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Der Abdecker war nämlich in Wirklichkeit ein ziemlich nachsichtiger, gutmütiger Mann, der nur so donnerte und mit den Augen rollte, um sich Respekt zu verschaffen.

Bald hatten sich die Jungen an sein Löwengebrüll gewöhnt. Wenn er jemanden beim Schlafittchen kriegte, nahmen sie das nicht ernst. Und der Junge, der von der gewaltigen Faust gepackt war, kniff bloß die Augen zusammen und grinste, als würde er gekitzelt. Trotzdem erzielte das furchteinflößende Aussehen eine gewisse Wirkung.

Kostalmed gab ausgezeichneten Gymnastikunterricht. Eifrig machten die Jungen die vorgeschriebenen Übungen. Nur die vierte Abteilung stand mit ihm auf dauerndem Kriegsfuß und schwänzte seinen Unterricht, wo sie nur konnte.

Nach kurzer Zeit freundeten sich Kostalmed und Alnikpop an, weil sie die gleichen pädagogischen Ansichten hatten. Der Hüne Kostalmed und der kleine dicke Alnikpop gehörten zu den wenigen Propheten, die sich in der Schule halten konnten. Sie setzten all ihre Kräfte ein im Kampf gegen die Jugendkriminalität, und ihre Leistungen sind in der Geschichte der Schkid-Republik mit goldenen Lettern verzeichnet.

ALLE MACHT DEM VOLKE

Ein Abend in der Schkid * Stille Freuden * Rattenjagd * Das Tanzvergnügen * Alle Macht dem Volke.

Der Abendunterricht war zu Ende.

Zum letztenmal ging der Diensthabende durch die Korridore, das letzte Klingelzeichen verhallte, die Schkider klappten die Bänke hoch und zerstreuten sich — johlend, trampelnd, tanzend — in allen Stockwerken des alten Hauses.

Die Jüngeren verschwanden im Saal, um ein Bockspringen zu veranstalten, andere rasten die Treppe hinauf, um auf dem Geländer herunterzurutschen, und einige zogen in die Küche, weil sie auf Essensreste hofften.

Die Älteren gaben sich kultivierteren Zerstreuungen hin. Spatz hatte sich zum Beispiel einen langen Strick besorgt, knüpfte eine Schlinge und ging in den Eßraum. Dort hockte er sich vor ein Loch im Fußboden, legte die Schlinge aus und warf einen Brocken kalte Grütze hinein. Dann versteckte er sich lauernd hinter einer Bank. Er wollte nämlich eine Ratte fangen. Die Rattenjagd war in letzter Zeit seine Lieblingsbeschäftigung. Die Schiingenmethode hatte er selbst erfunden. Darauf war er äußerst stolz.

Japs saß in der Klasse, zog dauernd den Naseninhalt hoch und übersetzte dabei mit störrischer Hartnäckigkeit ein Gedicht Chamissos aus dem Deutschen ins Russische. Das war eine mühselige Arbeit. Aber er hatte sich die Finger in die Ohren gebohrt und brabbelte unermüdlich die widerspenstigen Verszeilen in allen erdenklichen Variationen vor sich hin:

In meinen Traumen, leicht und wunderbar…
In meinen leichten, wunderbaren Träumen…
In meinen Träumen, wunderbar und leicht…
In meinen wunderbaren, leichten Träumen…

Und so weiter und so fort, bis sich die Zeile anständig anhörte und aufgeschrieben war.

Zigeuner starrte eine Weile gähnend zur Decke empor, verließ dann den Raum, griff sich einen Knirps aus der unteren Abteilung, führte ihn in die Klasse, band ihm einen Strick ums Bein und grinste mit verkniffenen Augen.

„Los, Möpschen, tanze!“ befahl er.

Das „Möpschen“ versuchte, an Zigeuners Barmherzigkeit zu appellieren.

„Au, Zigeuner!“ jammerte es, „mein Bein tut mir so weh!“ Doch Zigeuner lachte nur. „Das macht nichts, Möpschen! Tanze!“

In der Ecke stand der erst kürzlich eingetroffene Bober hinter der Tafel und übte sich im Singen. Er grölte die Schlager, die er irgendwo im Kino gehört hatte, und begleitete sich mit dröhnenden Trommelwirbeln, die er mit den Fäusten auf der Wandtafel vollführte.

Hei, hei, Petrograd!
Allerschönstes Petrograd!
Petro-Petro-Petrograd!
Wunderbare Stadt!

Die Tafel knarrte und krachte in allen Fugen.

Jankel saß an seinem Platz und zeichnete ein Pferd. Als er keine Lust mehr hatte, starrte er die gegenüberliegende Wand an und murmelte gedankenlos in deutscher Sprache vor sich hin: „Der Kater geht nach Hause. Der Kater geht nach Hause.“

Er haßte die deutsche Sprache, und das war der einzige Satz, den er konnte und vorbildlich aussprach. Er operierte damit in allen Stunden, die Elanljum gab.

Daneben hockten der einäugige Mamachen, Brotkanten, Kossar und Goga zusammen.

Sie waren in das Bindfadenspiel vertieft.

Sie hatten sich einen Bindfaden über die Finger gespannt, nahmen ihn sich gegenseitig ab, bildeten daraus kunstreiche Figuren und entwirrten sie wieder mühevoll.

Plötzlich spitzten alle, die in der Klasse saßen, lauschend die Ohren. Im oberen Stockwerk war etwas los. Dutzende von Füßen trampelten über ihren Köpfen. Die Wände ächzten, Kalk rieselte von der Decke. „Sie haben eine Ratte gefangen!“ schrie Mamachen erfreut. „Eine Ratte!“ fielen die anderen ein und rannten nach oben. Im Saal herrschte ein wildes Durcheinander.

In der Mitte wirbelte Spatz herum. Er hielt den langen Strick fest, an dessen Ende eine große graue Ratte zuckte. An den Wänden drängten sich die Schkider.

„Jetzt laß ich sie laufen, und ihr müßt sie fangen!“ kommandierte Spatz.

Er bückte sich flink und schnitt dicht über dem Hals der Ratte den Strick durch.

Ein Triumphgeheul brach los.

Von dem fürchterlichen Lärm betäubt, raste die Ratte durch den Saal, aber sie fand kein Versteck.

Johlend und kreischend setzten ihr die Schkider zwischen den Bänken nach, um sie zu zertrampeln. „Hohoho! Fang sie!“ „Hinei-i-in!“

„Haut sie!“

„Drauf treten!“

Der Saal erbebte bei dem Gestampf und Gebrüll. Leise klirrten die Scheiben in den hohen Schulfenstern. „He-he-he-he! Fang sie! Fang sie!“ „Von links ran!“„Mit dem Fuß! Mit dem Fuß!“

„Los!“

Die Saaltüreii waren fest geschlossen, die Löcher verstopft. Jeder Rückzugsweg war dem grauen Vieh abgeschnitten. Vergebens bohrte es die spitze Nase in die Ecken. Überall nichts als Wände. Mamachen fühlte sich als Held des Tages. Er schnitt der gehetzten Ratte den Weg ab und setzte ihrem Leben mit einem energischen Fußtritt ein Ende.

Mit stolzgeschwellter Brust blickte Mamachen auf die Jungen, die ihn umdrängten, denn er rechnete auf Lobpreisungen. Doch er erntete nichts als zorniges Gebrumm, den anderen war das interessante Spiel viel zu früh zu Ende. „Blöder Angeber!“ „Idiot! Warum hast du sie jetzt schon abgemurkst!“

„Du denkst wohl, du hast dich mit Ruhm bekleckert! So was hätte jeder fertiggebracht!“

Mißmutig gingen die Schkider auseinander.

Im Klassenraum hatte Bober unterdessen das flotte „Hei, hei, Petrograd“ zu Ende gesungen und war zu schwermütigeren Tönen übergegangen:

Zärtlich rauscht das Seidenkleid
an dem kühlen Gummimantel…

Dann wollte er die „Trennung“ anstimmen, aber ein Gähnkrampf unterbrach ihn.

„Wollen wir nicht ein bißchen tanzen?“ schlug er gelangweilt vor. „Das könnte man machen!“ Zigeuner nickte. „Ja, los!“ fiel Jankel ein.

„Los! Tanzen!“ Auch die anderen waren Feuer und Flamme. Jankel raste davon, um Alnikpop zu suchen, fand ihn auf dem Korridor und bettelte: „Spielen Sie uns doch einen Walzer, Onkel Serjosha, ja? Und vielleicht noch was!“ Im Weißen Saal hatte sich die gesamte erwachsene Bevölkerung der Republik versammelt. Wie bei einem richtigen Ball wählten die Schkider ihre Tanzpartner, und dann stellten sich die Paare feierlich hintereinander auf.

Alnikpop legte verträumt den Kopf zurück und griff in die Tasten. Unter den Klängen des Donauwalzers drehten sich die Paare im Kreise. Eigentlich konnte nur ein Paar — Zigeuner und Bober — richtig tanzen. Die übrigen trampelten bloß im Kreise und schubsten sich. „Signori! Mesdames! Einen Walzer! Wiegt euch, dreht euch, schaukelt euch rum!“ quietschte Jankel, umschlang graziös seine Dame — Japs — und trat ihr zärtlich auf den Fuß.