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Zum ersten Mal in seinem Leben flog Valera ins Ausland. Verschiedene Gefühle überfüllten seine Seele. Es war spannend und beängstigend gleichzeitig. Plötzlich kamen ihm Strophen seines beliebtesten Dichters:

Leb doch , ungewasch ' nes Russland, wohl,

Ein Land der Sklaven, ein Land der Herren,

Leben doch Sie, Gendarmen, wohl, 

Und Du, ihnen ergebenes Volk.

Das Gedicht war total unpassend, weil Valera nur für einen Tag nach Türkei flog. Gott sei Dank, man braucht kein Visum, um dieses Land zu besuchen. Valera war auch seiner Sprachkenntnisse nicht sicher. Zwar las er englische und deutsche Bücher, aber was Sprechen betraf...

Valeras Ängste waren überflüssig. Im Flughafen kam Fahrgästen entgegen ein gut aussehender Türke und auf gehobenem Russisch bat sie zu einem Bus, der sie zum Markt fuhr. Es verging nur zwei Jahren seit dem Beginn der intensiven Handelsbeziehungen zwischen Russland und Türkei, aber alle damit beschäftigten Türken sprachen schon Russisch (und nur wenige Russen – Türkisch). Der Zerfall der Sowjetunion war ein Segen für türkische Textilindustrie. Man brauchte in Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken Unmenge von Kleidung! In türkischen Dörfern begannen viele Menschen zu nähen. Die Stoffe waren billig, die Qualität scheußlich, die Farben glühten, aber diese Russen kauften alles. So bunt bekleidetes Volk gab es in keinem anderen Land der Erde. Mit der Zeit lernten Türken besser nähen, sie besorgten bessere Stoffe und die Russen verlangten schon nach höherer Qualität, weil es ihnen wirtschaftlich besser ging. Und so entwickelte es weiter: je mehr verdienten Russen, desto bessere Klamotten brauchten sie, desto fortgeschrittene wurde türkische Textilindustrie und Qualität der Waren war genauso gut, wie von Italiener oder Franzosen.

Valera wurde zum Arik Stepanjans Geschäftspartner befördert und war für Aufkauf der Jeans verantwortlich. Er flog regelmäßig nach Istanbul und machte Geschäfte mit einem Türken namens Alöscha. In hergebrachter in Türkei Weise tranken sie Tee und besprachen Deals. Es wurde herausgestellt, dass der Türke Alöscha überhaupt keiner Türke war, sondern Pomak – Bulgare-Moslem, der sprach Bulgarisch, Türkisch, Russisch, dazu noch Deutsch und Englisch. Alöscha musste mit seiner Familie aus Bulgarien flüchten, als mit dem Kapitalismus Nationalismus und Antiislamismus zusammen kamen. Sie besprachen noch die seltsame Erhöhung des Nationalismus in ehemaligen sozialistischen Ländern, dann bezahlte Valera seine Jeans und fuhr zurück zum Flughafen. Es gab keine Probleme mit türkischem Zoll, Alöscha erledigte alles.

Die Probleme mit dem Zoll erlebte Valera in Rostow, als er zum ersten Mal seine Jeans holen wollte. Der Beamte, der die notwendigen Papiere unterschreiben sollte, hielt plötzlich mit der letzten Unterschrift und sah fragend Valera an. Valera guckte seinerseits fragend den Beamten an. Die stille Pause dauerte schon zwei Minuten lang. Der Beamte wurde langsam rot vor Wut. Dann erinnerte Valera an die nützlichen Ratschläge von Arik Stepanjan und übergab beschämt dem Beamten tausend Dollar. Der noch erzürnte Beamte unterschrieb die Papiere und Valera fuhr mit seinen Jeans zum Markt.

Der Verkauf von Jeans war profitabel genug, um zu leben und noch etwas auf die hohe Kante zu legen. Valera fragte sich aber, ob das Geschäft von Dauer wäre und wie lange noch. Einerseits, er stellte sich seine Karriere nicht so vor, andererseits, als Verkäufer war er eine Niete. Am liebsten fuhr er nach Türkei, um Waren zu kaufen und mit Alöscha zu treffen. Mit den beiden schien es was zu werden. Der Mann beklagte sich, dass er sich in Türkei genauso als ein Mensch zweiter Klasse fühlte, wie in Bulgarien. Dort nannte man ihn Türke, hier nennt man ihn Bulgare. Wo sollte er doch leben, um sich selbst zu sein? Dazu wollte seine Kinder kein Bulgarisch sprechen, nur Türkisch. Sie schämten sich, Pomaken zu sein. Zum Trost erzählte ihm Valera, dass er sich in Russland immer als ein Mensch zweiter Klasse fühlte, weil er Jude war. Dann trösteten sie sich gegenseitig und tranken Tee.

Eines Tagen kamen zwei durchtrainierte schlecht aussehende tätowierte Jungen zum Ariks und Valeras Stand am Markt und gaben ihnen bekannt, dass sie ihnen siebzig Prozenten vom Bruttoerlös übergeben sollten. Arik und Valera versuchten zu erklären, dass in diesem Fall kein Geld mehr gäbe, um neue Waren zu kaufen und sie verdienten auch nichts, konnten aber den Jungen nicht überzeugen. Die Situation war ernst. Die Partner, die in der Mangel genommen wurden, verkauften die letzten Jeans und verabschiedeten sich vom Handel. Wiederum hat doch alles seines Gutes, oder?

Valera musste wieder neue Wege suchen, um zu überleben. Man brauchte noch keine Physiker in Russland und er kündigte schon seit langem seinen Platz im Institut. Weil Valera noch etwas Geld übrig hatte, versuchte er einen neuen Beruf zu erwerben. Vielleicht sollte er sich als Buchhalter qualifizieren lassen? Ihm schien, dass Buchhaltung nicht so kompliziert wäre, wie man denken könnte. Nach der Ausbildung fand er einen Platz in einer Firma, die Gemüsesaat aus Holland verkaufte. Seine englischen Kenntnisse waren sehr von Vorteil. Alles lief gut, Mitarbeiter waren nett, der Lohn hoch – nur war holländische Gemüsesaat etwas zu teuer für die russischen Bauern. Nach vier Monate ging Firma Pleite.

Die nächste Firma, in der Valera sich erbötig machte, verkaufte amerikanische Handys Motorola. Die Firma war sehr erfolgreich, Mitarbeiter waren nett, der Lohn hoch. Aber in sechs Monaten verlor der Zoll die ganze Zulieferung der Handys für ein halbes Jahr (der Direktor wollte nicht so viel Schmiergeld zahlen und der Zoll verübte Rache) und Firma ging Pleite. Unser Held fühlte sich wie mit einem Fluch belegt.

Die dritte Firma, die Valera als Buchhalter angestellte, produzierte Mineralwasser. Der Inhaber der Firma, ein Bauingenieur, mietete in Aksaj, eine Stadt nur zehn Kilometer von Rostow entfernt, das Gelände eines Landwirtschaftsbauwerkes, der schon in sowjetische Zeit wegen Vernachlässigung des Naturschutzes in aller Munde war. Man versteckte dort alle Abfälle im Geländeboden. Das Ergebnis dieser kreativen Naturschutzpraktiken war starke Mineralisation des Grundwassers. Nach der Perestroika versuchte man umsonst das Problem zu beheben, bis der Bauingenieur kam. Er machte bekannt, dass das schmutzige Wasser ein gesundes Mineralwasser sei, und seine Freunde von Gesundheitsamt, die vom Stamme Nimm waren, bestätigten das. Das Unternehmen war eine Goldgrube und es gab nur ein Problem, nämlich die Plastikflaschen. Der Bauingenieur kaufte die notwendigen für die Produktion Maschinen in Deutschland und sie waren selbstverständlich nicht gerade neu, aber sehr billig. Die Anlage brauchte ständige Überwachung und tägliche Reparatur. Ersatzteile waren nicht vorhanden und man sollte sie selbst produzieren. Der für Reparatur verantwortliche Mechaniker Foka Kusmitsch, der die teure Gurgel war, hielt alles irgendwie im Griff, bis die Konkurrenz des Bauingenieurs, die das gleiche Mineralwasser von dem Geländeboden eines anderen verwahrlosten Werks in Rostow forderte, seine Schmerzstelle fand. Sie übergaben dem Mechaniker Foka Kusmitsch ein paar Hundertdollarscheine und der fertigte nicht gerade exzellente Ersatzteile, sozusagen machte keine Nägel mit Köpfen. Foka Kusmitsch war ein ehrlicher Arbeiter. Etwas zu tun, das einer Maschine schaden konnte, war für ihn undenklich, aber er brauchte diese Dollars. Eine Woche lang zerbrach Foka Kusmitsch suchend die Lösung und endlich fand sie. Er würde alles dem Schicksal überlassen. Es sollte so passieren: Er würde ein wenig mehr als gewöhnlich vor der Arbeit trinken und dann die Details aufs Geratewohl fertigen. Was danach geschieht, sollte Herr Gott entscheiden. Herr Gott entschied zugunsten der Konferenz. Alle Flaschen wurden mit Löchern fertiggestellt. Foka Kusmitsch lag im Delirium und außer ihm konnte niemand den Fehler beheben. Firma war nicht imstande, Mineralwasser zu liefern und ging Pleite. Valera begann zu glauben, dass er den Unternehmen Unglück bringt.