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Dr. Jarvis kam näher und stellte sich neben mich. Er war sehr blass und die dunklen Ringe unter seinen Augen ließen seine Müdigkeit erkennen. »Ich auch nicht. Aber es passiert wirklich. Sein Herzschlag ist sehr langsam, aber regelmäßig und stark. Falls wir ihn jetzt töten würden, so bestünde kein Zweifel daran, dass wir tatsächlich einen Mord begingen.«

Ein junger Assistenzarzt, der neben uns stand, meinte: »Er kann das nicht mehr viel länger durchhalten, Sir. Er ist wirklich krank.«

Dr. Jarvis zuckte die Achseln: »Er ist nicht nur krank, Perring. Er ist tot. Oder zumindest müsste er es sein.«

Ich starrte vier oder fünf Minuten lang auf Bryans hellen, glänzenden Kopf. Die leeren Augenhöhlen sahen aus wie finstere, höhnische Augen, und die Wangen waren zu einem knochigen Grinsen entblößt. Dr. Jarvis neben mir sagte nichts, aber ich sah aus den Augenwinkeln seine Hände, die während der ganzen Zeit nervös mit dem Kugelschreiber spielten.

In den Tiefen dieses bläulichen Zimmers pochte das Herz immer weiter und weiter, die Lichtsignale huschten beharrlich über den Kontrollbildschirm, hielten Bryan Corder lebendig in einer schrecklichen Hölle, die er niemals sehen oder verstehen würde.

»Ich habe eine Theorie. Möchten Sie sie hören?«, fragte Dr. Jarvis mit rauer Stimme.

Ich war glücklich, meine Augen von der durchsichtigen Glaswand zu lösen. »Klar. Reden Sie. Jane hat auch einige Theorien, aber ich muss Ihnen gestehen, dass sie reichlich seltsam sind.«

»Ich vermute, dass meine nicht weniger seltsam ist.«

Ich griff nach seinem Arm. »Gibt es hier die Möglichkeit, irgendwie an einen Drink zu kommen? Ich könnte wirklich einen gebrauchen.«

»Ich habe einen Kühlschrank in meinem Büro.«

Dankbar verließen wir den Beobachtungsraum und gingen den Flur entlang zu Dr. Jarvis’ Büro. Es war ziemlich eng, gerade genügend Raum für einen Schreibtisch, einen kleinen Kühlschrank und eine schmale Couch; der Blick aus dem Fenster war nur für jemanden eindrucksvoll, der gerne auf die Rückansichten von Gebäuden starrt. Abgesehen von einer billigen Schreibtischlampe, einem Stapel medizinischer Zeitschriften und einer Fotografie, die Dr. Jarvis auf einer altertümlichen Brücke mit einem sommersprossigen, jungen Mädchen zeigte, war der Raum schmucklos und kahl.

Dr. Jarvis zeigte auf das Foto: »Meine Tochter von meiner Ex-Frau, Gott segne sie.« Und mit einem verunglückten Grinsen fügte er hinzu: »Ich nenne den Raum den Besenschrank. Die besten Büros liegen alle auf der Westseite, mit Ausblick auf das Meer, aber man muss mindestens ein Jahrhundert hier arbeiten, um endlich eines davon zu erhalten.«

Aus der Schreibtischschublade nahm er eine Flasche Gin und aus dem Mini-Kühlschrank Tonic und Eiswürfel und mixte für uns beide einen Drink. Anschließend setzte er sich bequem hin und streckte die Füße auf seinem Schreibtisch aus. Einer seiner Schuhe hatte eine durchgelaufene Sohle.

»Jane meint, dass die Ereignisse in Wallis’ Haus etwas mit Indianer-Legenden zu tun haben«, sagte ich. »Mount Taylor soll demnach der Sitz eines riesigen Ungeheuers gewesen sein, Big Monster, und Cabezon Peak ist sein Kopf. Er wurde ihm von einem Blitz abgeschlagen.«

Dr. Jarvis zündete sich eine Zigarette an und bot mir auch eine an. Ich rauchte sehr wenig, aber jetzt hatte ich das Gefühl, die ganze Packung rauchen zu können. Es wurde mir jedes Mal übel, sobald ich an Bryan Corders leere Augenhöhlen dachte, die ins Nichts starrten.

»Tja, ich kenne mich mit Legenden nicht aus«, sagte Dr. Jarvis, »aber es scheint irgendeine Verbindung zwischen dem zu bestehen, was mit Machin geschah, und dem, was Corder passiert ist. Denken Sie einmal darüber nach. Beide wollten in dem Haus in 1551 Pilarcitos ein Geräusch erforschen und beide erzeugen heute das Geräusch, das sie gehört haben. Machin atmet wie das Atmen, das er in Seymour Wallis’ Büro gehört hat, und Corders Herz schlägt genauso wie das Schlagen, das er in Wallis’ Kamin gehört hat.«

Ich schlürfte an meinem Gin Tonic. »Und die Theorie lautet?«

Dr. Jarvis verzog das Gesicht. »Das ist sie. Das ist die ganze Theorie. Die Theorie besteht darin, dass der Einfluss oder die Macht, die dieses Haus beherrscht, sich nach und nach und Stück um Stück aus dem Hause stiehlt.«

»Ja, stimmt«, sagte ich lakonisch. »Und was folgt als Nächstes? Kommen jetzt Beine und Arme? Nasen und Ohren?«

Aber während ich diese Worte laut aussprach, dachte ich etwas ganz anderes. Ich erinnerte mich daran, was Jane mir vor nur ein oder zwei Stunden am Telefon gesagt hatte: Ein Navaho-Spruch, den ich nicht aussprechen kann, der aber etwa so viel bedeutet wie »zurückkommen auf dem Pfad der vielen Teile«.

Und auf dem Türklopfer stand: »Rückkehr.«

»Was ist los?«, fragte Dr. Jarvis. »Sie sehen ganz krank aus.«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht bin ich es. Aber irgendetwas, das Jane über diese Indianerlegende gesagt hat, passt zu dem, was Sie gerade sagten. Es gab da einen Dämon oder so etwas, der fähig war, Big Monster zu erledigen, obwohl Big Monster fast unzerstörbar durch Menschen oder Dämonen oder sonst jemanden war. Diesen Dämon nannte man den Ersten, der mit Worten Gewalt ausübte, oder so ähnlich.«

Dr. Jarvis trank seinen Gin Tonic aus und goss sich noch einen ein. »Ich sehe da keine Verbindung«, meinte er.

»Die Verbindung besteht darin, dass das Motto dieses Dämons ein indianisches Sprichwort war, das bedeutete: ›Zurückkommen auf dem Pfad der vielen Teile‹.«

Dr. Jarvis furchte die Stirn. »Und?«

»Und das ist es! Siesagten, welche Macht auch immer von Wallis’ Haus Besitz ergriffen hätte, sie würde sich nach und nach und Stück um Stückherausschleichen – zuerst das Atmen und jetzt der Herzschlag!«

Dr. Jarvis sah mich lange und unbewegt an, er hob noch nicht einmal sein Glas vom Tisch.

Ich sagte fast verlegen: »Es ist ja nur ein Gedanke. Es schien mir einfach mehr als ein reiner Zufall.«

»Sie wollen also andeuten, dass diese Geräusche in Wallis’ Haus etwas mit einem Dämon zu tun haben, der allmählich von Leuten Besitz ergreift? Stückchenweise?«

»Ist das nicht das, was Sieandeuten wollten?«

Dr. Jarvis seufzte und rieb sich die Augen. »Ich weiß nicht genau, wasich eigentlich meine. Wir sollten vielleicht im Haus anrufen und Mr. Wallis fragen, ob der Herzschlag jetzt auch verschwunden ist.«

»Ja, eine gute Idee. Ich habe den ganzen Tag noch nichts von ihm gehört.«

»Er hinterließ eine Nachricht, dass er angerufen hat«, sagte Dr. Jarvis. »Er wollte sich wahrscheinlich nach Corder erkundigen.«

Dr. Jarvis fand die Nachricht auf seinem Block und wählte Wallis’ Nummer. Er ließ es klingeln, klingeln und klingeln. Schließlich legte er den Hörer auf: »Keine Antwort. Ich vermute, er war so klug und hat das Haus verlassen.«

Ich trank mein Glas aus. »Würden Siedenn dort bleiben? Also ich nicht. Aber ich werde heute am Nachmittag mal dort vorbeischauen. Ich werde mir den Tag freinehmen.«

»Wird San Francisco denn seinen begabtesten Beamten im Gesundheitsamt nicht vermissen?«

Ich drückte meine Zigarette aus. »Ich habe mir bereits Gedanken über einen Wechsel gemacht. Vielleicht gehe ich in die Medizin. Ich habe den Eindruck, dass man dort ein ziemlich idyllisches Leben verbringen kann.«

Er lachte.

Ich trank noch etwas. »Haben Sie die Vögel gesehen?«

»Vögel? Was für Vögel? Ich habe die ganze Nacht bei Corder gewacht.«

»Ich bin überrascht, dass es Ihnen noch niemand erzählt hat. Ihr gesamtes verfluchtes Krankenhaus sieht aus wie ein Vogelschutzgebiet.«

Dr. Jarvis hob eine Augenbraue. »Was denn für Vögel?«

»Keine Ahnung – ich bin kein Ornithologe. Sie sind ziemlich groß und grau. Sie sollten mal rausgehen und sich das ansehen. Machen einen ziemlich düsteren Eindruck. Wäre ich weniger feinfühlig, dann würde ich sagen, es sind Geier, die darauf warten, dass Elmwoods reiche und unglückselige Patienten sterben.«