In diesem Augenblick tauchte der FSOJ hinter der Biegung des Gangs auf. Trotz der auf den Körper stoßenden und einschlagenden Metallstäbe und — keulen kam er schnell voran. Die vier Tentakel mit den Hornspitzen peitschten vor und zurück, hämmerten gegen die angreifenden Metallkolben und — stangen, verbogen sie und rissen einen Stab sogar aus der Verankerung. Der Lärm war unbeschreiblich. Der FSOJ meistert diesen Spießrutenlauf nicht unbedingt mit Bravour, dachte Conway grimmig, als er die zwischen den älteren Narben klaffenden Wunden in der Körperdecke und den aufgeblähten Bauch sah. Berücksichtigte man allerdings den Zustand des FSOJs, bewegte er sich ziemlich schnell vorwärts. Plötzlich spürte Conway, wie eine Hand an seinem Arm rüttelte.

„Conway, Murchison, sind Sie beide taub?“ brüllte Fletcher sie an.

„Los, zurück zur Luftschleuse!“

„Einen Moment noch, Captain“, antwortete Murchison und schüttelte Fletchers Hand ab. Dann richtete sie ihre Kamera auf den heranstürmenden FSOJ. „Das muß ich unbedingt festhalten. Ich würde mir zwar zur Geburt meiner Kinder nicht so eine Umgebung aussuchen, aber andererseits nehme ich an, dem FSOJ hat man gar keine andere Wahl gelassen… paßt mal auf!“

Der FSOJ hatte inzwischen den Abschnitt des Gangs erreicht, der von Fletcher mit dem Schneidbrenner zum Teil von den Metallstäben bereinigt worden war. Ohne ein sich ihm entgegenstellendes Hindernis stürzte sich das Wesen durch das beschädigte Gitter und zappelte — jetzt, wo es durch den Mechanismus im Gang nicht mehr zu Boden geschlagen wurde — plötzlich schwerelos über ihnen und drehte sich hilflos um die eigene Achse, sobald einer der wild um sich schlagenden Tentakel die Wand traf.

Conway drückte sich mit den Handgelenk- und Fußmagneten flach zu Boden und kroch rückwärts auf die Luftschleuse zu. Murchison tat bereits das gleiche, nur Fletcher war noch immer auf den Beinen. Er zog sich langsam zurück und schwang dabei den voll aufgedrehten Schneidbrenner hin und her, den er wie ein Flammenschwert vor sich hielt. Einer der Tentakel des FSOJs hatte schwere Verbrennungen erlitten, aber für das Wesen schien das überhaupt kein Hemmnis zu sein. Fletcher stöhnte plötzlich laut auf, als ihn einer der Tentakel des FSOJ am Bein traf. Durch diesen Hieb wurden die Fußmagneten vom Boden gerissen, und der Captain schlug hilflos Räder durch die Luft.

Instinktiv griff Conway nach einem vorbeiwirbelnden Arm, brachte den Captain wieder ins Gleichgewicht und schob ihn in den geraden Abschnitt des Korridors. Ein paar Minuten später befanden sie sich alle drei in der Schleusenkammer und in so großer Sicherheit, wie man es in ein paar Metern Entfernung von einem herumwütenden FSOJ nur sein konnte.

Aber glücklicherweise handelte es sich um einen körperlich geschwächten FSOJ… Während sie das Wesen durch die einen Spaltbreit geöffnete Innenluke beobachteten, überprüfte Fletcher den Auslöseknopf des Schneidbrenners und richtete das Gerät auf die Außenluke. „Ich glaube, diese verdammte Bestie hat mir das Bein gebrochen“, sagte er mit schmerzverzerrter Stimme.

„Aber jetzt können wir die Innenluke offenhalten, ein Loch in die Außenluke schweißen und den Druck schnell aus dem Schiff ablassen.

Dann ist das Biest geliefert. Aber wo ist der andere Überlebende? Wo ist der blinde Alien?“

Langsam und bedächtig schob Conway die Handfläche vor die Düse von Fletchers Schneidbrenner. „Es gibt keinen blinden Alien mehr. Die Schiffsbesatzung ist tot.“

Murchison und Fletcher starrten ihn an, als wäre aus dem Arzt mit einem Schlag ein geistesgestörter Patient geworden. Doch für Erklärungen blieb keine Zeit.

„Wir sind mit dem Telepathen schon einmal über eine größere Entfernung als jetzt in Kontakt getreten“, sagte Conway langsam, wobei er die Worte mit großer Sorgfalt wählte. „Jetzt befindet er sich in der Nähe, und wir müssen es noch einmal versuchen. Diesem Wesen bleibt nur noch so wenig Zeit…“

„Das Wesen Conway hat recht“, bestätigte eine lautlose Stimme in ihren Köpfen. „Ich hab nur noch sehr wenig Zeit.“

„Und die dürfen wir nicht vergeuden“, sagte Conway in eindringlichem Ton. Er blickte Murchison und Fletcher flehentlich an und fuhr fort: „Ich glaube, einige der Antworten zu kennen, aber wir müssen noch viel mehr herausbekommen, wenn wir wirklich in der Lage sein wollen zu helfen.

Denkt mal scharf nach. Was sind die blinden Aliens? Wer und was sind die Beschützer? Warum sind sie so wertvoll für die…“

Und auf einmal wußten sie es.

Der Grund dafür war nicht das langsame, stete Rinnsal von Mitteilungen durch das gesprochene Wort, sondern ein großer, klarer Informationsfluß, der ihre Gehirne mit sämtlichen Kenntnissen über die Spezies von der Vorgeschichte bis zur Gegenwart füllte.

Die blinden Aliens… Die Vorfahren dieser Lebewesen waren kleine, im Urschlamm des Planeten wühlende Plattwürmer ohne Sehvermögen gewesen, die größtenteils von Aas gelebt, oftmals jedoch auch größere Lebensformen durch ihren Stachel erst gelähmt und dann stückweise gefressen hatten. Sie entwickelten sich zu blinden Jägern, deren Tastsinn sich so fein ausbildete, daß sie keinen anderen Sinneskanal mehr benötigten.

Durch spezialisierte Fühler besaßen sie die Fähigkeit, die Bewegungen ihrer Beute auf der Oberfläche zu erfühlen, ihre charakteristischen Schwingungen zu identifizieren und knapp unter dem Boden auf sie zu lauern, bis diese in Reichweite ihres Stachels kamen. Mit Hilfe anderer Fühler konnten sie aber auch Spuren auf der Oberfläche erkunden und identifizieren, folgten ihrem Opfer über weite Entfernungen zu dessen Lagerstätte und gruben sich dann entweder in die Erde ein, um ihre Beute von unten zu stechen, oder griffen ihr Opfer direkt an, wenn dessen Innenschwingungen verrieten, daß es schlief. Gegen einen sehenden Gegner bei vollem Bewußtsein konnten sie auf der Oberfläche natürlich nicht viel ausrichten, und deshalb waren sie häufig selbst vom Jäger zum Gejagten geworden. Aus diesem Grund konzentrierte sich ihre Jagdstrategie auf verschiedene taktische Varianten des Hinterhalts.

Auf der Oberfläche bildeten sie Spuren und andere Kennzeichen kleiner Tiere nach, und diese Nachahmungen lockten dann größere Beutetiere in ihre Fallen. Doch die Oberflächentiere waren immer größer und stärker geworden, weshalb ihnen der Stachel eines einzigen Verfahrens der blinden Aliens nicht mehr ernsthaft schaden konnte. Deshalb waren die blinden Wesen zum gemeinsamen Handeln gezwungen, um immer kompliziertere Hinterhalte zu legen, und diese Zusammenarbeit bei den ehrgeizigeren Unternehmungen zur Nahrungsbeschaffung führte wiederum zu sich ausweitenden Kontakten, dem Bau unterirdischer Nahrungslager, der Gründung von Gemeinden, Städten und Großstädten sowie der Einrichtung von sie miteinander verbindenden Kommunikationssystemen. Die Aliens ›unterhielten‹ sich bereits miteinander, unterrichteten ihre Jungen durch körperliche Kontaktaufnahme und ersannen Methoden, mit denen man Schwingungen verstärken und über weite Strecken erfühlen konnte.

Die blinden Aliens konnten Schwingungen im Boden und in der Atmosphäre fühlen und schließlich ›spürten‹ sie durch den Einsatz von Verstärkern und Transformatoren sogar Licht. Sie entdeckten das Feuer, erfanden das Rad und den Gebrauch von Funkfrequenzen durch die Umwandlung in ein ertastbares Medium, und schon bald war der Planet mit Funkbaken überzogen, die ihnen lange Reisen mit mechanisch betriebenen Transportmitteln ermöglichten. Obwohl sie die Vorteile des motorbetriebenen Fliegens kannten — sehr viele blinde Aliens waren bei Flugversuchen ums Leben gekommen —, blieben sie doch lieber mit dem Boden in Berührung, weil sie schließlich absolut nichts sehen konnten.

Das bedeutete jedoch nicht, daß sie sich ihres Mangels nicht bewußt waren. Praktisch jedes nichtintelligente Geschöpf auf dem Planeten besaß die ihnen unbekannte Fähigkeit zur genauen Navigation sowohl über kurze als auch über lange Entfernungen, ohne die Windrichtung oder die durch von entfernten Gegenständen abprallenden Schwingungen erzeugten Luftverwirbelungen erfühlen zu müssen. Aber die blinden Aliens wußten nicht genau, was dieses Sehvermögen überhaupt sein könnte. Gleichzeitig wurden sie sich jedoch durch die steigende Differenziertheit ihres weitreichenden Fühlungssystems vieler und komplizierter Schwingungen bewußt, die sie von außerhalb ihrer eigenen Welt erreichten. Es gab also vernunftbegabte Wesen mit wahrscheinlich viel größerem Wissen, von denen diese leichten Berührungen ausgingen. Diese Wesen könnten ihnen vielleicht beim Erlangen dieses Sinnes helfen, den anscheinend außer ihnen selbst alle Lebewesen besaßen.