»Sie werden kommen«, wiederholte der Kommandant euphorisch. »Alles ist bereit.« Brannte er denn so darauf, daß die Schlacht begann und er kämpfen und seine Tapferkeit beweisen konnte? Sah er im Geiste schon die assyrischen Soldaten, die Schreie und das Durcheinander, und sich selber als mustergültigen Führer und mutigen Helden, den die phönizischen Priester späteren Generationen als Vorbild preisen würden?

»Sie rühren sich nicht«, sagte der Stadthauptmann.

Und Elia erinnerte sich, wie er den Herrn gebeten hatte, er möge die Sonne am Himmel stillstehen lassen, wie einstmals für Josua. Er versuchte, mit seinem Engel zu reden, doch er hörte seine Stimme nicht.

Allmählich senkten die Lanzenträger ihre Lanzen, die Bogenschützen lockerten die Spannung ihres Bogens, die Schwertkämpfer steckten ihre Schwerter in die Scheide zurück.

Die Sonne brannte im Mittag, und einige Krieger wurden wegen der Hitze ohnmächtig. Dennoch blieb das Bataillon bis zum Ende des Nachmittags in Bereitschaft.

Als sich die Sonne verbarg, kehrten die Krieger nach Akbar zurück. Sie schienen enttäuscht, den Tag überlebt zu haben.

Nur Elia blieb im Tal zurück. Er wanderte eine Zeitlang ziellos umher, bis er das Licht sah. Der Engel des Herrn trat zu ihm.

»Gott hat dein Gebet erhört«, sagte der Engel. »Und er hat deine Seelenqual gesehen.« Elia wandte sich zum Himmel und dankte für den Segen.

»Der Herr ist die Quelle der Herrlichkeit und der Macht. Er hat das assyrische Heer zurückgehalten.« »Nein«, entgegnete der Engel. »Du hast gesagt, Er müsse die Wahl selbst treffen. Und Er hat die Wahl für dich getroffen.« »Laß uns fortgehen«, sagte Elia zur Frau und ihrem Sohn.

»Ich will nicht fort«, antwortete der Junge. »Ich bin stolz auf die Soldaten von Akbar.« Die Mutter zwang ihn, seine Habseligkeiten zusammenzupacken. »Nimm nur mit, was du tragen kannst«, sagte sie.

»Du vergißt, daß wir arm sind und ich nur wenig besitze.« Elia ging hinauf in sein Zimmer. Er blickte um sich, als würde er es nie mehr sehen.

»Danke, daß du mich mitnimmst«, sagte sie. »Bei meiner Heirat war ich gerade fünfzehn Jahre alt und wußte nichts vom Leben.

Unsere Familien hatten alles für uns beschlossen, ich war von Kindesbeinen an auf diesen Augenblick hin erzogen und eingehend darauf vorbereitet worden, meinem Mann in jeder Lebenslage zur Seite zu stehen.« »Hast du ihn geliebt?« »Ich hatte mein Herz dazu erzogen. Da ich keine Wahl hatte, habe ich mir eingeredet, daß dies der beste Weg sei. Als ich meinen Mann verlor, habe ich mich in die gleichförmigen Tage und Nächte geschickt und die Götter des Fünften Bergs, an die ich damals noch glaubte, gebeten, mich sterben zu lassen, sowie mein Sohn allein für sich sorgen könnte.

Dann kamst du. Ich habe es dir schon gesagt und sage es noch einmal: Von dem Tag an begann ich die Schönheit des Tales zu beachten, die dunklen Umrisse der Berge, die sich gegen den Himmel abhoben, den Mond, der seine Form verändert, damit das Getreide wachsen kann. Viele Nächte lang wanderte ich, während du schliefst, durch Akbar, hörte das Weinen der Neugeborenen, die Gesänge der Männer, die nach der Arbeit getrunken hatten, die festen Schritte der Wachen oben auf der Mauer. Wie oft hatte ich diese Landschaft schon gesehen und nie bemerkt, wie schön sie war? Wie oft hatte ich schon zum Himmel aufgeschaut, ohne zu bemerken, wie weit er war? Wie oft hatte ich schon die Geräusche von Akbar um mich herum gehört, ohne sie als Teil meines Lebens zu begreifen?

Ich verspürte wieder einen unbändigen Willen zu leben. Du sagtest, ich solle die Buchstaben von Byblos lernen, und um dir eine Freude zu machen, tat ich es. Doch dann war ich selber begeistert und entdeckte, daß der Sinn meines Lebens der war, den ich ihm geben wollte.« Elia liebkoste ihr Haar – zum ersten Mal.

»Warum war es nicht immer so?« fragte sie.

»Weil ich Angst hatte. Doch heute habe ich, während ich auf die Schlacht wartete, die Worte des Stadthauptmanns gehört – und an dich gedacht. Die Angst reicht nur bis dahin, wo das Unabwendbare beginnt. Dann verliert sie ihren Sinn. Und alles, was wir dann noch haben, ist die Hoffnung, daß wir die richtige Entscheidung getroffen haben.« »Ich bin bereit«, sagte sie.

»Laß uns nach Israel zurückkehren. Der Herr hat mir bereits gesagt, was ich tun soll, und ich werde es tun. Isebel wird ihre Macht verlieren.« Sie sagte nichts. Wie alle Frauen Phöniziens war sie stolz auf ihre Prinzessin. Wenn sie dort angekommen sein würden, würde sie versuchen, ihren Gefährten umzustimmen.

»Es wird eine lange Reise sein, und wir werden nicht eher rasten können, als bis ich das getan habe, was mir der Herr aufgetragen hat«, sagte Elia, als erriete er ihre Gedanken.

»Aber deine Liebe wird meine Stütze sein, und in den Augenblicken, in denen ich des Kampfes für Ihn müde bin, werde ich mich in deinen Armen ausruhen können.« Der Junge kam mit einem kleinen Beutel über der Schulter angesprungen. Elia nahm den Beutel und sagte zur Frau: »Jetzt ist es soweit. Wenn du jetzt durch die Straßen von Akbar gehst, präg dir jedes Haus ein und jedes Geräusch. Denn du wirst sie nie wieder sehen und nie wieder hören.« »Ich bin in Akbar geboren«, sagte sie. »Und ich werde es immer in meinem Herzen bewahren.« Der Junge hörte es und schwor sich, die Worte seiner Mutter niemals zu vergessen. Sollte er eines Tages zurückkommen, dann würde er die Stadt ansehen, als wäre es ihr Gesicht.

Es war schon dunkel, als der Priester am Fuß des Fünften Bergs ankam. In seiner rechten Hand trug er einen Stab und in der linken einen Beutel.

Er holte das heilige Öl aus dem Beutel und bestrich sich damit Stirn und Handgelenke. Dann zeichnete er mit dem Stab den Stier und den Panther, die Symbole für den Gott des Sturmes und für die Große Göttin, in den Sand. Er sprach die rituellen Gebete. Dann breitete er die Arme zum Himmel, um die göttliche Erleuchtung zu empfangen.

Doch die Götter schwiegen. Sie hatten bereits alles gesagt, was sie zu sagen hatten, und forderten jetzt nur noch die Erfüllung der Rituale. Propheten gab es nirgendwo mehr – außer in Israel, einem rückständigen Land, das sich noch immer in dem Aberglauben wiegte, daß die Menschen mit dem Schöpfer des Universums kommunizieren konnten.

Er erinnerte sich daran, daß Tyrus und Sidon vor zwei Generationen noch mit einem König von Jerusalem namens Salomo Handel getrieben hatten. Dieser hatte einen großen Tempel errichtet und wollte ihn mit dem Besten ausschmücken, was es auf der Welt gab. Bei den Phöniziern hatte er Libanonzedern bestellt, und der König von Tyrus hatte dafür zwanzig Städte in Galiläa erhalten, doch die gefielen ihm nicht.

Da hatte ihm Salomo geholfen, die ersten Schiffe zu bauen, und jetzt besaß Phönizien die größte Handelsflotte der Welt.

Damals war Israel noch eine große Nation gewesen, obwohl es nur einen einzigen Gott anbetete, von dem es nicht einmal den Namen kannte und ihn nur »den Herrn« zu nennen pflegte.

Einer Prinzessin aus Sidon war es gelungen, Salomo zum wahren Glauben zurückzuführen, und er hatte den Göttern des Fünften Bergs einen Altar gebaut. Die Israeliten behaupteten, »der Herr« habe den weisesten seiner Könige gestraft, indem er ihm Kriege schickte, die ihn den Thron kosteten.

Sein Sohn Jerobeam führte den Kult weiter, mit dem sein Vater begonnen hatte. Er ließ zwei goldene Kälber machen, und das Volk Israel betete sie an. Damals traten dann die Propheten auf den Plan – und begannen ihren unerbittlichen Kampf gegen die Regierung.

Isebel hatte recht: Der wahre Glaube blieb nur lebendig, wenn man die Propheten tötete. Sie war eine sanfte Frau, zu Toleranz erzogen, und sie verabscheute den Krieg, und doch wußte sie, daß manchmal die Gewalt der einzige Ausweg war.

Das Blut, das jetzt ihre Hände befleckte, würde von den Göttern, denen sie diente, vergeben werden.

»Bald werden auch meine Hände mit Blut befleckt sein«, sagte der Priester zum schweigenden Berg vor ihm. »So wie Israels Fluch die Propheten sind, so ist Phöniziens Fluch die Schrift.