>Feuer<, dachte Elia. >Sie haben das Haus angezündet.< »Und Ihr?« hörte er jemanden auf phönizisch sagen. »Ihr seid der Anführer und versteckt Euch wie ein Feigling im Haus einer Frau.« Flammen durchzuckten das Zimmer, und Elia konnte einen uniformierten Mann mit langem Bart erkennen. Die Assyrer hatten angegriffen.

»Ihr habt uns in der Nacht überrannt?« fragte er verwirrt.

Doch der Mann antwortete nicht. Elia sah Schwerter blitzen, und einer der Krieger verletzte ihn am rechten Arm.

Elia schloß die Augen. Sein ganzes Leben spulte im Bruchteil einer Sekunde zurück, und er sah sich wieder als Kind in den Straßen der Stadt spielen, in der er geboren war, er reiste erneut zum ersten Mal nach Jerusalem, roch die Sägespäne in der Tischlerei, sah sich durch die Täler und über die Berge des Gelobten Landes wandern, lernte die blutjunge Isebel kennen, die alle bezauberte, die sich ihr näherten. Er erlebte erneut das Massaker an den Propheten, hörte noch einmal die Stimme des Herrn, der ihn in die Wüste schickte. Er sah noch einmal die Augen der Frau, die ihn am Eingang von Akbar erwartete, und er begriff, daß er sie vom ersten Augenblick an geliebt hatte. Er stieg abermals auf den Fünften Berg, erweckte abermals ein Kind zum Leben und wurde abermals vom Volk als Weiser und Gerechter befragt. Er blickte zum Himmel, an dem die Sternbilder aufgingen und versanken, staunte über den Mond, der alle vier Phasen aufs Mal durchlief, er spürte Kälte, Hitze, den Herbst und den Frühling, erlebte Regen, Blitz und Donner.

Abermals rasten die Wolken in mannigfachsten Formationen über den Himmel, und die Flüsse ließen ihre Wasser ein zweites Mal im selben Bett fließen. Erneut kam der Tag, an dem das erste assyrische Zelt aufgebaut wurde, dann ein zweites, drittes, viertes… bis es unendlich viele waren; er sah die Engel, die kamen und gingen, das Flammenschwert auf dem Weg nach Israel, litt unter der Schlaflosigkeit, bestaunte die Zeichen auf den Tontäfelchen und…

Er war wieder in der Gegenwart angelangt. Er dachte an das, was im unteren Stockwerk geschah, er mußte, koste es, was es wolle, die Witwe und ihren Sohn retten.

»Feuer«, sagte er zu den feindlichen Soldaten. »Es brennt!« Er hatte keine Angst. Seine einzige Sorge galt der Witwe und ihrem Sohn. Jemand preßte seinen Kopf zu Boden, und er spürte den Geschmack von Erde in seinem Mund. Er küßte sie und sagte, wie sehr er sie liebte und daß er alles Menschenmögliche getan hatte, um dies zu vermeiden. Er wollte sich von seinen Häschern befreien, doch jemand hielt ihn mit einem Fuß am Boden.

»Sie wird geflohen sein«, dachte er. »Sie werden einer wehrlosen Frau nichts antun.« Tiefer Friede kehrte in sein Herz zurück. Vielleicht hatte der Herr gemerkt, daß er der falsche Mann war, und einen anderen entdeckt, der Israel von der Sünde befreien sollte. Der Tod war also gekommen – genauso wie er es erwartet hatte, durch das Martyrium. Er nahm sein Schicksal an und erwartete den Todesstoß.

Einige Sekunden vergingen. Die Stimmen schrien weiter, Blut strömte aus seiner Wunde, doch der Todesstoß erfolgte nicht.

»Tötet mich, schnell!« schrie er, denn er wußte, daß mindestens einer von ihnen seine Sprache verstand.

Niemand beachtete ihn. Sie stritten hitzig und schienen sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Einige Soldaten begannen ihn mit Füßen zu treten. Elia aber fühlte seinen Überlebenswillen zurückkehren. Das versetzte ihn in Panik.

>Ich kann nicht mehr leben wollen<, dachte er verzweifelt.

>Denn ich werde dieses Zimmer lebend nicht verlassen.< Nichts geschah jedoch. Die Welt schien in diesem Durcheinander von Stimmen, Lärm und Staub zu verharren.

Vielleicht hatte der Herr wie einst mit Josua die Zeit mitten in der Schlacht stehenbleiben lassen.

Da hörte er unten die Schreie der Frau. Mit übermenschlicher Anstrengung gelang es ihm, eine der Wachen wegzustoßen und sich zu erheben, doch sie warfen ihn umgehend wieder zu Boden. Ein Soldat gab ihm einen Fußtritt an den Kopf, und Elia wurde ohnmächtig.

Wenige Minuten später kam er wieder zu sich. Die Assyrer hatten ihn auf die Straße geschleppt. Ihm schwindelte, als er den Kopf hob: Alle Häuser des Viertels brannten.

»Eine wehrlose, unschuldige Frau ist dort drinnen gefangen!

Rettet sie!« Geschrei, Gerenne, Durcheinander überall. Er versuchte sich zu erheben, wurde abermals zu Boden gestoßen.

»Herr, Du kannst mit mir tun, was Du willst, denn ich habe mein Leben und meinen Tod Deiner Sache geweiht«, betete Elia.

»Doch rette die, die mich aufgenommen hat.« Jemand zog ihn an den Armen hoch.

»Kommt und seht«, sagte der assyrische Offizier, der seine Sprache sprach. »Ihr verdient es.« Die beiden Wachen hielten ihn fest und schoben ihn zur Tür.

Das Haus wurde schnell von den Flammen verschlungen, und der Feuerschein erleuchtete alles ringsum: weinende Kinder, Alte, die um Vergebung flehten, verzweifelte Frauen, die ihre Kinder suchten. Doch er hörte nur die Hilfeschreie der Frau, die ihn aufgenommen hatte.

»Was geht hier vor? Dort drinnen befinden sich eine Frau und ein Kind! Warum tut Ihr ihnen das an?« »Weil sie den Stadthauptmann von Akbar versteckt hat.« »Ich bin nicht der Stadthauptmann von Akbar, Ihr begeht einen schrecklichen Fehler!« Der assyrische Offizier schob ihn zur Tür. Die Decke war durch das Feuer eingestürzt, und die Frau war halb unter den Trümmern begraben. Elia konnte nur ihren Arm sehen, der sich verzweifelt hin und her bewegte. Sie rief um Hilfe, flehte, sie nicht bei lebendigem Leibe verbrennen zu lassen.

»Warum verschont Ihr mich und macht das mit ihr?« klagte Elia.

»Wir werden Euch nicht verschonen, doch wir wollen, daß Ihr soviel wie möglich leidet. Unser General starb gesteinigt und ehrlos vor den Mauern der Stadt. Er suchte Leben und fand den Tod. Jetzt habt Ihr das gleiche Schicksal.« Elia kämpfte verzweifelt, um sich zu befreien, doch die Wachen schleppten ihn fort. Sie gingen durch die glutheißen Straßen von Akbar. Die Soldaten schwitzten, und einigen stand das Entsetzen über das, was sie gesehen hatten, ins Gesicht geschrieben. Elia versuchte sich loszureißen und schrie zum Himmel, doch sowohl Assyrer wie Gott blieben stumm.

Sie begaben sich bis zur Mitte des Platzes. Die meisten Gebäude der Stadt brannten, und das Prasseln der Flammen vermischte sich mit den Schreien der Bewohner von Akbar.

»Wie gut, daß es den Tod gibt.« Wie oft hatte er seit dem Tag im Pferdestall daran gedacht!

Die Leichen der Krieger von Akbar – die meisten ohne Uniform – lagen auf dem Boden verstreut. Menschen rannten kopflos und wie besessen in alle Himmelsrichtungen, als könnten sie so den Tod und die Zerstörung aufhalten.

>Warum tun sie das?< dachte er. >Sehen sie denn nicht, daß die Stadt in den Händen der Feinde ist und daß es für sie keine Zuflucht mehr gibt?< Alles war sehr schnell gegangen. Die Assyrer hatten ihre zahlenmäßige Übermacht ausgenutzt, und es war ihnen gelungen, ihren Soldaten eine Schlacht zu ersparen. Die Soldaten von Akbar wurden fast ohne Gegenwehr vernichtet.

Elia und seine Häscher blieben mitten auf dem Platz stehen.

Elia mußte sich hinknien, die Hände wurden ihm gebunden. Er hörte die Schreie der Frau nicht mehr. Vielleicht war sie schnell gestorben, hatte die lange Qual, bei lebendigem Leibe zu verbrennen, nicht miterlebt. Der Herr hielt sie jetzt in Seinen Armen. Und sie trug ihren Sohn auf dem Schoß.

Eine weitere Gruppe assyrischer Soldaten brachte einen Gefangenen, dessen Gesicht von Schlägen verunstaltet war.

Dennoch erkannte Elia in ihm den Kommandanten.

»Hoch lebe Akbar!« rief er. »Phönizien und seinen Kriegern ein langes Leben, die sich am Tag mit ihren Feinden schlagen! Tod den Feinden, die in der Dunkelheit angreifen!« Doch er hatte kaum Zeit, den Satz zu beenden. Das Schwert eines assyrischen Generals senkte sich, und der Kopf des Kommandanten rollte auf den Boden.