, Da beschloß Jankel, die Zeitschrift im Stich zu lassen. Zum Teufel damit! dachte er. Das bezog sich im gleichen Maße auf Japs wie auf die Gerichtsbarkeit des alten Rußlands. Mehrere Tage befaßte sich Jankel überhaupt nicht mit der Zeitschrift. Der „Spiegel“ lag halbfertig auf dem Tisch. Die zweite Hälfte strahlte in fleckenlos weißen Blättern. Japs wurde nervös und böse. Er hatte bereits drei neue Artikel fertig, während Jankel pfeifend herumschlenderte.