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Wie im Traum sah Bolitho, daß Rookes Degen in einen Mann neben der Tür fuhr und der Leutnant weiterstürmte, ohne auch nur aus dem Tritt zu kommen. Ein langer, bezopfter Matrose hieb sein Enterbeil dem sterbenden Franzosen mit solcher Kraft in die Schulter, daß er den Fuß gegen den Körper des Mannes stemmen mußte, um es wieder herauszureißen.

Allday stützte ihn. Sein mächtiges Beil pfiff wie die Sense eines Schnitters, sobald ein Überlebender versuchte, über den einzigen Fluchtweg, die Treppe, nach unten zu entkommen.

Bolitho verdrängte Schmerz und Übelkeit — ihm wurde klar, daß seine siegestrunkenen Männer, wenn er nicht sofort etwas tat, jeden Franzosen umbringen würden, der noch im Turm war. Er schob Allday beiseite und folgte den anderen in den Sonnenschein hinaus.»Die Flagge!«rief er Rooke zu.»Nieder mit ihr, Mann!»

Mit wilden Augen fuhr Rooke herum. Da sah er Bolitho und kam wieder zu Sinnen.»Hast du gehört? Los, Strohkopf!«krächzte er. Ein Matrose neben ihm, der gerade dabei war, einen verwundeten Franzosen mit nackten Händen zu erwürgen, ließ mit einem Schmerzensruf davon ab, weil Rooke ihm die flache Klinge auf die Schulter gehauen hatte.

Allday wartete, bis die französische Flagge auf den Steinplatten lag; dann wickelte er sich einen britischen Wimpel vom Leib und reichte ihn dem atemlosen Matrosen.»Heiß den, Bursche!«Mit geschultertem Enterbeil sah er zu, wie die britische Flagge hochstieg und sich in der warmen Brise entfaltete.»Da haben sie was dran zu kauen!«grinste er.

Bolitho trat an die Brustwehr und stützte sich schwer auf die verwitterten Steine. Unter ihm starrten die französischen Artilleristen verzweifelt zu der britischen Flagge auf und dann zur Hyperion hinaus, die eben über Stag ging und Kurs auf die Hafeneinfahrt nahm. Ihm war speiübel, und er war todmüde, trotzdem blieb noch viel zu tun. Mühsam wandte er sich um und musterte die atemlosen Sieger. Von den fünfundzwanzig, mit denen er angetreten war, schienen nur noch wenige übrig zu sein.»Bringt die französischen Soldaten in einen sicheren Gewahrsam«, sagte er. Tomlin erschien in der offenen Tür.»Nun?»

Der Bootsmann tippte sich grüßend mit der Faust an die Stirn.»Hier is' 'n französischer Offizier, Sir. Der Kommandeur der Batterie. «Tomlins Fangzähne glitzerten vor Vergnügen.»Hat sich ergeben, Sir.»

«Ja, schon gut. «Er konnte dem Franzosen nicht ins Gesicht sehen — dieser wunde, gedemütigte Blick des Besiegten.»Mr. Roo-ke«, befahl er,»gehen Sie hinunter und entwaffnen Sie die Batterie. Dann öffnen Sie das Festungstor, begrüßen Hauptmann Ashby und richten ihm mein Kompliment für gute Arbeit aus.»

Rooke eilte hinweg, und Bolitho hörte fernes Hurrarufen. Ob vom Schiff oder von Ashbys Marine-Infanteristen, das wußte er nicht, und es war ihm auch völlig gleichgültig.

Jetzt schwamm Alldays Gesicht in sein Blickfeld.»Sind Sie verletzt, Captain?«fragte der Bootsmann besorgt.»Ich glaube, Sie sollten sich ein bißchen ausruhen.»

Bolitho schüttelte den Kopf.»Lassen Sie mich nachdenken. Ich muß nachdenken!«Er wandte sich um und erblickte Seton, der bleich und entsetzt auf einen verwundeten Franzosen zu seinen Füßen starrte. Der Mann hatte einen Stich in den Magen bekommen. Blut strömte aus seinem offenen Mund, aber er klammerte sich noch ans Leben; es war herzzerreißend und mitleiderregend, wie seine Worte im Blut erstickten. Vielleicht empfand er in diesen letzten Augenblicken Seton irgendwie als Retter.

«Helfen Sie ihm, mein Junge«, sagte Bolitho.»Er kann keinen Schaden mehr anrichten. «Aber Seton wich zurück, seine Lippen zitterten, als der Mann seinen Schuh mit blutiger Hand berührte. Seton konnte das Zittern nicht beherrschen, und Bolitho sah, daß sein Dolch noch in der Scheide stak. Der muß ein dutzendmal durch die Hölle gegangen sein, dachte er. Laut aber sagte er:»Er ist nicht mehr unser Feind. Lassen Sie ihn wenigstens nicht sterben, ohne daß jemand bei ihm ist!«Er wandte sich ab, konnte nicht mitansehen, wie der verstörte Midshipman sich neben diesen blutenden Todgeweihten hinkniete, der seine Hand umklammerte, als sei sie das Kostbarste auf der Welt.

«Das kommt noch, Captain«, sagte Allday leise.»Mit der Zeit lernt er' s schon.»

«Es ist kein Spiel, das man lernen kann, Allday«, antwortete Bo-litho leeren Blickes.»Und ist auch nie eines gewesen.»

Ashby kam die Treppe heraufgepoltert, ein mächtiges Grinsen spaltete sein Gesicht.»Bei Gott, Sir! Eben gehört, was Sie getan haben!«Begeistert schlug er die Hände zusammen.»Bei Gott, Sir, das war großartig, wirklich!»

Bolitho blickte zur Hyperion hinunter. Sie hielt jetzt direkt auf die Hafeneinfahrt zu; er konnte die Matrosen unterscheiden, wie sie zu den Booten schwärmten und sie klarierten.

«Sie müssen quer durch die Insel zu dem anderen Fort marschieren, Ashby«, sagte er zu dem Hauptmann.»Die Besatzung wird sich wahrscheinlich schnell ergeben, wenn Sie dem Kommandanten klarmachen, daß er jetzt allein ist.»

Doch Ashby rührte sich nicht. Sein Gesicht, so scharlachrot wie seine Uniform, schien alles andere zu verdecken, und seine Stimme dröhnte in Bolithos Kopf:»Prachtvoller Sieg, Sir. Genau was wir brauchten. Wirklich prachtvoll!»

«Wie Sie meinen, Ashby«, erwiderte Bolitho.»Aber jetzt gehen Sie bitte und tun, was ich gesagt habe. «Gott sei Dank, daß er weg ist, dachte er, als er den immer noch aufgeregt vor sich hin redenden Hauptmann im Treppenaufgang verschwinden sah.

Hatte er eigentlich gewußt, was er tat, als er sich den französischen Bajonetten entgegenwarf? Oder war es der Wahnsinn des Kampfes gewesen, und dazu vielleicht die Angst vor Niederlage und Schande?

Unten auf der Batterie wimmelten die Brustwehren von durcheinanderschreienden Matrosen; zwei Mann hatten sich auf Ashbys Pferd geschwungen und trabten grinsend wie die Kinder zwischen den verstörten Gefangenen herum.

Allday sagte:»Er hat recht, Captain. Als Sie losgingen, war es aus mit denen. «Er schüttelte den Kopf.»Ganz wie in alten Zeiten. Kurz und scharf, und am Ende blutige Nasen!»

Bolitho blickte auf Seton hinunter. Der hockte immer noch bei dem französischen Soldaten, hielt dessen blutige Hand umklammert und blickte mit entsetzten, starren Augen in das Gesicht des Mannes.

Allday folgte Bolithos Blick und sagte gedämpft:»Er ist tot, Mr. Seton. Sie können ihn jetzt alleinlassen.»

Bolitho erschauerte. Es war vorbei.»Ich brauche einen Kurier zur Chanticleer«, sagte er.»Mr. Bellamy muß sofort absegeln und die Princesa benachrichtigen, daß wir die Insel genommen haben. «Als er sich rasch umdrehte, stand Seton neben ihm. Noch zitterten seine Lippen, und über die bleichen Wangen rannen Tränen.

Aber seine Stimme war jetzt fester und seltsam entschlossen.

«Ich gehe, Sir, wenn Sie meinen, ich kann das.»

Bolitho legte ihm die Hand auf die Schulter und blickte ihn sekundenlang aufmerksam an. Alldays Worte klangen in ihm nach:»Mit der Zeit lernt er' s schon.»

«Schön, Mr. Seton«, sagte er langsam.»Ich bin ganz sicher, daß Sie es können.»

Er sah dem Jungen nach, der steifbeinig zum Treppenaufgang schritt; reglos hingen seine Arme herab, und er hielt den Kopf von den starräugigen Toten und stöhnenden Verwundeten abgewandt. Das hätte ich sein können, dachte Bolitho müde. Vor zwanzig Jahren bin auch ich beinahe zusammengebrochen, und jemand hat mir durch ein paar mitfühlende Worte geholfen. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er nachdenklich in die Sonne. Aber trotz aller Mühe konnte er sich weder an die Worte noch an den Mann erinnern, der ihm den Verstand gerettet hatte, als damals, genau wie jetzt bei Seton, seine Knabenwelt in Scherben ging. Da richtete er sich auf und stieß den Degen in die Scheide.»Kommen Sie, All-day«, sagte er.»Gehen wir uns ansehen, was wir da erobert haben!»