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Er begann, seine Mitschüler überheblich anzufauchen. Sie schwiegen dazu und schnallten den Riemen enger.

Es blieb ihnen nichts anderes übrig — die ganze erste und die halbe zweite Abteilung waren bereits an ihn verschuldet. Slajonow lief niemals mehr allein herum. Er war dauernd umschwänzelt von einem ergebenen Schuldnergefolge, dem er ab und zu gnädig ein Stückchen Brot spendierte.

Doch er ging sparsam mit seiner Gnade um. Er hatte nicht die Absicht, die Kameraden zu mästen, hielt aber die Almosen für notwendig, um ihre Wut einzudämmen.

Mit jedem Tage verstrickten sich Slajonows Opfer immer tiefer in ihre Schulden. Im gleichen Maße wuchs die Macht des „großen“ Wucherers, wie ihn die älteren nannten.

Doch sein Einfluß reichte nicht über die zweite Abteilung hinaus. Die mächtigsten und standfestesten Abteilungen — die dritte und die vierte-sahen ihn verächtlich über die Schulter an. Sie hielten es für unter ihrer Würde, sich um ihn zu kümmern. Slajonow erkannte die Gefahr dieser Situation genau. Jeden Augenblick konnten die beiden Klassen — oder auch nur eine von ihnen — sein florierendes Geschäft ruinieren. Das paßte ihm gar nicht. Er ersann deshalb einen Plan, der so gerissen war, daß selbst die Schlauköpfe aus der vierten Abteilung nicht dahinterkamen und ihm auf den Leim gingen.

Eines Tages erschien er in der vierten Abteilung und spazierte scheinbar gelangweilt im Zimmer umher.

Die „Großen“ reagierten auf derartige Frechheiten recht empfindlich. Ein Junge aus der ersten Abteilung wagte es, entgegen dem alteingeführten Brauch, sich ohne besonderen Grund in ihrer Klasse herumzutreiben? Er war für sie durchaus noch keine Autorität. Sie warfen ihm böse Blicke zu.

„Was willst du hier?“ fauchte Zigeuner. Slajonow duckte sich erschrocken. „Gar nichts, Zigeuner! Ich bin bloß mal hergekommen.“

„Ach? Und wer hat dir das erlaubt?“

„Niemand.“

„So, niemand! Dann verdufte, da ist die Tür! Und laß dich hier ohne Grund nicht wieder blicken.“

„Ja, aber…“, stotterte Slajonow, „ich… dachte nur… ich… wollte…“

„Was dachtest du?“

„Ich dachte, daß ihr Hunger hättet. Willst du ein Stück Brot, Zigeuner, ja? Ich weiß sowieso nicht, wohin damit.“ Zigeuner starrte Slajonow ungläubig an. „Na, dann zeig mal her.“

Bei dem Wort „Brot“ sahen die anderen auf und spitzten die Ohren. Slajonow zog seelenruhig ein Viertelbrot aus der Tasche und drückte es Zigeuner in die Hand. Japs ging zu Slajonow hin. „Hast du noch mehr?“

Spinne holte mit harmlosem Gesicht ein weiteres Viertel aus derTasche. „Nimm es nur. Ich geh' es gern.“

„Gib mir auch was!“ Spatz lief herbei. Auch Mamachen und Brotkanten waren aufgesprungen. Slajonow gab jedem ein Stück.

Als jedoch Elster und Goga hinzutraten, runzelte er die Stirn. „Das Brot ist alle!“ sagte er verächtlich. Er wußte genau, daß Elster und Goga keinen Einfluß hatten, und hielt es deswegen für überflüssig, sie zu spicken.

Die Jungen behandelten Slajonow nun schon mit herablassender Freundlichkeit.

„Jetzt verschwinde, aber du kannst häufiger kommen“, grinste Zigeuner. Und weil er auf den Geschmack gekommen war, fügte er hinzu: „Wenn wir ein bißchen Süßstoff hätten, könnten wir jetzt Tee trinken.“

„Ich hab' welchen!“ Slajonow war entschlossen, die Großen restlos für sich zu gewinnen. „Wer will was?“

„Das ist ein Ding!“ staunte Japs. „Wir könnten also tatsächlich Tee trinken.“

Slajonow traf bereits seine Anordnungen.

„He, Kusja, Korenew! Holt Tee aus der Küche. Leiht euch die Becher bei Marta. Ihr müßt sagen, daß die Großen darum bitten.“ Kusja und Korenew hatten an der Tür gewartet. Sie rannten spornstreichs in die Küche.

Fünf Minuten später ging es in der vierten Abteilung hoch her. In den Blechbechern dampfte der Tee, auf den Bänken lagen Brot und Süßstoff. Die Jungen schmatzten hingebungsvoll, während Slajonow in der Klasse umherspazierte.

„Laßt es euch schmecken, Leute“, schwatzte er händereibend.

„Für gute Kameraden ist mir nichts zu schade. Euch helfe ich immer. Wenn ihr mal Hunger kriegt, könnt ihr nach mir schicken. Ich habe immer was da. Und geizig bin ich auch nicht.“

„Klar. Nur keine Sorge, wir vergessen dich jetzt nicht!“ Japs nickte ihm zu und stopfte sich den Mund voll. So wurde die vierte Abteilung überrumpelt. Nun konnte sich Slajonow endgültig beruhigen. Zwar war die Versorgung nahezu der ganzen Klasse anfangs ein großes Verlustgeschäft für ihn, aber dafür gewöhnte er die Großen allmählich an sich. Zu jener Zeit stellte das Brot eine Macht dar. Slajonow besaß Brot, deshalb gehorchte man ihm.

Unmerklich brachte er es fertig, die Großen in seine Leibgarde zu verwandeln, sich ein neues mächtiges Gefolge zu verschaffen. Anfangs wurde das den Großen überhaupt nicht bewußt. Sie gewöhnten sich daran, daß Slajonow zu ihnen gehörte. Sie glaubten, Slajonow gehorche ihnen und nicht umgekehrt. Doch eines Tages belauschte Zigeuner ein Gespräch zwischen zwei Jungen aus der ersten Klasse. Es hatte einen so verächtlichen Ton, daß er stutzig wurde. „Weißt du“, verriet er Japs am gleichen Tage, „wie uns die Kleinen nennen? Lakaien! Wir dienen Slajonow, sagen sie.“

„Sie haben recht, die Halunken!“ Japs runzelte niedergeschlagen die Stirn. „So sieht es jetzt aus. Wir sind zu Lakaien geworden, ohne es zu merken. Eine ekelhafte Situation, aber wie wollen wir damit Schluß machen? Das Reptil hat uns an das satte Leben gewöhnt!“ Bald hatten sich die Großen mit ihrer neuen Rolle abgefunden. Jetzt unterdrückten sie bewußt jeden Gedanken an ihre Erniedrigung. Jankel war der einzige, der seine Unabhängigkeit bewahrt hatte. Er stand mit dem Wucherer auf Kriegsfuß. Das Brot gab ihm die Kraft zum Widerstand. Er war Küchenältester und vermochte dem Reichtum Slajonows seinen eigenen entgegenzustellen. Aber insgeheim empfand er so etwas wie Achtung vor der Wucherspinne. Ihm imponierte die Klugheit, mit der sich Slajonow die Schkid unterworfen hatte. Er erkannte, wie geschickt der Bursche war, er beneidete ihn sogar ein wenig, verschwieg das aber sorgfältig. Slajonow rüstete sich inzwischen zum letzten Sturmangriff. Er wollte seine Macht endgültig sichern. Unbesiegt war bisher noch die dritte Abteilung, die er ebenfalls in die Hand bekommen mußte. Sie wie die vierte zu füttern, würde verlustreich und daher unvorteilhaft sein, sie wie die erste in Schulden zu verstricken, würde nicht gelingen. Die Jungen von der dritten waren nicht so dumm, daß sie ein Viertelbrot für ein Achtel hergaben.

Aus diesem Grunde fuhr er ein ganz neues Geschütz gegen die dritte Abteilung auf.

Nach dem Unterricht versammelten sich die Schkider gewöhnlich in ihrem „Klub“, um zu plaudern und zu rauchen.

Sie besaßen zwei „Klubs“-dieToilette im ersten Stock und die im Erdgeschoß. Aber die obere war besser — geräumig, ziemlich hell und einigermaßen sauber.

Die Badewanne, die früher darin gestanden hatte, war inzwischen verschwunden. Nur die Korkwände und die Fußbodenkacheln waren noch da. Hier konnte man die Zeit gemütlich verbringen, solange man wollte, und hier konnte man auch rauchen — meistens, ohne erwischt zu werden. Deshalb herrschte in den Toiletten immer ein munteres Leben und Treiben.

Im Schein des Ecklämpchens wölkte sich der Rauch. Es war verdächtig warm. In ihre angeregten Unterhaltungen vertieft, achteten die Schkider nicht auf den Geruch.

Das Herumstehen in den Toiletten kam dermaßen in Mode, daß die Propheten trotz aller Bemühungen mit diesem Übel nicht fertig wurden. Wenn ein Erzieher die Jungen hinausjagte und sich nur einen Augenblick entfernte, strömten sie wieder hinein, bis alles proppenvoll war.

In der oberen Toilette setzte Slajonow nun zum Angriff auf die unabhängige dritte Abteilung an.

Er trat ein, als gerade Hochbetrieb war, und schwenkte harmlos ein Kartenspiel in der Luft. „Wer will mit mir Siebzehn-und-vier spielen?“ Niemand reagierte.

„Wer spielt mit? Um das Brot vom Abendessen“, wiederholte Slajonow.