Pullen stand auf.»Sie übernehmen also die Verantwortung, Sir Richard?»
Bolitho, inzwischen wieder gelassen, wandte sich an ihn.»Jawohl. Kapitän Keen steht unter meinem Kommando, bis ich gegenteilige Befehle erhalte. «Er sah die Gestalt in Schwarz so fest an, wie er konnte.»Wenn Sie Ihren Vorgesetzten in London Meldung erstatten und ihnen von meinen Absichten berichten, mögen Sie von der Reaktion überrascht sein. Aber ich hoffe, daß Sie dann ebensolchen Eifer an den Tag legen wie bei der Verfolgung eines jungen Mädchens, das bereits eine maßlos brutale Behandlung erduldet hat. «Er schaute wieder zu Keen hinüber.
Laforey fragte gereizt:»Warum erfuhren wir das nicht früher?»
Bolitho bemühte sich, nicht mit dem schlimmen Auge zu zwinkern.»Einige Herren waren zu erpicht darauf, mir auf diesem Umweg Schaden zuzufügen, Sir Marcus.»
Jerram wischte sich das Gesicht.»Ich kann die Verhandlung so nicht weiterführen, Sir. «Er schaute Herrick an.»Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nicht.»
Herrick machte den Mund auf und schaute dann zur Tür, als ein Leutnant eintrat und nervös auf ihn zukam. Er reichte ihm ein Stück Papier.
Bolitho blieb stehen. Er mochte seine Karriere ruiniert haben, aber Keen und seine Zenoria waren jetzt entlastet.
Herrick schaute auf.»Das sollten Sie lesen, Sir Richard.»
Bolitho nahm das Papier entgegen und las es langsam und gründlich, spürte dabei, daß aller Augen auf ihm ruhten. Er fühlte die zunehmende Spannung, die bald so intensiv war wie seine Verzweiflung, sein Zorn.
Er sah sich in der Kajüte um und sagte leise:»Der bewaffnete Schoner Columbine ist eingelaufen. «Er sprach so gedämpft, daß einige die Hälse reckten, um ihn besser verstehen zu können.»Mein Geschwader wurde vergangene Woche angegriffen. «Er sah Jerram ausdruckslos an. »Helicon unter Kapitän Inch wurde stark beschädigt, und ihre Besatzung erlitt schwere Verluste. «Keens anziehendes Gesicht war plötzlich schmerzerfüllt. Bolitho sprach mit belegter Stimme weiter.»Was wir befürchtet haben, ist eingetreten. Jobert brach aus, und mein Geschwader griff ihn an. Aber als ich gebraucht wurde, war ich hier.«Er griff nach seinem Hut.»Wie Sir Marcus sagte, stehen wir im Krieg. Es ist eine Schande, daß manche das noch nicht begriffen haben.»
Herrick sagte:»Sie können sich mit Ihrem Flaggkapitän zurückziehen.»
Aber Bolitho war noch nicht fertig.»Noch eines. «Er sah einem nach dem anderen ins Gesicht.»Sie können sich allesamt zum Teufel scheren!«Damit schritt er aus der Kajüte, und Keen folgte ihm einen Augenblick später.
Herrick blieb eine Weile reglos sitzen.
Dann sagte er:»Die Verhandlung ist geschlossen. «Er war von Bolithos Wutausbruch entsetzt, aber nicht überrascht. Der Mann hatte zuviel getan und geopfert, um sich noch groß um die Konsequenzen zu scheren.
Pullen keuchte:»Das kann er sich nicht ungestraft erlauben!»
Herrick sagte kategorisch:»Sie haben wohl nicht verstanden, worum es geht! Die Franzosen sind ausgebrochen, und Nelson, der vor Toulon patrouilliert wie ein Falke, kann keine Schiffe für die Suche nach Jobert entbehren. Zwischen Jobert und seinem Ziel steht nur der Mann, dem wir gerade Unrecht getan haben!»
Laforey sah zu, wie die Zuschauer die Kajüte verließen, schweigend, als hätte ihnen Bolithos leise Stimme die kommende Schlacht vor Augen geführt.
Herrick half Laforey von seinem Stuhl auf.»Ich kenne Bolitho besser als jeden anderen Mann. «Plötzlich mußte er an Allday denken.»Von einer Ausnahme vielleicht abgesehen. Loyal ist er nach beiden Seiten. Wenn man versucht, ihm durch andere Schaden zuzufügen, kämpft er wie ein Löwe. «Er war bemüht, nicht an den Zorn in Bolithos Augen zu denken.»Es gibt aber Schlachten, die selbst er nicht gewinnen kann.»
Er wartete, bis sein Flaggkapitän die Gäste zu ihren Booten gebracht hatte, und ging dann zurück in die Kajüte, auf die er so stolz gewesen war. Wäre ich noch sein Kapitän, würde er ebenso für mich eintreten. Was tat ich, als er mich brauchte — meine Pflicht? Das Wort klang jetzt leer.
Wäre Bolitho bei seinem Geschwader gewesen, hätte das Resultat vielleicht genauso schlimm ausgesehen. Doch Boli-tho würde an seiner Abwesenheit leiden wie an einer Wunde, bis er Jobert bezwungen hatte. Oder ihm unterlag.
Herricks Steward schaute herein.
«Kann ich jetzt Ihre Möbel zurückbringen lassen, Sir?»
Herrick musterte ihn traurig.»Aye, und machen Sie hier gründlich sauber. Es stinkt nämlich.»
Während Herrick durch die Heckfenster starrte, glitt die Barkasse der Argonaute ruhig zwischen den anderen Schiffen hindurch.
Bolitho bemerkte, daß der Riemenschlag langsamer war als sonst und vermutete, daß Allday ihm Zeit lassen wollte, sich wieder zu fassen.
Keen saß ernst neben ihm. Plötzlich sagte er:»Das hätten Sie nicht tun sollen, Sir.»
Bolitho schaute ihn an und lächelte.»Was das Mädchen betraf, hatten Sie keinen Einfluß auf den Gang der Ereignisse, Val. Ich übernahm die Verantwortung, weil ich es so wollte. Sie bedeutet mir viel, und Ihr Glück auch. «Seine Züge wurden weich.»Anfangs war es bei Ihnen nur eine Frage der Menschlichkeit, bis dann Ihr Herz zu sprechen begann.»
Keen sagte so leise, daß die Bootsgasten ihn nicht verstehen konnten:»Darf ich fragen, woher Sie wissen, wer dahintersteckt, Sir?»
«Nein, noch nicht. «Bolitho versuchte vergeblich, Trost in der Tatsache zu finden, daß sein Bluff erfolgreich gewesen war. Aber er sah nur vor sich, wie Inch sich dem Feind entgegengeworfen haben mußte. Die Botschaft des Schoners hatte nur wenige nützliche Nachrichten enthalten, abgesehen von dem Hinweis, daß das feindliche Flaggschiff Leopard hieß.
Wie zu sich selbst sagte Bolitho:»Die Franzosen griffen zuerst Rapid an. Inch versuchte, sie zu schützen, und bekam die volle Wucht des Angriffs zu spüren. Was wollten sie nur mit der Brigg?«Keen beobachtete sein Profil und fragte sich, wie viele andere Aspekte von Bolithos Persönlichkeit es noch gab, die er nicht verstand. Schließlich zuckte Bolitho die Achseln.»Erinnern Sie sich noch an die Achates, Val?»
Keen nickte lächelnd.»Ja, das alte Käthchen.»
«Als Jobert uns angriff, waren wir ihm weit unterlegen. Um ihn zum Nahkampf zu bewegen, konzentrierten wir unser Feuer auf sein kleinstes Schiff, die Diane, und eroberten so die Argonaute.»
Keens Gesicht verriet jähe Erkenntnis.»Und nun hat er uns das gleiche zugefügt!«Der Schatten der Argonaute fiel auf sie, als sie längsseits gingen.
Bolitho packte seinen Degen. Der Wind war immer noch kräftig. Eben dieser Westwind hatte die Franzosen mitgebracht. Er schaute in die Gesichter der wartenden Ehrenwache. Lastete doch ein Fluch auf diesem Schiff? War es noch immer französisch, ganz gleich, was sie mit ihm angestellt hatten?
Als sein Kopf in der Pforte erschien, hob Leutnant Paget, der vor ihnen mit der Gig eingetroffen war, den Hut und schrie:»Ein Hoch auf den Admiral, Jungs!»
Keen hatte Bolithos Blick gesehen; er sagte:»Es zählen die Männer, nicht die Schiffe, Sir.»
Bolitho zog den Hut und schwenkte ihn langsam über den Kopf. Er wollte, daß der Jubel aufhörte, aber gleichzeitig brauchte er ihn, um seine düsteren Gedanken zu vertreiben.
Seine Kajüte kam ihm danach wie eine Zuflucht vor.
Bolitho setzte sich in seinen Sessel und widerstand der Versuchung, sich die Augen zu reiben. Beide schmerzten, und auf dem guten Auge konnte er vor Überanstrengung und Anspannung nur unscharf sehen.
«Ich möchte sofort den Kapitän der Columbine sprechen. «Er sah Ozzard Brandy einschenken, der kleine Mann wirkte traurig. Auch er würde Inch nicht vergessen.»Ich muß mich so genau wie möglich informieren, ehe wir zu den anderen stoßen.»
«Kapitän Inch mag ja auch gesund sein, Sir. «Keen musterte ihn voller Zuneigung.»Wir können nur hoffen.»
«Er ist ein guter Freund, Val. «Er dachte an Herrick am Tisch. »Einen zu verlieren, ist schon schlimm genug.»