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Ich setzte mich wieder auf mein Blumenmuster-Sofa und nippte weiter an meinem Kaffee. Ich hatte die ganze Nacht über alles nachgedacht, was in dem Haus 1551 Pilarcitos passiert war. Noch immer konnte ich nicht verstehen, was eigentlich vor sich ging. Eines war allerdings klar: Welche Kraft oder welcher Einfluss auch immer dieses Haus heimsuchte, es war nichts Wohlmeinendes. Ich zögerte wirklich, das Wort »Geist« zu benutzen, sogar wenn ich in der privaten Atmosphäre meines Apartments darüber nachdachte, aber was zur Hölle konnte es sonst sein?

Es hatten sich so viele seltsame Ereignisse begeben und sie schienen alle nichts miteinander zu tun zu haben. Ich hatte das Gefühl, dass Seymour Wallis wichtiger war, als er selbst wusste. Es war schließlich seinHaus, und er war der Erste, der das Atmen gehört hatte. Er hatte ja selbst gesagt, dass er vom Pech verfolgt wurde, seitdem er in diesem Park in Fremont gearbeitet hatte. Auch besaß er noch immer dieses eigenartige Souvenir aus Fremont, die Bärenfrau auf dem Treppenpfosten.

Ich spürte, und das sehr stark, dass alles, was passierte, nicht rein zufällig geschah. Es war wie der Anfang eines Schachspiels, bei dem die ersten Züge zufällig und beziehungslos erscheinen, aber alle Teil einer wohlüberlegten Strategie sind. Die Frage war nur, wessenStrategie! Und wozu?

Wie Bryan Corders schrecklicher Unfall und Dan Machins unheimliche Gehirnerschütterung allerdings in Verbindung gebracht werden konnten, begriff ich nicht. Ich wollte aber auch nicht zu intensiv darüber nachdenken, weil ich ständig die schrecklichen Bilder von Bryans fleischlosem Kopf vor mir sah, und der Gedanke daran, dass er immer noch lebte, ließ meine Gänsehaut noch schlimmer werden. Auch in meinen besten Zeiten hatte ich schon nicht den stärksten Magen. Ich gehörte zu den empfindlichen Leuten, die den Tintenfisch auf der Meeresfrüchteplatte nicht essen können und die die Frühstückseier stets hart gekocht bestellen.

Das Telefon läutete und Angst kroch mir prickelnd den Nacken hoch. Ich nahm den Hörer und sagte: »John Hyatt. Wer ist am Apparat?«

»John? Ich bin es, Jane.«

Ich nahm einen Schluck Kaffee. »Du bist aber früh auf«, bemerkte ich. »Konntest du nicht schlafen?«

»Konntest du denn?«

»Nun ja, nicht so richtig. Ich muss immer wieder an Bryan denken. Ich habe eben das Krankenhaus angerufen, aber sie haben noch keine Neuigkeiten. Ich hoffe nur, dass er tot ist.«

»Ich weiß, was du meinst.«

Ich trug das Telefon zum Sofa hinüber und streckte mich lang aus. Gerade jetzt wurde ich müde. Vielleicht war es auch nur die Erleichterung, mit jemand Nettem reden zu können. Ich trank den Kaffee aus, wobei ich etwas Kaffeesatz in den Mund bekam, den ich während des übrigen Gespräches von meiner Zunge zu pflücken versuchte.

»Ich rufe an, weil ich etwas herausgefunden habe«, sagte Jane.

»Hat es etwas mit Bryan zu tun?«

»Nicht ganz. Aber etwas, das mit Seymour Wallis’ Haus zu tun hat. Du kennst doch diese ganzen Zeichnungen vom Mount Taylor und Cabezon Peak?«

»Sicher. Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht.«

»Also, ich habe darüber in den Büchern im Laden nachgeschlagen. Mount Taylor liegt in den San Mateo Mountains, Höhe knapp 3500 Meter, und Cabezon Peak liegt im Nordosten im San Doval County, Höhe etwas über 2500 Meter.«

Ich spuckte Kaffeesatz. »Das liegt in New Mexico, richtig?«

»Das stimmt. Echtes Indianergebiet. Und es gibt Dutzende von Legenden über diese beiden Berge, meistens Navaho-Geschichten über Big Monster.«

»Big Monster? Wer zum Teufel ist Big Monster?«

»Big Monster war ein Riese, der über etliche Jahrhunderte den Südwesten terrorisiert haben soll. Er hauste auf dem Mount Taylor. Er hatte ein blau-schwarz gestreiftes Gesicht und trug eine Rüstung aus Feuersteinen – sie war mit den Eingeweiden der Leute und Tiere zusammengewebt, die er niedergemetzelt hatte.«

»Das klingt aber nicht gerade friedfertig.«

»Das war er auch nicht. Er war einer der wildesten Riesen aller Legenden und aller Kulturen. Ich habe ein Buch aus dem 18. Jahrhundert vor mir liegen. Darin steht, dass er alle menschenvernichtenden Dämonen unter sich vereinte und dass ihn kein Sterblicher vernichten konnte. Er wurde jedoch von zwei tapferen Göttern erschlagen, die man die Zwillinge nannte. Sie lenkten seine Pfeile mit einem Regenbogen ab und enthaupteten ihn dann mit einem Blitzschlag. Seinen Kopf warfen sie nach Nordosten, und daraus entstand dann der Cabezon Peak.«

Ich räusperte mich. »Das ist eine sehr nette Geschichte. Doch was hat sie mit Seymour Wallis’ Haus zu tun? Abgesehen natürlich von all den Zeichnungen vom Mount Taylor und Cabezon Peak.«

»Tja, ich bin mir da nicht ganz sicher«, sagte Jane. »Aber hier wird eine Anspielung gemacht auf den Ersten, der Worte zur Gewalt benutzte.Das verstehe ich nicht so ganz. Wer oder was auch immer derjenige war, der als Erster Worte zur Gewalt benutzte,er war anscheinend mächtig genug, um Big Monsters goldenes Haar abzuschneiden und ihn dadurch zum Gespött zu machen … Und da ist noch etwas. Der Erste, der Worte zur Gewalt benutzte,war ewig und unsterblich, und sein Motto gegenüber allen Göttern und Menschen, die ihn vernichten wollten, war ein Navaho-Spruch, den ich nicht aussprechen kann, der aber etwa so viel bedeutet wie »Zurückkommen auf dem Pfad der vielen Teile.«

»Jane, Schatz, das ergibt alles aber wenig Sinn.«

»John, Liebling, es gibt noch ein anderes Wort für ›zurückkommen‹! Falls du es vergessen hast: ›Rückkehr‹.«

Ich schwang meine Beine vom Sofa und setzte mich gerade hin. »Jane, du klammerst dich an völlig unwahrscheinliche Strohhalme. Ich gebe zu, ich weiß nicht, warum Seymour Wallis diese ganzen Bilder vom Mount Taylor und Cabezon Peak in seinem Haus hängen hat. Ich vermute, sie hingen schon da, als er einzog. Aber du kannst jeden Berg im ganzen Südwesten nehmen und du findest eine Indianerlegende, die über ihn berichtet. Da ist nichts dran, wirklich. Ich meine, wir haben es vielleicht mit einer übernatürlichen Kraft zu tun. Irgendeine unerkannte Macht, die sich bisher im Verborgenen hielt und sich jetzt plötzlich als kinetische Kraft offenbart. Aber mit Navaho-Monstern hat das nichts zu tun. Ich bin überzeugt, so etwas gibt es nicht.«

Jane war nicht beleidigt. »Ich glaube, dass wir dem doch noch etwas nachgehen sollten. Bei dir besteht nur das Problem, dass du zu rational bist.«

»Rational? Ich arbeite für das Gesundheitsamt und du hältst mich für zu rational?«

»Ja, das tue ich. John Hyatt, der vernünftige Staatsbürger – du bist so nüchtern, dass man sogar eine Hotelkette nach dir benannt hat.«

Ich musste lachen. »Hör mal, tu mir bitte einen Gefallen. Rufe für mich im Büro an. Sprich mit Douglas P. Sharp und sage ihm, ich wäre krank. Ich will heute Morgen gern ins Elmwood-Krankenhaus gehen, um mit Dr. Jarvis zu sprechen.«

»Sollen wir uns zum Mittagessen treffen?«

»Warum nicht? Ich komme zum Buchladen und hole dich ab.«

»Rufst du mich an, wenn du weißt, wie es Bryan geht? Ich wäre dir dankbar.«

»Na klar.«

Ich legte den Hörer auf. Eine Weile dachte ich über das nach, was Jane mir gesagt hatte, aber dann schüttelte ich den Kopf und lächelte. Sie liebte Geister, Zauberei und Monster. Sie hatte mich einmal mitgezerrt, um die ganzen alten, originalen Horrorfilme wie Draculamit Bela Lugosi und Frankensteinmit Boris Karloff anzusehen. Irgendwie war der Gedanke, dass Jane an Geister und Monster im Haus 1551 Pilarcitos glaubte, sehr beruhigend. Das weckte den gutherzigen männlich-väterlichen Chauvinisten in mir. Vielleicht hatte ich sie allein aus diesem Grunde mit dorthin genommen. Wenn Jane an so etwas glaubte, dann konnte es nichtwahr sein.

Das Telefon läutete wieder, als ich mich gerade rasierte. Mit schaumbedecktem Kinn nahm ich den Hörer ab, wie der Weihnachtsmann, der eine Bestellung für das Spielzeug des nächsten Winters entgegennimmt.