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Erst jetzt bemerkte Bolitho, daß der französische Offizier auf seinem Pferd irgendwie vor dem mörderischen Blei verschont geblieben war. Ein Matrose sprang vor und wollte dem Pferd in die Zügel fallen, aber mit einer einzigen raschen Bewegung zog der Offizier seinen Säbel und hieb ihn nieder. Lautlos sank der Mann zu Boden, und wie ein Seufzer stieg es aus den Reihen der wartenden Seesoldaten auf. Ein einzelner Pistolenschuß, und der Offizier sank, würdevoll bis zum bitteren Ende, aus dem Sattel; still und stumm lag er neben dem ersten Gefallenen des Landekommandos.

Leutnant Shanks reichte die noch rauchende Pistole seiner Ordonnanz.»Laden!«befahl er kurz und wandte sich dann formell an Hauptmann Ashby:»Ich denke, Sie sollten das Pferd nehmen, Sir.»

Elegant schwang sich Ashby in den Sattel und blickte auf Bolitho herab.»Ich reite den Pfad entlang, Sir. Die Festung müßte in etwa zwanzig Minuten zu erreichen sein, glaube ich. «Er wandte sich im Sattel um und beobachtete mit soldatisch-sachverständigem Interesse, wie die erste Abteilung Marine-Infanteristen im Laufschritt ausschwärmten, um auf beiden Seiten des Tales zu rekognoszieren. Ihre roten Röcke leuchteten durch das spärliche Unterholz.

Zwei Trommler und zwei Pfeifer bezogen Position an der Spitze des Haupttrupps; dann folgte Leutnant Inch mit siebzig Matrosen, die er ebenfalls in eine Art Marschkolonne gebracht hatte. Ashby zog sich den Hut in die Stirn. Auf dem erbeuteten Pferd sah er, wie Bolitho fand, höchst militärisch aus.

«Bajonett pflanzt — auf!«brüllte der Hauptmann. Bolitho wandte sich um und starrte auf die steilen Klippen des Vorgebirges. Von seinem Standort aus konnte er nicht einmal die Brustwehr der Batterie sehen. Seine eigene Abteilung Matrosen wartete unter Rooke und einem Midshipman am Ende der Pier.

«Nach rechts! Im Eilschritt — marsch!«ertönte Ashbys heiseres Kommando.

Es war wie ein irrer Traum, dachte Bolitho: Ashby auf dem Grauschimmel an der Spitze seiner Männer… Der dumpfe Tritt der Stiefel, als die Abteilung gleichmütig durch die blutige Masse marschierte, die das grimmige Artilleriefeuer der Schaluppe hinterlassen hatte. Und noch unwirklicher wurde die Szene, als Trommler und Querpfeifer den munteren Marsch» Lustige Dragoner «intonierten. Es kam Bolitho wie Hohn vor, daß den Spielleuten unter solchen Umständen ausgerechnet diese Melodie eingefallen war.

Steifbeinig ging er zu Rooke hinüber.»Wir müssen sofort abrük-ken!«Er deutete auf die hinabgestürzten Felsbrocken, die wie ein zerrissenes Halsband den Fuß der Klippe säumten.»Da müssen wir längsklettern, bis wir unterhalb der Batterie sind. Es sind gut zwei Kabellängen; wir müssen also schnell machen, ehe die Garnison sich von dem Schreck erholt.»

Rooke verzog das Gesicht.»Wenn die Franzosen Ashbys Armee am Haupttor aufkreuzen sehen, werden sie denken, das Ende der Welt ist da!»

Bolitho nickte.»Hoffentlich. Wenn nicht, kriegen wir mehr als nur Steine auf den Kopf!»

Rutschend und keuchend kämpfte sich die Reihe der Matrosen am Fuße der Klippen entlang. Wieder hörten sie das Donnern schwerer Geschütze, und Bolitho konnte sich denken, daß Quarme einen weiteren Scheinangriff begann. Jetzt mußte die Garnison das Landeunternehmen durchschaut haben; aber sie konnten wenig mehr tun als stillzusitzen und den eigentlichen Angriff zu erwarten. Wenn sie, wie es Rooke angedeutet hatte, Ashbys zuversichtlichen Anmarsch über die einzige Straße der Insel sahen, mußten sie eigentlich annehmen, daß der Angriff aus dieser Richtung kommen würde.

Bolitho hatte alle Einzelheiten, die er über die Festung in Erfahrung bringen konnte, gesammelt und genau studiert. Hoffentlich hatten die Franzosen in der Zwischenzeit an der Gesamtanlage nichts geändert. Der kreisrunde Bergfried, der Hauptturm der Festung, war von einer achteckigen Blendmauer umgeben, die in regelmäßigen Abständen tiefe Schießscharten auf wies. An der Landseite der Brustwehr befand sich ein tiefer Graben, über den unterhalb der Festungsmauer eine Brücke führte.

Aber nach der See zu, und über der Klippe selber, gab es nur die Blendmauer. Wer diese Festung entworfen hatte, mußte es für unwahrscheinlich gehalten haben, daß der Feind über die Hafeneinfahrt hinausgelangen könne; und für ebenso unwahrscheinlich, daß jemand die hundert Fuß hohen Klippen erkletterte.

Bolitho rutschte aus und fiel bis zum Gürtel ins Wasser. Es war trotz der Sonne sehr kalt, und die plötzliche Abkühlung beruhigte seine Nerven.

Sie kämpften sich mühsam vor. Das Tempo verlangsamte sich bereits, denn das Gedränge auf dem engen Schiff hatte kein Training für solchen Sport ermöglicht.

Rooke keuchte:»Das Fort ist möglicherweise schwerer zu nehmen als wir gedacht haben, Sir. Vielleicht muß Ashby einen Frontalangriff machen.»

Bolitho musterte ihn kurz.»Wie die meisten alten Festungen ist auch diese unter der Voraussetzungen gebaut, daß alle Angriffe von See herkommen. Daran, daß so ein Fort auch von innen her aufgerollt werden könnte, denken die Festungsarchitekten anscheinend nie.»

Bewußt übersah er die Unsicherheit in Rookes schmalem Gesicht. Flüchtig dachte er an Pendennis Castle, in deren Schatten er aufgewachsen war und die er von seinem Fenster aus unzählige Male studiert hatte. Auch diese Festung war gebaut worden, um Stadt und Hafen Falmouth gegen Angriffe von See her zu verteidigen. Und dann, während des Bürgerkrieges, war es ganz anders gekommen: die alte Burg hatte ihre Verteidigungswaffen landwärts gerichtet, um den anrückenden Truppen Cromwells* Widerstand zu leisten und König Charles' letzte Bastion zu schützen. Auf einem alten Bild in

* Oliver Cromwell stürzte 1649 König Charles I. und ließ ihn hinrichten. War dann bis zu seinem Tode (1658) als» Lord-Protector «ein ungeliebter Herrscher (d. Ü.).

Bolithos Haus bildete die Belagerungsszene den Hintergrund für das Porträt von Captain Julius Bolitho, der versucht hatte, die Blok-kade zu brechen und seine Schiffsladung zu der belagerten Burg durchzubringen. Doch der Versuch war mißglückt. Er fiel durch eine Musketenkugel, die ihm die Schande ersparte, gehängt zu werden. Und so oder so war die Feste Pendennis gefallen.

Mühsam zog sich Bolitho den Grat eines von der See glatt gewaschenen Felsens entlang und starrte an der Klippe empor.»Ich glaube, hier sind wir richtig. «Sein Herz paukte ihm gegen die Rippen, und schweißnaß klebte ihm das Hemd am Körper.

Es sah wirklich sehr steil aus, aber wenn er die Entfernung richtig geschätzt hatte, so mußten sie direkt unter der runden Kuppe des Vorgebirges sein, wo die Brustwehr bis auf ein paar Fuß an die Felskante heranreichte.

«Mr. Tomlin, sind Sie bereit?«Tomlin war der Bootsmann der Hyperion, ein untersetzter, stark behaarter, ungewöhnlich kräftiger Mann. Aber trotz seines gewaltigen Körperbaus und seiner Muskelkraft hatte Bolitho niemals gesehen, daß er einen Matrosen, über den er sich ärgerte, geschlagen hätte.

Jetzt stand er auf einem Felsbrocken und hielt einen schweren Wurfhaken in seiner mächtigen Hand.»Fertig, Sir. «Wenn er den Mund öffnete, sah man, daß ihm zwei Vorderzähne fehlten, was seiner schon furchterregenden Erscheinung beim Grinsen noch einen greulich irren Akzent aufsetzte.

Bolitho musterte sein Detachement. Die Männer waren vom Sprühwasser der Brandung und vom klebrigen Schleim der Algen durchweicht und sahen wildäugig und desperat aus.

Er sprach langsam, aber knapp.»Mr. Tomlin klettert als erster hoch und sichert den Haken. Dann ich; danach folgen die anderen, aber nie mehr als zwei auf einmal. Verstanden?«Wortlos nickten einige, und er fuhr fort:»Keiner gibt einen Laut von sich, ehe ich es befehle. Wenn wir gesehen werden, ehe wir oben und über der Mauer sind, können wir nicht wieder zurück. «Er blickte ihnen grimmig in die Gesichter.

«Tut genau, was ich tue, und bleibt zusammen!»

Er mußte das plötzliche Mitgefühl unterdrücken, das ihn angesichts dieser erschöpften, aber ihm blind vertrauenden Matrosen überkam. Doch sie mußten ihm vertrauen, anders ging es nicht. Also nickte er kurz.»Schön, Mr. Tomlin. Nun lassen Sie mal sehen, ob Sie Kraft in den Armen haben!»