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Der Dampf wirbelte von den gekachelten Wänden. Das warme Wasser war wie warme Hände. Die Gefangenen lagen darin, und die dünnen Arme mit den dicken Gelenken hoben sich und patschten darin herum. Der verkrustete Dreck weichte auf. Die Seife glitt über die verhungerte Haut und löste den Schmutz, und die Wärme drang tiefer als bis in die Knochen. Warmes Wasser -sie hatten vergessen, was das hieß. Sie lagen und fühlten es, und es war für viele zum ersten Maleder Begriff von Freiheit und Erlösung.

Bucher saß neben Lebenthal und Berger. Die Wärme durchflutete sie. Es war ein animalisches Glück. Das Glück der Wiedergeburt, es war das Leben, das aus Wärme geboren war und dem erfrorenen Blut und den verschmachteten Zellen zurückgegeben wurde. Es war pflanzenhaft; eine Wassersonne, die totgeglaubte Keime streichelte und weckte. Mit den Schmutzkrusten der Haut lösten sich Schmutzkrusten der Seele. Sie fühlten Geborgenheit. Geborgenheit im einfachsten: in Wärme. Wie Höhlenmenschen vor dem ersten Feuer.

Man gab ihnen Handtücher. Sie rieben sich trocken und betrachteten mit Staunen ihre Haut. Sie war noch immer fahl und fleckig vom Hunger, aber ihnen erschien sie blütenweiß.

Man gab ihnen saubere Sachen aus dem Depot. Sie fühlten sie an und betrachteten sie, bevor sie sie anzogen. Dann führte man sie in einen anderen Raum. Das Baden hatte sie belebt und gleichzeitig sehr müde gemacht. Sie gingen schläfrig und bereit, an weitere Wunder zu glauben.

Der Raum mit den Betten überraschte sie kaum. Sie sahen auf die Reihen und wollten weitergehen.

»Hier«, sagte der Amerikaner, der sie führte.

Sie starrten ihn an.»Für uns?«

»Ja. Zum Schlafen.«

»Für wie viele?«

Lebenthal zeigte auf das nächste Bett, dann auf sich und Bucher und fragte:»Zwei?«

Dann zeigte er auf Berger und hob drei Finger.»Oder drei?«

Der Amerikaner grinste. Er nahm Lebenthal und schob ihn mit sanfter Gewalt auf das erste Bett; dann Bucher auf das zweite; Berger auf das nächste und Sulzbacher daneben.»So«, sagte er.

»Jeder ein Bett!«

»Mit einer Decke!«

»Ich gebe auf«, erklärte Lebenthal.»Kissen gibt es auch.«

Sie hatten einen Sarg bekommen. Es war eine leichte, schwarze Kiste von normaler Größe; aber sie war zu breit für 509. Man hätte leicht noch jemand dazulegen können. Es war das erstemal in langer Zeit, daß er so viel Platz für sich allein hatte. Man hatte ihm da, wo die Baracke 22 gestanden hatte, ein Grab geschaufelt. Sie fanden, das sei der richtige Platz für ihn. Es war Abend, als sie ihn hinbrachten. Die Mondsichel hing am dunstigen Himmel. Leute aus dem Arbeitslager halfen ihnen, den Sarg hinabzulassen. Sie hatten eine kleine Schaufel. Jeder trat heran und warf etwas Erde hinunter. Ahasver trat zu nahe heran und rutschte hinab. Sie holten ihn wieder herauf. Andere Häftlinge halfen ihnen, das Grab zuzuschaufeln. Sie gingen zurück. Rosen trug die Schaufel, um sie wieder abzugeben. Sie kamen an Baracke 20 vorbei. Ein Toter wurde dort herausgebracht. Zwei SS-Leute trugen ihn durch die Tür. Rosen blieb vor ihnen stehen. Sie wollten um ihn herumgehen. Der Vordere war Niemann, der Abspritzer. Die Amerikaner hatten ihn hinter der Stadt gefangen und zurückgebracht. Er war der Scharführer, vor dem 509 Rosen gerettet hatte. Rosen trat etwas zurück, hob die Schaufel und schlug sie Niemann ins Gesicht. Er hob sie noch einmal, aber der wachhabende amerikanische Soldat war herangekommen und nahm ihm die Schaufel sanft aus den bebenden Händen.»Come, come – we'll take care of that later.«

Rosen zitterte. Niemann hatte nicht viel abbekommen; nur eine Hautabschürfung im Gesicht.

Berger nahm Rosen am Arm.»Komm. Du bist zu schwach dafür.«

Rosen brach in Tränen aus. Sulzbacher nahm seinen anderen Arm.»Sie werden ihn verurteilen, Rosen. Für alles.«

»Totschlagen! Totgeschlagen müssen sie werden! Sonst hilft alles nichts! Sonst kommen sie immer wieder!«

Sie zogen ihn fort. Der Amerikaner gab Bucher die Schaufel zurück. Sie gingen weiter.

»Komisch«, sagte Lebenthal nach einer Weile.»Und du warst immer der, der keine Rache wollte – «

»Laß ihn, Leo.«

»Ich lasse ihn ja.«

Jeden Tag verließen Gefangene das Lager. Die ausländischen Sklavenarbeiter, die gesund waren und gehen konnten, wurden in Gruppen abtransportiert. Ein Teil der Polen blieb zurück. Sie wollten nicht in die russische Zone. Fast alle vom Kleinen Lager waren zu schwach; sie mußten noch eine Zeitlang verpflegt werden. Und viele wußten nicht, wohin sie sollten. Ihre Angehörigen waren zerstreut und getötet; ihr Besitztum gestohlen; ihre Heimatgegend verwüstet. Sie waren frei; aber sie konnten nichts damit anfangen. Sie blieben im Lager. Sie hatten kein Geld. Sie halfen die Baracken reinigen. Sie bekamen Betten und Essen; sie warteten; sie formten sich zu Gruppen.

Sie waren die, die wußten, daß nichts sie irgendwo mehr erwartete. Dann gab es andere, die es noch nicht glaubten. Sie gingen auf die Suche. Täglich sah man sie den Berg hinunterwandern, einen Ausweis der Zivilverwaltung und der Militärbehörde des Lagers in den Händen, um Eßkarten darauf zu bekommen und ein paar Ungewisse Daten im Herzen.

Es war vieles anders gekommen. Die Aussicht auf Befreiung war etwas so Ungeheures gewesen, daß die meisten nicht darüber hinausgedacht hatten. Jetzt war sie plötzlich da, und dahinter war auf einmal nicht ein Garten Eden mit Wundern, Wiederfinden, Wiedervereinigung und einem zauberhaften Zurückrücken der Jahre in eine Zeit, die ohne Elend war – sie war da, und hinter ihr dehnte sich der Schutt der Einsamkeit, der traurigen Erinnerungen, der Verlorenheit, und vor ihr war eine Wüste und etwas Hoffnung. Sie zogen den Berg hinunter, und die Namen von ein paar Orten, ein paar Menschen, von einigen anderen Lagern, und ein blasses Vielleicht waren alles, auf das sie hofften. Sie hofften, vielleicht einen oder zwei wiederzufinden – alle, das wagte fast keiner.

»Es ist besser, wegzugehen, sobald man kann«, sagte Sulzbacher.»Es wird sich nichts ändern, und je länger man bleibt, um so schwieriger wird es. Ehe wir uns versehen, sitzen wir in einem neuen Lager – für Leute, die nicht wissen, wohin sie sollen.«

»Glaubst du, daß du es aushaken kannst?«

»Ich habe zehn Pfund zugenommen.«

»Das ist nicht genug.«

»Ich werde mich nicht anstrengen.«

»Wohin willst du?«fragte Lebenthal.

»Nach Düsseldorf. Meine Frau suchen -«

»Wie willst du nach Düsseldorf kommen? Gibt es dahin Züge?«

Sulzbacher hob die Schultern.»Ich weiß es nicht. Aber es sind noch zwei hier, die wollen in dieselbe Gegend. Nach Solingen und Duisburg. Wir können zusammenbleiben.«

»Sind es alte Bekannte von dir?«

»Nein. Aber es ist doch schon allerhand, wenn man nicht allein ist.«

»Ja, das ist richtig.«

»Das meine ich auch.«

Er schüttelte den anderen die Hände.»Hast du zu essen?«fragte Lebenthal.

»Für zwei Tage. Wir können uns unterwegs bei den amerikanischen Behörden melden. Irgendwie wird es schon klappen.«

Er wanderte mit den beiden, die nach Solingen und Duisburg wollten, den Berg hinab.

Einmal winkte er noch; dann nicht mehr.

»Er hat recht«, sagte Lebenthal.»Ich gehe auch. Heute abend bleibe ich schon in der Stadt. Ich muß mit jemand sprechen, der mein Partner werden will. Wir wollen ein Geschäft aufmachen. Er hat das Kapital. Ich die Erfahrung.«

»Gut, Leo.«

Lebenthal holte ein Paket amerikanischer Zigaretten aus der Tasche und reichte es herum.»Das wird das große Geschäft«, erklärte er.»Amerikanische Zigaretten. So wie nach dem letzten Kriege. Man muß rechtzeitig einsteigen.«

Er betrachtete das bunte Päckchen.»Besser als alles Geld, das sage ich euch.«

Berger lächelte.»Leo«, sagte er.»Du bist in Ordnung.«

Lebenthal blickte ihn mißtrauisch an.»Ich habe nie behauptet, daß ich ein Idealist bin.«