„Vielleicht nicht“, sagte er deshalb schnell zu Fletcher, „aber es gibt eine Möglichkeit, das herauszufinden.“

Fletcher musterte ihn zwar mit bösem und verdutztem Blick, ging aber doch zur Öffnung vor dem Steuerpult. Schon ein paar Sekunden später setzten die Geräusche und die mechanische Tätigkeit im Käfiggang wieder ein — ebenso Conways Kopfschmerzen.

„Der Zustand der Überlebenden bessert sich wieder“, berichtete Prilicla.

„Wie weit hatten die sich denn das letztemal erholt?“ fragte Conway besorgt. „Können Sie anhand der emotionalen Ausstrahlungen sagen, ob der eine Alien gerade den anderen angreifen wollte?“

„Beide Überlebende waren ein paar Minuten lang bei vollem Bewußtsein“, antwortete Prilicla. „Die Ausstrahlungen waren so stark, daß ich die Unklarheit über ihren Aufenthaltsort beseitigen konnte. Sie sind nicht mehr als zwei Meter voneinander entfernt, und keiner von beiden plant einen Angriff oder hat einen Angriff geplant.“

„Wollen Sie damit sagen, ein blinder Alien und ein FSOJ bei vollem Bewußtsein liegen so nahe beieinander, ohne daß das Tier an einen Angriff denkt?“ fragte Fletcher in verblüfftem Ton.

„Vielleicht hat der blinde Alien einen Spind oder etwas Ähnliches zum Verstecken gefunden“, schlug Conway als Erklärung vor. „Und für den FSOJ bedeutet das in diesem Fall, ›aus den Augen, aus dem Sinn‹.“

„Entschuldigen Sie“, schaltete sich Prilicla erneut ein. „Ich kann auf keinen Fall mit absoluter Sicherheit sagen, ob die beiden Wesen verschiedenen Spezies angehören. Lediglich die Art der emotionalen Ausstrahlung deutet klar darauf hin. Der eine Alien strahlt Wut, Schmerzen und nur wenig andere Gefühle aus, während die Emotionen des zweiten Alien die Vielschichtigkeit eines vernunftbegabten Verstands aufweisen.

Vielleicht würde Ihnen ja helfen, wenn sie die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß es sich bei beiden um blinde Aliens handelt, von denen der eine einen schweren Gehirnschaden davongetragen hat, der das von mir wahrgenommene wilde, geistlose Emotionsmuster verursacht.“

„Eine nette Theorie, Doktor Prilicla“, entgegnete Fletcher. Plötzlich zuckte er zusammen und fuhr mit den Händen instinktiv zum Kopf, wurde aber durch den Helm abrupt daran gehindert. „Damit erklären Sie zwar die unmittelbare gegenseitige Nähe der Aliens, aber nicht die Beeinflussung ihres Zustands durch den Mechanismus im Käfiggang. Es sei denn, ich hab auf irgendeine Weise die Steuerungssysteme beschädigt und aus Versehen eine Verbindung zwischen dem Kontrollhebel für den Korridor und irgendeinem wichtigen Lebenserhaltungssystem hergestellt — vielleicht mit einem medizinischen Behandlungsgerät oder einem… ach, ich bin vollkommen durcheinander!“

„Wir sind alle durcheinander, mein Freund“, erwiderte der Empath.

„Daran besteht bei der allgemeinen emotionalen Ausstrahlung doch überhaupt kein Zweifel.“

„Lassen Sie uns an Bord der Rhabwar zurückkehren“, schlug Conway auf einmal vor. „Ich brauche ein bißchen Ruhe zum Nachdenken.“

Kurz darauf verließen sie das Schiff der blinden Aliens. Sie hatten Chen als Wache zurückgelassen und ihm eingebläut, Abstand zu halten und den Schiffsrumpf unter gar keinen Umständen zu berühren. Auch Prilicla kehrte mit ihnen zurück, da er nach eigener Aussage die Emotionen der Überlebenden wegen deren starken Ausstrahlung auch aus der Entfernung überwachen konnte. Der Grund dafür war der fortwährende Betrieb des Mechanismus im Käfiggang und die zunehmende Besserung des Gesundheitszustands der beiden Aliens.

Sie gingen durch die Schleuse des Unfalldecks an Bord und begaben sich direkt ins Labor, wo sie eine blutbespritzte Murchison und zahlreiche, über die Seziertische verstreute Leichenteile der FSOJs und des blinden Aliens vorfanden. Als Conway den Captain darum bat, den Grundriß des Alienschiffs mit den neuesten Daten und Informationen darzustellen, gesellte sich auch Naydrad zur Gruppe. Fletcher sah man die Erleichterung an, etwas zu tun zu haben, da er offensichtlich nicht das enge berufliche Interesse der anderen an den extraterrestrischen rohen Fleischstücken teilte, die über das ganze Labor verstreut waren.

Als der Grundriß auf dem Bildschirm des Labors erschien, bat Conway den Captain, ihn bei eventuellen Fehlern zu korrigieren, und gab dann einen Überblick über das vor ihnen stehende Problem.

Wie die meisten größeren Probleme setzte sich auch dieses aus vielen kleineren zusammen, von denen einige durchaus zu lösen waren. Da war zuerst einmal das Schiff der blinden Aliens, das nach vorläufiger technischer Untersuchung von der Konstruktion her einwandfrei war und noch über sämtliche Energiereserven verfügte. Seine Form glich einer zum Rand hin dünner werdenden Scheibe. In der Mitte dieser Scheibe befand sich ein Kreis, der ungefähr ein Drittel des Schiffsradius' einnahm und die Aggregate zur Energieerzeugung und damit in Verbindung stehende Geräte und Ausrüstungsgegenstände enthielt. Um diesen Bereich herum verlief ein kreisförmiger Gang, der mit der Luftschleuse durch einen kurzen, geraden Korridor verbunden war und in der Draufsicht wie eine Sichel mit einer runder Klinge aussah, deren Spitze beinahe an den Griff stieß. In dem kurzen Stück zwischen der Klingenspitze und dem Ende des Griffs befanden sich die Steuerpulte der blinden Aliens.

Hinter der Außenseite des kreisförmigen Gangs waren die zur Lebenserhaltung notwendigen Güter sowohl für die Besatzung als auch für deren Gefangene gelagert. Da der Schiffsumfang von den Proportionen her der FSOJ-Lebensform angepaßt war, konnte man von einem speziell für den Transport dieser Lebewesen gebauten Schiff ausgehen. Daran ließen auch die Beleuchtung, die Atmosphäre und der Futterspender für die FSOJs keinen Zweifel.

Conway hielt kurz inne und musterte Fletcher und die anderen. Aber niemand widersprach. „Mir machen nur noch die sich schnell bewegenden Stangen und Kolben Kopfzerbrechen, besonders die mit den spitzen und keulenartigen Enden, weil ich mich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden kann, daß die FSOJs einzig und allein zum Foltern da sind“, fuhr er fort.

„Mir gefällt der Gedanke einer Dressur oder vielleicht einer Domestizierung für einen ganz bestimmten Zweck viel besser. Niemand konstruiert für eine nichtintelligente Lebensform extra ein interstellares Schiff, es sei denn, diese Lebewesen sind für die Erbauer des Schiffs außerordentlich wertvoll.

Deshalb müssen wir uns fragen: Was haben die FSOJs, was die blinden Aliens nicht haben? Was brauchen die Aliens am dringendsten?“

Alle starrten schweigend den FSOJ-Leichnam an. Plötzlich blickte Murchison zu Conway auf, aber Fletcher kam ihr zuvor.

„Die Augen?“

„Genau“, bestätigte Conway und fuhr fort: „Ich will natürlich nicht behaupten, die FSOJs wären sozusagen die Blindenhunde der Aliens. Aber wenn ihr Hang zur Gewalt erst einmal gebändigt ist, halte ich eine symbiotische oder parasitäre Verbindung für möglich, indem sich der blinde Allen durch die Stoppeln oder Fühler an der Unterseite mit dem zentralen Nervensystem des FSOJ und besonders mit dessen Sehnerven verbindet, um auf diese Weise…“

„Das ist unmöglich“, unterbrach ihn Murchison in bestimmtem Ton.

Prilicla zitterte wegen der von Conway ausgestrahlten Gefühle des Ärgers und der Enttäuschung. Das vorherrschende Gefühl war allerdings die Enttäuschung, weil Conway wußte, daß Murchison niemals so geradeheraus gesprochen hätte, wenn sie sich ihrer Sache nicht absolut sicher gewesen wäre.

„Dann vielleicht durch einen chirurgischen Eingriff und ein Dressurprogramm…“, schlug Conway hoffnungsvoll vor, aber Murchison schüttelte nur den Kopf.

„Tut mir leid“, entgegnete sie. „Wir haben inzwischen über beide Lebensformen Informationen genug, um eine symbiotische oder parasitäre Verbindung mit Sicherheit ausschließen zu können. Die blinden Aliens, die ich vorläufig als CPSD klassifiziert hab, sind Allesfresser und haben zwei Geschlechter. Einer der Leichname ist männlich, und der andere weiblich.