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Bolitho zürnte sich selbst, weil ihm die Fairfax durch die Lappen gegangen war. Allerdings hätte er damit rechnen können, denn kein Linienschiff war schnell genug, eine Sloop im Dunkeln zu erwischen, und die Batterie dort oben sorgte schon dafür, daß die Hyperion bei Tageslicht nicht zu dicht herankam.

Nachdenklich blickte Bolitho zu Quarme hinüber.»Wie ist die Sicht jetzt?»

Quarme zuckte die Achseln.»Ändert sich stündlich, Sir. Augenblicklich knapp zwei Meilen.»

Bolitho nickte. Seit dem ersten Tageslicht hatte der Wind immer mehr abgeflaut, so daß die milchige See sich nur wenig kräuselte — ein paar elende kleine Böen hatten sie gerade so viel angetrieben, daß das Schiff sich steuern ließ. Im Lauf des Morgens war Nebel aufgekommen, der hin und her wogte und manchmal sogar die Insel längere Zeit verhüllte. Spielt auch keine Rolle mehr, dachte er resigniert; die Garnison weiß sowieso, daß wir da sind. Und die Schaluppe war entwischt.

«Darf ich fragen, was Sie vorhaben, Sir?«unterbrach Quarme sein Nachdenken.

Bolitho sah ihn an.»Haben Sie einen Vorschlag zu machen?»

Quarme senkte den Blick.»Es steht mir zwar nicht zu, Sir, aber ich glaube doch, es wäre klug, Lord Hood zu informieren. «Er schien eine Unterbrechung zu erwarten; als sie ausblieb, fuhr er fort:»Bis jetzt kann Ihnen niemand einen Vorwurf machen. Aber wenn der Admiral nicht rechtzeitig Meldung bekommt, wird er Ihnen das sehr übelnehmen.»

«Danke sehr, Mr. Quarme, daran habe auch ich gedacht. «Bolitho stand auf und machte ein paar Schritte auf dem Teppich. Eine Sekunde lang starrte er seinen Degen an, der neben der Tür hing.»Aber wir haben nur zwei Schiffe. Wenn ich die Princesa mit Depeschen losschicke, weiß kein Mensch, was für eine Geschichte der Admiral zu hören kriegt, ganz egal, was ich geschrieben habe. Und wenn wir selbst segeln — glauben Sie wirklich, daß der Spanier mit einem plötzlichen Angriff vom Festland her allein fertig wird?»

Sichtlich betroffen trat Quarme von einem Fuß auf den anderen, und Bolitho fuhr lächelnd fort:»Vielleicht denken Sie, daß ich zum Kommandanten der Princesa zu grob war?»

Deutlich stand ihm das Bild vor Augen: der unglückselige Spanier hatte eben dort gesessen, wo Quarme jetzt saß, ein verdüsterter, übelnehmerischer Mann, der zuerst so getan hatte, als verstünde er kaum englisch. Aber unter Bolithos schneidenden Worten fingen seine Augen bald an, erst vor Wut und dann vor Scham zu funkeln. Bolitho hatte ihm sehr deutlich seine Meinung darüber gesagt, daß die Princesa sich nicht am Gefecht beteiligt hatte. Da war der Spanier aufgesprungen und hatte mit wutverzerrtem Gesicht geschrien:»Ich protestiere! Ich konnte die Hafeneinfahrt nicht rechtzeitig erreichen. Ich werde mich bei Admiral Hood wegen Ihrer Anwürfe beschweren!«Stolz warf er den Kopf hoch.»Ich bin in hohen Regierungskreisen nicht unbekannt!»

Bolitho hatte ihm kalt ins Gesicht geblickt, in Gedanken beim Todeskampf des spanischen Flaggschiffs, dessen verbrannte Wrackteile um den Bug der Hyperion trieben.

«Sie werden sogar noch bekannter werden, Capitano, wenn ich Sie wegen Feigheit vor dem Feind unter Arrest stelle! Admiral Moresby hat mir vor seinem Tode die volle Befehlsgewalt übertragen.«Überraschend leicht war diese Lüge über seine Lippen gekommen.»Und nichts von dem, was Sie bis jetzt gesagt haben, überzeugt mich davon, daß Sie überhaupt wert sind, am Leben zu bleiben!»

Bolitho hatte den Anblick eines gedemütigten Mannes immer als etwas Scheußliches empfunden; jetzt mußte er sich zwingen, die Angst und den moralischen Zusammenbruch dieses Mannes mitanzusehen. Aber das war vor zwei Tagen gewesen, als noch eine geringe Chance bestanden hatte, ihre gemeinsame Niederlage irgendwie wettzumachen. Inzwischen jedoch mochte der Spanier gewisse eigene Ideen entwickelt haben, wie er persönlich auf seine Kosten kommen konnte.

«Ich bin trotz allem der Meinung«, sagte Quarme,»daß Sie Lord Hood informieren sollten, Sir. Was der spanische Kapitän getan oder nicht getan hat, dürfte für die Zukunft wenig bedeuten.»

Bolitho wandte sich ärgerlich ab, ärgerlich über sich selbst und über Quarme, weil er ganz genau wußte, daß dieser recht hatte. Doch im Unterbewußtsein hörte er Hoods Worte:»Die Insel ist unverzüglich einzunehmen!«Unverzüglich. Zur Zeit hatte der Admiral an Bord der Victory sicherlich mit seinen eigenen Problemen genug zu tun: der Geheimpolitik in Toulon, der Demonstration der Stärke, die er so ausführlich erläutert hatte. Und inzwischen marschierte die französische Armee immer weiter südwärts, auf die Küste zu.

Gelassen erwiderte Bolitho:»Anscheinend sind Sie und ich öfter verschiedener Meinung. Sie waren ja auch dagegen, daß ich Sir William Moresby zusammen mit den gefallenen Matrosen auf See bestatten ließ.»

Der Themawechsel verwirrte Quarme.»Nun ja, ich meinte, unter diesen Umständen…»

«Admiral Moresby fiel im Gefecht, Mr. Quarme. In meinen Augen besteht kein Unterschied zwischen seinem Tod und dem Tod derjenigen, die ihr Leben für ihn gelassen haben. «Bolithos Stimme war noch ruhig, aber eiskalt.»Sir William ruht auf dem Meeresgrund ebenso sicher wie auf jedem Kirchhof. «Er trat wieder ans Heckfenster.»Unsere Männer sind entmutigt. Wenn gleich die erste Schlacht verlorengeht, ist das schlecht für die Moral. Es hängt so viel davon ab, daß sie Vertrauen zu uns haben, wenn sie der nächsten Breitseite ins Gesicht sehen müssen. Die toten Matrosen sind zusammen mit ihrem Admiral gefallen. Daher sollten sie sein Grab und auch die Zeremonien mit ihm teilen!»

Quarme öffnete schon den Mund zu einer Entgegnung, aber er fuhr erschrocken herum, denn von draußen her drang ein Ruf bis in die Kajüte:»An Deck! Segel in Südwest!»

Bolitho starrte Quarme an.»Kommen Sie mit!«befahl er kurz.»Vielleicht sind die Franzosen schon da.»

Auf dem Achterdeck fiel die Sonne seine Schultern an wie Glut aus einem Feuerofen, aber Bolitho spürte es kaum. Er blickte erst zur Insel hinüber und dann zum Masttopp hinauf. Von Cozar war noch immer nichts zu sehen. Aber draußen über der gleißenden See war der Nebel aufgerissen und hatte sich gelichtet. Midshipman Caswell reichte ihm ein Fernglas.»Kann der Ausguck sie schon ansprechen?«fragte Bolitho. Im Teleskop konnte er wenig mehr erkennen als einen splittergroßen weißen Streifen, der sich kaum von der Kimm abhob.

«Ein kleines Schiff, Sir!«meldete der Ausguck.»Ist allein und steuert Ostkurs.»

«Entern Sie auf, Mr. Quarme«, sagte Bolitho,»und melden Sie mir, was Sie sehen!«Er wußte, daß die anderen ihn aufmerksam beobachteten, und unterdrückte seinen Wunsch, selbst aufzuentern.

Leutnant Rooke war Wachoffizier. Er stand an der Achterdeckreling, das Teleskop unterm Arm, den Hut in die Stirn gezogen, um seine Augen vor dem blendenden Glast zu schützen. Wie immer war seine Uniform tadellos; neben den anderen in ihren fleckigen Hemden oder — wie die meisten — mit nacktem Oberkörper sah er aus wie ein Londoner Dandy.

Bolitho achtete nicht auf sie und versuchte auch, nicht Quarmes hoher, schlanker Gestalt nachzustarren, der rasch zur Saling aufenterte. Rooke hatte bestimmt seinen Spaß an der Geschichte, dachte er grimmig. Sobald sie wieder beim Geschwader waren, würde er nichts Eiligeres zu tun haben, als sich über den Mißerfolg seines Kommandanten auszulassen. Aber dieser Gedanken, redete Bolitho sich ein, war unfair. Wahrscheinlich beruhte seine Abneigung gegen Rooke nur auf seiner grundsätzlichen Aversion gegen die Bevorzugung von Adligen in der Marine. Bekam jemand den Adelstitel für Tapferkeit und wirkliche Verdienste — gut und schön. Aber später wurde dieser Titel oft genug zu einer Belastung für ehrgeizige Nachkommen. In London hatte Bolitho jedesmal eine ganze Anzahl von dieser Sorte getroffen: verwöhnte, egoistische junge Stutzer, die das Offizierspatent ihrer Geburt und ihrem Reichtum verdankten und trotz der Uniform, die sie mit so viel Prahlerei trugen, keine Ahnung von der Marine hatten.