Wenn ihnen nicht beizeiten ein Riegel vorgeschoben wird, richten beide einen nicht wiedergutzumachenden Schaden an.

Der Gott der Zeit darf sich jetzt nicht davonmachen.« Es erfüllte ihn mit Sorge, daß das feindliche Heer nicht angegriffen hatte. Der Gott der Zeit hatte Phönizien aus Zorn über seine Bewohner schon oft im Stich gelassen. Die Folge war gewesen, daß die Flammen in den Lampen erloschen, die Schafe und Kühe ihre Jungen sich selbst überließen und Weizen und Gerste grün blieben. Da mochte der Gott der Sonne noch so wichtige Kundschafter wie den Adler und den Gott des Sturmes aussenden, um ihn zu suchen – der Gott der Zeit blieb unauffindbar; bis die Große Göttin eine Biene aussandte, die ihn schlafend in einem Wald fand und ihn stach.

Da wachte er wütend auf und begann, alles um sich herum zu zerstören; man mußte ihn fesseln und den Haß, der in seinem Herzen war, herausholen – erst dann fand alles zum gewohnten Gang zurück.

Wenn er sich wieder davonmachte, würde die Schlacht nicht stattfinden. Die Assyrer würden auf immer am Eingang des Tales stehenbleiben, und Akbar würde weiterbestehen.

»Der Mut ist die Angst, die ihr Gebet spricht«, sagte er.

»Deshalb bin ich hier: Weil ich im Augenblick des Kampfes nicht schwanken darf. Ich muß den Kriegern von Akbar zeigen, daß es einen Grund gibt, die Stadt zu verteidigen. Es ist nicht der Brunnen, es ist nicht der Markt, es ist nicht der Palast des Stadthauptmanns. Wir müssen uns dem assyrischen Heer stellen, weil wir ein Beispiel geben müssen.« Ein Sieg der Assyrer würde die Gefahr des Alphabets für immer bannen. Die Eroberer würden den Bewohnern von Akbar ihre Sprache und ihre Bräuche aufzwingen und – das war wichtig – sie weiterhin die Götter des Fünften Bergs anbeten lassen.

»In Zukunft werden unsere Seefahrer die Heldentaten der Krieger in anderen Ländern verbreiten. Die Priester werden den Tag überliefern, an dem Akbar versucht hat, der Invasion der Assyrer zu widerstehen. Die Maler werden ägyptische Zeichen auf ihr Papyrus zeichnen, und damit wäre die Byblos-Schrift endgültig ausgerottet. Die heiligen Texte verbleiben fürderhin im Besitz derer, die dazu geboren sind, sie zu erlernen. Und künftige Generationen werden uns nachahmen, und wir werden eine bessere Welt bauen.

Doch jetzt«, fuhr er fort, »gilt es zuerst, diese Schlacht zu verlieren. Wir werden tapfer kämpfen, doch der Feind ist in der Überzahl, und so werden wir ruhmreich sterben.« Der Priester lauschte in die Nacht hinaus und erkannte, daß er recht hatte. Die Stille kündigte immer einen wichtigen Kampf an, doch die Bewohner von Akbar deuteten die Stille falsch. Sie senkten ihre Lanzen und amüsierten sich, statt wachsam zu bleiben. Sie nahmen sich kein Beispiel an der Natur: Die Tiere sind ganz still, wenn Gefahr im Anzug ist.

»Möge sich der Ratschluß der Götter erfüllen. Möge die Sonne auch morgen wieder hervorkommen, denn wir haben alles richtig gemacht und gehorchen der Tradition«, schloß er.

Elia, die Frau und der Junge wanderten nach Westen, dorthin, wo Israel lag. Sie brauchten nicht am assyrischen Lager vorbei, das sich im Süden befand. Der Vollmond leuchtete ihnen und zeichnete gleichzeitig unheimliche Schatten und seltsame Zeichnungen auf die Felsen und Steine des Tales.

Dann, plötzlich, trat der Engel des Herrn aus der Dunkelheit, ein flammendes Schwert in seiner Rechten.

»Wohin gehst du?« fragte er.

»Nach Israel«, antwortete Elia.

»Hat dich der Herr gerufen?« »Ich kenne bereits das Wunder, das Gott von mir erwartet. Und jetzt weiß ich, wo ich es tun muß.« »Hat dich der Herr gerufen?« wiederholte der Engel.

Elia schwieg.

»Hat dich der Herr gerufen?« fragte der Engel zum dritten Mal.

»Nein.« »Dann kehre zurück an den Ort, von dem du aufgebrochen bist, denn du hast dein Schicksal noch nicht erfüllt. Der Herr hat dich noch nicht gerufen.« »Laß zumindest sie gehen, denn sie haben hier nichts zu tun«, flehte Elia.

Doch der Engel war bereits verschwunden. Elia ließ den Beutel, den er trug, zu Boden fallen. Er setzte sich mitten auf den Weg und weinte bitterlich.

»Was ist los?« fragten die Frau und der Junge, die nichts gesehen hatten.

»Wir kehren um«, sagte er. »Der Herr will es so.« Er konnte nicht richtig schlafen. Er wachte mitten in der Nacht auf und spürte die Spannung um sich herum. Ein böser Wind fegte durch die Straßen und säte Angst und Mißtrauen.

»In der Liebe einer Frau entdeckte ich die Liebe zu allen Kreaturen«, betete er schweigend. »Ich brauche sie. Ich weiß, daß der Herr nicht vergessen wird, daß ich eines Seiner erwählten Werkzeuge bin, vielleicht das schwächste von allen.

Hilf mir, Herr, denn ich muß während der Kämpfe ruhig schlafen.« Er tröstete sich mit der Bemerkung des Priesters über die Nutzlosigkeit der Angst und fand dennoch keinen Schlaf. »Ich brauche Kraft und Ruhe. Gib mir Schlaf, solange es noch möglich ist.« Er wollte schon seinen Engel rufen, um sich mit ihm zu besprechen, sah dann aber davon ab, weil er sonst womöglich Dinge zu hören bekam, die er nicht hören wollte. Um sich zu entspannen, ging er hinunter in den Wohnraum. Die Bündel, die die Frau für die Flucht vorbereitet hatte, waren noch nicht wieder ausgepackt.

Er überlegte, ob er in ihr Zimmer gehen sollte. Er erinnerte sich an das, was der Herr vor einer Schlacht zu Mose gesagt hatte: Ein Mann, der eine Frau liebt und sie noch nicht empfangen hat, der gehe in sein Haus zurück, damit er nicht im Kampf sterbe und ein anderer Mann sie empfange.

Er hatte noch nicht mit ihr geschlafen. Doch sie hatten eine anstrengende Nacht hinter sich, und darum war jetzt nicht der Moment.

Er ging daran, die Bündel auszupacken und alles an seinen Platz zurückzutun. Er entdeckte, daß sie neben den wenigen Kleidungsstücken, die sie besaß, auch die Werkzeuge mitgenommen hatte, um die Buchstaben von Byblos zu malen.

Er nahm einen Griffel, feuchtete ein Tontäfelchen an und begann einige Buchstaben zu kritzeln. Er hatte schreiben gelernt, während er der Frau bei der Arbeit zugeschaut hatte.

»Wie einfach und genial dies doch ist«, dachte er, während er versuchte, auf andere Gedanken zu kommen. »Die Griechen haben uns unsere bedeutendste Erfindung gestohlen«, hatten die Frauen am Brunnen immer geklagt. Doch Elia wußte, daß das nicht stimmte und daß sie die Byblos-Schrift durch die Hinzufügung der Vokale zu einem für alle Völker und Nationen nützlichen Instrument gemacht hatten. Und zu Ehren der Stadt, die die Schrift erfunden hatte, nannten sie sogar ihre Pergamentsammlungen biblias.

Ihre biblias schrieben die Griechen auf Tierhäute. Elia fand das eine sehr unsichere Art, um Worte zu bewahren. Leder war nicht so widerstandsfähig wie die Tontäfelchen und konnte leicht gestohlen werden. Papyrus zerriß, nachdem es eine Zeitlang von Hand zu Hand gegangen war, und wurde durch Wasser zerstört. >Die biblias und das Papyrus sind nicht das richtige. Nur Tontäfelchen Überlebens überlegte er.

Sollte Akbar noch eine Zeitlang bestehen, dann würde er dem Stadthauptmann vorschlagen, die ganze Geschichte seines Landes aufzuschreiben und die Tontäfelchen in einem besonderen Saal zu verwahren, damit kommende Generationen sie lesen konnten. So würden die Heldentaten der Krieger und die Gesänge der Dichter niemals vergessen werden, sollten die phönizischen Priester einmal nicht mehr sein, um sie zu überliefern.

Er spielte mit den Buchstaben, kombinierte sie immer neu und bildete so verschiedene Wörter. Er war begeistert über das Ergebnis. Entspannt und befriedigt ging er zurück ins Bett.

Kurz darauf wurde er von einem großen Getöse geweckt. Die Tür zu seinem Zimmer fiel aus dem Rahmen und zu Boden.

»Dies ist kein Traum. Es sind nicht die Heerscharen des Herrn im Kampf.« Schatten tauchten von überallher auf, schrien wie irre in einer Sprache, die er nicht verstand.

»Die Assyrer.« Andere Türen fielen, Wände wurden mit mächtigen Hammerhieben eingerissen, die Schreie der Invasoren vermischten sich mit den Hilferufen, die vom Platz herüberschallten. Elia wollte aufstehen, doch einer der Schatten warf ihn zu Boden. Ein Knistern breitete sich quer durch das untere Stockwerk aus.