Eva dachte an das Kleid. Streifen streckten wirklich. Das Kleid war schцn und stand ihr gut. Sie schob den Glasteller mit dem Nachtisch weg.

»Ich bin satt.« Ein bisschen Schlagsahne hatte sie ge­gessen, sonst nichts. Der Vater nahm den Teller und \J stellte ihn vor Berthold hin. Nur nichts verkommen lassen.

Eva lag in der Badewanne und formte aus dem Schaum kleine Bдllchen, kleine weiЯe Schaumbдllchen, vцllig ohne Gewicht, die auf ihrer Haut kitzelten. Wenn sie tiefer in die Wanne hineinrutschte, konnte sie den Schaum knistern hцren. Es klang sehr laut, sehr beein­druckend. Kaum zu glauben, dass dieses kцrperlose

Zeug diese Gerдusche verursachte. Eva liebte Schaum­bдder, Fichtennadelschaumbдder. Es roch nach Pinien und Urlaub. Sie musste nur die Augen zumachen. Ka-rola hatte ihr mal erzдhlt, dass man in Sьdfrankreich Lavendel am StraЯenrand pflьcken kцnnte. Frankreich. »Dieses Jahr klappt es nicht mit dem Urlaub«, hatte der Vater gesagt. »Aber nдchstes Jahr fahren wir nach

Frankreich. Und in zwei Jahren nach Griechenland.«

Und danach, hatte Eva gedacht, danach fahre ich nicht mehr mit.

Sie lieЯ ihre Hдnde ьber die Schaumhьgel gleiten, streichelte den Schaum, bis er zerging unter ihren Handflдchen. Schцn war das warme Wasser, und schцn war die Schaumdecke, die ihren Kцrper verbarg. Im Sand hatte sie sich eingegraben, vor zwei Jahren, in Grado, im warmen Sand. Berthold hatte sie voll ge­schaufelt, und als sie schon unter einer dicken Sand­schicht lag, nur ihr Kopf schaute noch heraus, hatte er weiter Sand auf sie geworfen, bis sie das Gefьhl be­kam, zu ersticken unter der Last, wirklich begraben zu werden in der flimmernden Hitze, allein zwischen so vielen Menschen. Berthold hatte ihr Sand ins Gesicht geschaufelt und Vater, mit auffallend dьnnen Beinen fьr seinen mдchtigen Kцrper, hatte gelacht. Er hatte laut gelacht, als Eva plцtzlich anfing zu weinen und sich mit hastigen Hдnden Sand vom Kцrper schob, un­geduldig mit den sandigen Fingern ьber die Augen wischte, noch mehr Sandkцrner in die trдnenden Au-

gen brachte. Eva war wьtend gewesen, wьtend ьber den Vater, wьtend ьber Berthold, hatte sich auf den Bruder gestьrzt und sein Gesicht so lange in den Sand gedrьckt, bis er wild um sich schlug. Der Vater hatte gelacht dazu. Mit seinen dьnnen Beinen hatte er dage­standen und gelacht.

Der Schaum war weniger geworden. Er bildete nur noch schwimmende Inseln auf dem hellgrьnen Wasser. Eva konnte wieder ihren Bauch sehen und ihren Busen. Die Konturen ihres Kцrpers verschwammen, wenn sie mit der Hand im Wasser plдtscherte.

Der Vater klopfte an die Tьr. »Mach schnell, Eva. Ich muss mal.«

Eva trocknete sich ab und zog ihr Nachthemd an. In ihrem Zimmer nahm sie das Kleid, das ьber ihrem Bett lag, und hдngte es sorgfдltig auf einen Kleiderbьgel.

Michel.

Sie strich sich die nassen Haare aus der Stirn. Mor­gen um vier Uhr wьrden sie sich am Brunnen treffen. Eva hдngte den Kleiderbьgel an den Schrank und lieЯ sich auf ihr Bett fallen. Es war schwьl

13

»Komm endlich, Eva.« Michel zog sie hinter sich her. In dem barackenartigen, hellen Bau liefen viele Kinder und Jugendliche herum.

»Hej, Michel, ist das deine Freundin?«, fragte ein Junge mit einer schwarzen Samtweste. Michel nickte.

»Das war Stefan, ein Freund von meinem Bruder«, erklдrte er Eva. »Aber jetzt komm, ich will dir jemand zeigen.«

Sie betraten einen mit Papiergirlanden geschmьckten Raum. Auf einer kleinen Bьhne stand eine Anlage, an der drei Mдnner herumbastelten. Es quietschte und brummte. Michel hielt sich die Ohren zu. »Petrus«, schrie er. »Kommst du mal?«

Einer der Mдnner, ein groЯer, magerer, drehte sich um. Er lieЯ die Anlage noch einmal so laut aufheulen, dass Eva erschrocken den Kopf einzog, dann drehte er den Knopf nach links. »Es klappt jetzt, Jungs«, sagte er zu den beiden anderen. »Ihr kцnnt jetzt die Bдnder ordnen.« Dann sprang er mit einem Satz von der Bret­terbьhne herunter. »Hallo, Michel.« Er reichte Michel die Hand, dann Eva. »Und du bist die Eva?«

Sie nickte verlegen. Der Mann war noch jung. Er ge­fiel ihr, trotz Hakennase und Stirnglatze.

»Ich heiЯe Peter Guardini. Aber hier sagen alle Pet­rus zu mir.« Er grinste und sein Schnauzbart zog sich in die Breite. »Obwohl das nicht immer ein Paradies ist, das ich bewache.«

Eva betrachtete Michel von der Seite. Mit leicht offe­nem Mund starrte er Petrus an. Wie ein kleiner Junge, der gelobt werden will, fand Eva.

Petrus legte seine groЯe Hand auf Michels Schulter. »Schцn, dass du deine Freundin mitgebracht hast. Wir fangen gleich an. Ihr kцnntet noch im Garten beim Dekorieren helfen.«

»O. K., Petrus, machen wir.« Eva ging hinter Michel her durch einen kleinen Raum, in dem Tische und Stьhle aufeinander gestellt waren und nur einen schmalen Weg zur Tьr frei lieЯen, hinaus in die Sonne.

Im Garten standen auf langen Tischen Pappteller und Pappbecher. Ein paar Mдdchen dekorierten die Ti­sche mit Zweigen. »Schau mal, Ilona, dein Bruder mit einem Mдdchen!«

Eva legte die Hand ьber die Augen. Die Sonne blen­dete sie und sie konnte keine Gesichter erkennen.

Ein Mдdchen kam auf sie zu, jьnger als Eva, farblos, fad, viel zu dick. Eva, verlegen, unsicher, hдtte am liebsten gekichert. Das Mдdchen trug ein Kleid aus ge­nau dem Stoff, den die Mutter fьr sie hatte kaufen wollen. Was hatte die Mutter gesagt? »Nimm lieber was Frischeres, Krдftigeres.« Dieses Mдdchen sah nicht frisch aus. Im Gegenteil.

»Wer ist das?«, fragte das Mдdchen und schaute Mi­chel fragend an.

Michel legte einen Arm um Eva. »Das ist Eva«, sagte er. »Meine Freundin.« Und zu Eva gewandt fьgte er hinzu: »Und das ist meine Schwester Ilona.«

Eva streckte dem Mдdchen die Hand entgegen, wollte Guten Tag sagen oder so etwas, aber bevor sie noch den Mund aufmachen konnte, hatte das Mдdchen sich umgedreht und war weggegangen. Eva zog die Hand zurьck. Sie fьhlte sich beschдmt.

»Ilona ist ein bisschen komisch«, sagte Michel. »Aber sie meint es nicht so. Wenn du sie erst ein biss­chen besser kennst, dann wirst du das merken.«

Eva schaute dem Mдdchen zu, das schon wieder mit bedдchtigen Bewegungen Zweige von einem blьhen­den Strauch schnitt. Ilona war ein unpassender Name fьr so ein Mдdchen, ein Name, der nach Lagerfeuer und Zigeunermusik klang.

Eva half Michel beim Zurechtrьcken der Bдnke und beim Verteilen der Limoflaschen. Michel grinste: »Bier gibt es drin an der Theke. Das muss man kaufen.«

»Trinkst du schon Bier?«

Michel lachte. »Hast du geglaubt, ich war' ein Ba­by?«

»Nein, aber das Tueendschutzeesetz ...« Eva war

verwirrt.

»Ach das«, antwortete Michel verдchtlich. »AuЯer­dem bin ich gestern sechzehn geworden.«

»Wirklich? Warum hast du mir nichts gesagt?«

»Ich dachte, wir feiern heute sowieso.«

»Ich hдtte dir etwas schenken kцnnen.«

»Schenk mir etwas, wenn ich wegfahre.«

Laute Musik drang aus dem Haus. »Es fдngt an«, sagte Michel. »Komm schnell.«

In dem geschmьckten Raum hatten viele schon an­gefangen zu tanzen. »Nebenan gibt es ein Programm fьr die Kleinen und die, die nicht tanzen wollen«, er­klдrte Michel. »Was magst du?«

»Tanzen.«

Sie brauchte viel Zeit diesmal, bis sie sich endlich in die Musik hineinfand, viel Zeit und Michels Hand. Aber dann ging es. Es ging dann sogar sehr gut. Ich kann das, dachte sie. Ich kann das immer wieder. Stau­nen und Freude fьhlte sie.

Freiheit.

Sie tanzte schnell, Gesichter schwammen vorbei, fremde Gesichter, und manchmal Michel. Als sie schon fast keine Luft mehr bekam, ging sie mit Michel zu der kleinen Theke.

»Bier«, bestellte Michel. »Du auch, Eva?«

Sie schьttelte den Kopf. »Cola.« Sie sagte das ganz automatisch. Selterswasser wдre ihr lieber gewesen.

»Mach keinen ScheiЯ, Michel«, sagte der bдrtige jun­ge Mann hinter der Theke. »Du weiЯt genau, dass ich dir keins geben darf.«