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„Bravo!“ riefen die Jungen und klatschten Beifall.

Dann hielt es jeder für seine Pflicht, zu Aiwasowski hinzugehen, ihm auf die Schulter zu klopfen und zu sagen „Herzlichen Glückwunsch, Krokodil Krokodilowitsch!“

Der Lehrer saß fassungslos da und starrte den Jungen ins Gesicht. Er wußte nicht, was er machen sollte, oder er verstand es vielleicht nicht, seine ausgezeichnete pädagogische Erfahrung anzuwenden.

So begann die pädagogische Karriere von Krokodil Krokodilowitsch, dem Neffen seines Onkels, des großen Landschaftsmalers Aiwasowski.

Schon am ersten Tage verlor er bei den Zöglingen seine Autorität.

„Eine Niete“, sagten die Schkider.

Die erste Zeichenstunde der vierten Abteilung fand am folgenden Tage statt. „Krokodil“ kam in die Klasse, ging zum Lehrerpult und stellte einen kleinen Bleistiftkasten aus karelischer Birke sowie einen stumpfen Gipskegel hin.

Bei seinem Eintritt hatten sich fünf Jungen erhoben. Die übrigen wollten seine Beziehung zur Disziplin ausprobieren und waren sitzen geblieben. Krokodil tadelte niemanden, sondern schüttete nur einen Haufen von Bleistiftstummeln verschiedenen Kalibers aus dem Kasten.

„Nehmt euch jeder einen Bleistift“, sagte er.

Die Jungen gingen zum Tisch und wählten sich die besten, längsten Stummel aus. Etwa fünfundzwanzig Bleistifte blieben liegen. Japs, der an leidenschaftlicher Liebe zu Schreibutensilien — Bleistiften, Federhaltern, Papier — litt, seufzte und zwinkerte dann Jankel zu. „Ganz nett, nicht?“ „Tjaa!“ Gierig starrte Jankel auf den Bleistifthaufen.

„Holt Papier hervor!“ befahl der Lehrer.

„Das ist aber neu“, widersprach Spatz empört. „Unser eigenes Papier sollen wir vollschmieren?“

„Tatsache“, bestätigte Ljonka. „Holen Sie doch was aus der Kanzlei — da gibt es genug.“

„Wirklich?“ fragte Krokodil. „Ist das bei euch so üblich?“ „Natürlich!“

Krokodil ging in die Kanzlei.

Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, stürzten Japs, Jankel und dann alle übrigen zum Lehrerpult.

Nach einer Sekunde waren von dem Bleistifthaufen nur klägliche Reste in Gestalt von fünf oder sechs schlechten, harten Stummeln übrig.

Krokodil bemerkte den Raub gar nicht, als er mit dem Papier zurückkehrte. Er gab die Bogen aus, stellte den stumpfen Kegel oben auf die Klassentafel und forderte die Schüler auf, ihn abzuzeichnen. Die Anhänger der darstellenden Künste begannen zu zeichnen, die anderen holten ihre Bücher hervor und vertieften sich in die Lektüre. Es waren recht verschiedenartige Bücher.

Jankel reiste in Gedanken nach New York und warf dort zusammen mit dem „genialen Detektiv Nat Pinkerton“ den zwölften Verbrecher von der Brooklyn-Brücke in die Fluten des Hudson. Japs ging von der agraren zur permanenten Revolution über und schnupfte, da er anderer Meinung war als Kautsky, gedankenversunken auf.

Ljonka seufzte, von heißem Mitleid mit dem tückisch betrogenen Liebhaber in der „Armen Lisa“ gepackt, während Dse Seite an Seite mit den tapferen „Drei Musketieren“ ein heißes Gefecht bestand — er las hingerissen in einem dicken Band von Dumas.

Die Jungen liatten sich in alle Welt zerstreut: Einer war bei den Indianern in der Prärie, der andere am Nordpol. Niemand hörte das Klingelzeichen, und erst Krokodils Ruf: „Wo sind die Bleistifte?“ brachte sie aus ihrer Traumwelt in die Wirklichkeit zurück. Niemand antwortete.

„Wo sind die Bleistifte?“ wiederholte der Lehrer. Wieder keine Antwort. Die Jungen schlenderten in der Klasse umher, ohne sich um den Lehrer zu kümmern.

„Gebt die Bleistifte zurück!“ Krokodils Stimme klang schon ganz verzweifelt.

„Verschwinde!“ brummte Kaufmann. „Du hättest eben besser aufpassen müssen.“ Die Jungen lachten.

„Du mußt aufpassen, Krokodil Krokodilowitsch!“ Sascha Pylnikow klopfte dem Lehrer auf die Schulter.

„Ach, so ist das!“ rief Krokodil. „Dann schreib' ich euch einen Tadel in die 'Chronik'. Viktor Nikolajewitsch hat mir gesagt, daß ich euch einschreiben soll, wenn ihr ungezogen seid.“ „Machen Sie keinen Quatsch!“ widersprach Ljonka. „Alle können Sie nicht einschreiben.“

„Doch!“ Krokodil zitterte vor Empörung. „Ich schreibe euch einen Kollektivtadel ein… Einen Kollektivtadel!“ wiederholte er, hingerissen von diesem Einfall. Er packte den stumpfen Kegel und den leeren Kasten und rannte aus der Klasse. Tatsächlich schrieb er den folgenden „Kollektivtadel“ in die „Chronik“:

„Die Zöglinge der vierten Abteilung stahlen dem Lehrer Bleistifte und weigerten sich trotz wiederholter Aufforderung, sie zurückzugeben.“ Vikniksor veranlaßte die Klasse, die Bleistiftstummel herauszurücken, und entzog der ganzen Abteilung zwei Tage lang den Spaziergang. Die Klasse schäumte vor Wut.

„Miserabler Petzer!“ schrie Jankel in der oberen Toilette, dem überfüllten „Klubraum“ der Großen.

„Petzer! Angeber! Schmieriges Krokodil!“

„Gebt ihm Saures!“ schlug einer vor. „Den Heiligen Geist!“ „Dem wollen wir die Petzerei austreiben.“ Sie beschlossen, Aiwasowski zu verhauen.

Am Abend, als er in die Klasse kam, warfen sie ihm einen Mantel über den Kopf, knipsten das Licht aus, und dann ertönte der Ruf: „Druff!“

Von allen Bänken flogen dem unglücklichen Propheten schwere Wälzer an den Kopf.

Einer bearbeitete seinen Rücken mit einem Holzscheit. „Au! Au!“ kreischte der Lehrer jämmerlich. „Genug!“ rief Japs.

Das Licht wurde wieder angeknipst. Krokodil hockte auf einer Bank, den Kopf in die Hände gestützt. Der alte zerrissene Anstaltsmantel rutschte ihm von den Schultern.

Die Wut der Jungen verflog — der verprügelte Prophet tat ihnen leid. „Genug“, wiederholte Japs, obgleich niemand die Prügelei fortsetzen wollte.

Aiwasowski hob den Kopf. Das Gesicht des Vierzigjährigen war tränenüberströmt. Den Jungen verging das Mitleid — so ein widerwärtiger Anblick!

„Pfui!“ Kaufmann spuckte aus. „Flennt wie ein Weib. Und so was ist nun Prophet. Nicht mal ein Baby würde dabei heulen. Solche Leute muß man ja geradezu verdreschen.“

„Laßt nur, das macht nichts“, sagte Aiwasowski mit kläglichem Lächeln.

Nun empfanden die Jungen wieder Mitleid. Sie schämten sich sogar. „Verzeihen Sie uns, Sergej Petrowitsch“, brummte Japs. „Schreiben Sie uns der Form halber einen Kollektivtadel ein, aber verzeihen Sie uns als Mensch.“

„Macht nichts“, wiederholte Krokodil. „Ich verzeihe euch und werde niemanden einschreiben.“

„Das ist ein Mann!“ meinte Ljonka. „Er wird verprügelt, doch er verzeiht. Kein Prophet, sondern ein Tolstoianer, wie er im Buche steht.“ Aiwasowski stand auf. „Ich gehe jetzt.“

In der geöffneten Tür drehte er sich plötzlich scharf um und schrie mit blutrotem Gesicht: „Das tränke ich euch ein, ihr Teufel! Ich… ich dreh' euch die Gurgel um!“ Damit rannte er aus der Klasse.

Aiwasowskis Verhalten erregte allgemeine Wut. Die Szene mit der „christlichen Verzeihung“ hatte Folgen: Krokodil bekam auch in der dritten Abteilung „Saures“.

Die Schlammanier verprügelten ihn gründlich, und als er auch bei ihnen die rührende Szene der „allgemeinen Versöhnung“ zu spielen versuchte, bekam er noch eine Zugabe. Sie verdroschen ihn nicht mit Büchern, sondern mit Gymnastikstöcken und mit dem Feuerhaken.

Auf beide Abteilungen prasselte ein Hagel von Tadeln herab, und alle Schüler aus der dritten und vierten Klasse saßen dauernd in der vierten oder fünften Gruppe.

Die Reaktion auf die Verschärfung der Strafen war ein Riesenradau…

Krokodil wurde seine blauen Flecke nicht mehr los.

In der „Chronik“ jener Tage finden sich Eintragungen wie: „Jeonin und Korolew ließen ihre Mitschüler nicht schlafen. Mehrere Stunden lang schrien, lachten und schwatzten sie, beschimpften den Lehrer, belegten ihn mit allen möglichen Namen, besonders Korolew, der wiederholt zum Bett des Erziehers ging und versuchte, ihn zu schlagen und anderes mehr.“