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«Ah!«seufzte Bellamy, als der goldene Rand der Sonnenscheibe über der Kimm aufglänzte. Und da lag auch die Insel, vielleicht vier Meilen voraus. Die buckligen Höhen und das dunkle Viereck der Festung standen schwarz vor dem immer heller werdenden Sonnenlicht. Von Westen sieht die Insel ganz anders aus, dachte Bolitho. Doch als er das Fernrohr ans Auge hob, konnte er die weißen Brecher am Fuße des Vorgebirges erkennen. Dagegen wirkte die Steilküste sehr hoch und mächtig.

Wieder überkam ihn ein Schauer, und er mußte an die langen Monate seines Krankenlagers in Falmouth denken. Mühelos konnte er sich das große Haus ins Gedächtnis rufen, den Blick auf die Mole und Pendennis Castle, die er vom Fenster seines Krankenzimmers hatte sehen können, wenn er nicht gerade zu benommen und schwindlig gewesen war. Dazu das Haus mit den großen, nachgedunkelten Porträts der Bolithos, die alle auf See gelebt und auf See den Tod gefunden hatten. Denn er war der letzte seine Geschlechts; es gab niemanden außer ihm, der die Familientradition fortführen konnte.

Er dachte auch an Nancy, seine jüngste Schwester. Sie hatte ihn zusammen mit Allday durch die vielen schweren Fieberanfälle gebracht. Sie liebte ihn innig, das wußte er recht gut, und versuchte bei jeder Gelegenheit, Mutterstelle an ihm zu vertreten.

Gelassen beobachtete er die rasch dahinziehenden Wolken. Wenn er heute umkam, würde das alte Haus Nancy gehören. Sie war mit einem Gutsbesitzer aus Falmouth verheiratet, einem Landedelmann, der nur für die Parforcejagd und gutes Essen lebte. Er hatte schon längst ein Auge auf Bolithos Haus geworfen und würde nur zu gern einziehen.

«Ihr Degen, Captain«, flüsterte Allday. Automatisch hob Bolitho die Arme und spürte den festen Druck des Gurtes um seine Mitte, als Allday die Schnalle schloß und dabei murmelte:»Ein bißchen lockerer geworden, seit Sie ihn das letzte Mal getragen haben, Captain. «Er schüttelte den Kopf.»Sie brauchen eine ordentliche Portion kornischen Hammelbraten!»

«Machen Sie nicht so ein verdammtes Theater!«Bolitho senkte die Hand und fuhr über den abgewetzten Degengriff. Er hätte den alten Degen in der Kajüte der Hyperion hängen lassen sollen. Aber der Gedanke, daß er jemand anderem in die Hände hätte fallen können, oder — noch schlimmer — auf Nancys Gatten übergehen, war ihm unerträglich. Der Kerl hätte ihn bestimmt zwischen Hirschgeweihen und ausgestopften Fuchsköpfen an die Wand gehängt, denn für ihn war die Waffe nur ein Schaustück mehr.

Bolitho versuchte, sich daran zu erinnern, wie ihm sein Vater den Degen überreicht hatte, aber er konnte sich von dem stolzen alten Herrn mit dem einen Arm und dem dicken, graumelierten Haar kein klares Bild mehr machen.

Er zog die Klinge ein paar Zoll weit aus der Scheide und sah den rasiermesserscharfen Stahl im jungen Sonnenlicht aufglitzern. Alt — aber so echt und treu wie eh und je. Er stieß sie in die Scheide zurück und fuhr herum, als er Bellamy erleichert murmeln hörte:»Bei Gott, da ist sie ja!»

Der Rumpf der Hyperion lag noch in tiefem Schatten, aber die Bram- und Marssegel standen so klar und weiß im Sonnenlicht wie die eines Geisterschiffes. Während er noch hinüberblickte, erschienen wie durch Zauberkraft auch die Royals, und plötzlich wehte Gischt um den Bug. Der Landwind hatte das Schiff erreicht; es rollte wie in einer müden Verneigung.

Allday sagte:»Sie ändert den Kurs — hat uns gesehen.»

Im Vorschiff der Hyperion blitzte es kurz auf, und Sekunden später war ein dumpfes Krachen zu hören. Erschrocken zogen alle an Deck der Schaluppe die Köpfe ein, als das Geschoß über das kleine Schiff heulte, aber weit vor ihnen ins Meer klatschte.»Verdammt!«keuchte Bellamy.»Das war knapp!»

Bolitho spürte die gleiche eiskalte Erregung wie schon so oft, und das Grinsen fror auf seinem Gesicht wie eine Maske fest.»Sollte es auch. Das muß doch echt aussehen. «Er faßte den empörten Bella-my am Arm.»Los! Ran jetzt!»

Der Leutnant brüllte durch die hohlen Hände:»Alle Mann aufentern! Setzt Großsegel und Fock!«Die Männer eilten auf Stationen, und er rannte zur gegenüberliegenden Reling.»Heißt die Flagge, zum Teufel!«Aber sogar er war beinahe überrascht, als die selbstgemachte Trikolore an die Gaffel stieg und herausfordernd im Winde flatterte.

Die Schaluppe gehorchte den Segeln gut; in der langen ablandigen Dünung flog Gischt in großen weißen Streifen von ihrem Bug.

Der einzige andere Offizier der Chanticleer machte sich jetzt bemerkbar.»Geschützbedienung auf Stationen! Geschütze ausrennen!»

Die Stückpforten sprangen auf, und die schlanken Rohre reckten sich wie neugierige Hundenasen über die milchig schimmernde Bugwelle. Im Vorschiff, festgebunden wie ein stumpfschnauziges Raubtier, stand die zweite Karronade der Hyperion. Sie war bereits geladen und überprüft worden, während Bolitho in seinem unbequemen Sessel geschlummert hatte. Diese Kanone verschoß eine mächtige Kugel von achtundsechzig Pfund, die beim Aufschlag zerbarst. Sie war mit Bleischrot gefüllt und wirkte auf kurze Entfernung mörderischer als alles bisher Bekannte. Vielleicht würde sie heute über Erfolg oder Scheitern der Aktion entscheiden.

Wieder jaulte eine Zwölfpfünderkugel über ihre Köpfe und warf eine halbe Kabellänge vor dem Bug der Schaluppe eine hohe Wassersäule auf.

Bolitho wandte sich Rooke zu, der neben ihm auftauchte, die schlanke Gestalt in ein geborgtes Matrosenjackett gehüllt. Doch selbst so wirkte er elegant. Gepreßt sagte er:»Das ist bestimmt unser Mr. Pearse, Sir. Der feuert jeden Schuß persönlich ab, oder ich müßte mich sehr täuschen. «Er biß die Zähne zusammen, als die dritte Kugel hart längsseit niederfuhr und die Geschützbedienungen der Schaluppe mit Sprühwasser überschüttete.

«Pearce hat sicherlich ein gutes Auge«, sagte Bellamy, aber es klang doch etwas unbehaglich.

Ferner Trompetenschall übertönte das Sausen der Takelage und das Zischen des Spritzwassers. Bolitho hob sein Glas ans Auge. Über der Festung stieg die Flagge hoch; Sonne funkelte auf einem Teleskop über der Batterie oder auf einem Geschützrohr.

«Kursänderung, Bellamy!«befahl er knapp.»Denken Sie daran, was ich Ihnen sagte: runden Sie die Landzunge so dicht wie irgend möglich!»

Und Bellamy gab seine Kommandos. Die Hyperion halste und schwang bedrohlich herum, bis sie fast parallel zur Schaluppe lag. Sie war noch eine gute Meile entfernt, aber unter dem mächtigen Druck ihrer Segel und des achterlichen Windes lief sie schnell und gut. Jeder Beobachter an der Küste mußte annehmen, daß sie sich verzweifelt anstrengte, die Schaluppe zu überholen und abzufangen, ehe sie einen Schlag machen und den sicheren Hafen erreichen konnte.

Von der Klippe her antwortete jetzt ein Dröhnen, und alle lauschten auf das hohe Jaulen des Geschosses, das über ihre Masten hinwegflog.

«Ich sehe keinen Schaden«, sagte Rooke.

Bolitho biß sich auf die Lippen. Durchs Glas hatte er erkannt, daß im bauchigen Großsegel der Hyperion ein Loch klaffte. Wirklich ein guter Schuß!»Wenigstens konzentrieren sie sich im Moment auf Quarme«, sagte er; aber er mußte sich Mühe geben, daß seine Worte einigermaßen heiter klangen — in Wirklichkeit war ihm keineswegs so zumute. Im steigenden Licht besaß die Hyperion eine eigenartige, schwer zu erklärende Schönheit. Er konnte die drohende Galionsfigur sehen, die Wasserreflexe an der hohen Bordwand, und er fühlte etwas wie körperlichen Schmerz, als wieder ein Geschütz der Batterie feuerte und dicht am Heck des alten Schiffes eine Wasserfontäne aufspritzte. Der kann als Abpraller in den Rumpf gegangen sein, dachte er grimmig. Er warf einen Blick auf die Brustwehr der Festung — noch kein Rauch zu sehen. Aber sie würden nicht lange brauchen, um die Glut der über Nacht heruntergebrannten Essen anzufachen; dann würden sie mit glühenden Kugeln schießen, und jeder Treffer konnte die Hyperion in eine brennende Hölle verwandeln.