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Wenn man Tomlin zusah, kam einem die Klippe gar nicht mehr so steil vor. Wie ein junger flotter Toppmatrose enterte er auf. Fünfzehn Fuß unter dem Klippenrand war ein schmaler Saum, und hier erst machte er Gebrauch von dem schweren Wurfhaken, den er tief und fest in einige Felsvorsprünge hineintrieb. Sein klobiger Körper stand wie der groteske Wasserspeier einer gotischen Kathedrale gegen den Himmel. Dann warf er die starke Leine hinunter und blickte in die zu ihm emporgewandten Gesichter.

Bolitho prüfte die Leine und kletterte los. Der Felsen war rauher, als er gedacht hatte, die wenigen Vorsprünge und Vertiefungen waren schlüpfrig von Möwenkot, so daß er keuchend nach Atem rang, als Tomlin ihn ganz unzeremoniell packte und neben sich auf die Platte hievte. Dabei grinste er sein zahnlückiges Raubtiergrinsen.:»Ganz schön fix, Sir! Jetzt die anderen!«Und er winkte mit seinem riesigen Daumen.

Bolitho war keines Wortes fähig. Er richtete sich mühsam auf und schätzte die nächste und letzte Etappe dieser Kletterei ab. Über dem Rand der Klippe konnte er jetzt die Mauerkrone der Brustwehr sehen, und darüber einen Streifen verwehenden Pulverqualm von der Batterie. Außerdem zwei Schießscharten, aber beide waren leer, und er nahm an, daß die Geschütze auf die andere Seite geschafft worden waren, um das Feuer auf die Hyperion zu verstärken.

Unten splitterten ein paar Steine — die ersten Matrosen kletterten hoch. Aber er wagte nicht hinunterzublicken. Die mörderische Spannung und die körperliche Anstrengung forderten ihren Zoll.

«Also gut, ich gehe jetzt nach oben. «Neidisch blickte er in Tomlins häßliches Gesicht und fragte sich, wie dieser so ruhig und selbstsicher sein konnte.»Sorgen Sie mir dafür, daß sich die Leute still verhalten!»

Tomlin grinste.»Den ersten Schweinehund, der auch nur flüstert, schmeiß ich persönlich die Klippe runter, Sir!«Und Bolitho wußte, daß es ihm damit ernst war.

Er begann, sich den steilen Klippenhang hinanzuziehen. Unvermittelt spürte er die Sonne im Nacken und den stachligen Ginster unter seinen zupackenden Fingern. Seine ganze Welt bestand nur noch aus diesem kleinen Stück Felsen, und selbst die Zeit schien Sinn und Realität verloren zu haben.

Aus dem Augenwinkel konnte er das Meer sehen, glasklar und blau, die Kimm glänzte so stark, daß es seinen Augen weh tat. Von seinem Schiff war nichts zu sehen, aber am Erzittern der Klippe unter den dumpfen Abschüssen der Batterie merkte er, daß es nicht weit weg sein konnte. Dann hob er den Kopf und sah die Brustwehr. Sie war so nahe, daß er Grasbüschel und winzige blaue Blumen sehen konnte, die zwischen den wetterzerklüfteten Steinen wuchsen, und auch die hellen Narben neben den Schießscharten, Spuren des ersten Angriffs der Hyperion. Als er sich über den Grat zog und so schnell wie möglich an den Fuß der Brustwehr kroch, kam er sich nackt und schutzlos vor. Jeden Moment konnte der Anruf eines Postens erfolgen oder eine Musketenkugel ihn tödlich in den Rücken treffen. Die nächste Schießscharte lag nur ein paar Fuß über der Klippe. Er wagte kaum zu atmen, als er sich langsam auf die Knie hob und über ihren Rand spähte. Eine Sekunde lang vergaß er die Gefahr, in der er sich befand, und die Verantwortung für das Kommende und fühlte sich merkwürdig unbeteiligt, wie ein bloßer Zuschauer, distanziert von Wirklichkeit und Schmerz, von Raum und Zeit.

Beim Bau der achteckigen Mauer, die das Zentrum der Festung umgab, hatte man sich weniger um sichere Fundamente gekümmert, sondern so gebaut, daß sie sich dem bergigen Gelände anpaßte, als könne nichts sie jemals erschüttern. Bolithos Schießscharte war eine der höchsten der Mauer, und durch sie konnte er über den massigen Festungsturm hinaus bis zum äußersten Ende der Batterie sehen. Er erkannte sogar die Straße, die zwischen den Bergen unterhalb des Tores verschwand, und die wimmelnden Gestalten der keuchenden, halbnackten Soldaten, die immer noch Kugeln zu den auf See gerichteten Geschützen schleppten. Selbst im Sonnenglast war zu erkennen, daß die Kugeln heiß waren, und obwohl jede einzelne von zwei Soldaten in einem eisernen Gestell getragen wurde, beugten die Träger ihre Oberkörper von der Hitze weg, während sie über den steinigen Boden trabten.

Bolitho hörte, wie sich die Matrosen in seinem Rücken über den Klippenrand quälten, und vernahm Rookes geflüsterte Drohungen und Befehle. Rechts und links von ihm faßten sie Posten. Aber er drehte sich nicht um. Er sah sich genau die flache Erdschanze unterhalb der Festungsmauer an, in der die Munitionsträger wie geschäftige Maulwürfe verschwanden. Dort lag zweifellos das Magazin und die Feuerstelle, geschützt von mächtigen Erdaufschüttungen für den Fall, daß ein feindliches Geschoß dank eines blinden Glückstreffers einschlagen sollte.

«Alle da, Sir«, meldete Rooke. Er hatte einen Riß in der Wange, und seine Augen glühten — vor Überanstrengung oder unterdrückter Spannung.

«Gut. «Bolitho erstarrte und preßte das Gesicht an den warmen Stein. Von weit weg vernahm er gedämpft die Trommeln und Pfeifen von Ashbys Abteilung. Fast vergaß er seine eigene gefährliche Situation, als er in der Ferne die scharlachrote Marschkolonne mit dem stolz trabenden Grauschimmel an der Spitze um die Wegbiegung kommen sah. Die roten Uniformröcke der MarineInfanteristen schienen waagrecht vorwärtszugleiten, nur die weißen Hosenbeine darunter bewegten sich im Gleichtakt. So sah die auf dem gewundenen Pfad anmarschierende Kolonne tatsächlich wie eine glänzendrote Raupe mit stählern-stachligem Rücken aus. Ash-by hatte seine Sache gut gemacht. Die einzelnen Gruppen marschierten, wie Bolitho befohlen hatte, in Abständen, so daß man glauben konnte, sie seien weit zahlreicher. Jetzt konnte er auch das Ende der Kolonne sehen: Inchs Matrosen, eine schwankende, auseinandergezogene, weiß und blaue Masse in einer ordentlichen Staubwolke, die auf eine viel stärkere Truppe schließen ließ.

«Wie stark sind die Franzosen, Sir?«fragte Rooke. Bolitho kniff die Augen zusammen, um die französischen Artilleristen besser beobachten zu können, die eben jetzt die anrückende Kolonne erstmals gesehen hatten. Etwa fünfzig Soldaten befanden sich seiner Meinung nach in der Batterie. In der Festung selbst konnten zweimal, ja dreimal so viele sein. Doch das bezweifelte er. Nur wenige Köpfe hoben sich, soweit er sehen konnte, vom Himmel ab; außer diesen erkannte er nur noch ein paar Soldaten auf dem einen Wachturm neben dem Doppeltor.

«Stark genug für ihre Zwecke, Mr. Rooke«, erwiderte er. Auch die Verteidigungskräfte jenseits der Mauer hatte er gesehen. As h-bys Truppe würde sich mit denen auseinandersetzen müssen, falls sein eigener Plan schiefging und Ashby angreifen mußte. Zwei steile Dämme, einer davon schien neu zu sein. Zwar konnte er von hier aus nichts erkennen, aber bestimmt waren sie mit zugespitzten Pfählen und anderen Hindernissen armiert. Jede angreifende Truppe würde von Schrapnell- und Musketenfeuer niedergemäht werden, ehe sie auch nur den Hauptgraben unterhalb der Mauer erreicht hatte.

Ashby tat, was er konnte, um mit seinem Anmarsch ein möglichst imponierendes Schauspiel zu bieten. Die MarineInfanteristen bildeten ständig neue Gruppen und Abteilungen oder flankierten die eigene Marschkolonne. Wahrscheinlich kam ihnen das Ganze ebenso rätselhaft vor wie oben den Franzosen, die ihren

Anmarsch beobachteten.

«Wir haben nur ein paar Minuten Zeit«, sagte Bolitho eindringlich.»Die Franzosen werden bald merken, daß alles nur Bluff ist. «Unwillkürlich duckte er sich, als ein einzelnes Geschütz von der anderen Mauer her losdonnerte, und fuhr dann fort:»Die Hyperion kann ihre Scheinangriffe auch nicht stundenlang fahren. Wenn eine dieser glühenden Kugeln an einer Stelle trifft, wo unsere Leute nicht rechtzeitig hinkommen, brennt das Schiff lichterloh.»

Rooke zog den Degen und sah die beiden Pistolen in seinem Gürtel nach.»Ich bin bereit«, sagte er mit fester Stimme.»Aber ich meine immer noch, wir sollten das Haupttor zu erreichen versuchen. Wenn wir dort sind, ehe die Frogs es bemerken, können wir Ashby den Weg für einen Frontalangriff freimachen.»