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»John? Ich bin’s, James Jarvis. Sie wollten zurückgerufen werden.«

»Oh, hallo. Ich wollte nur wissen, wie es Bryan Corder geht.«

Einen Moment blieb es still. »Sein Herz schlägt noch immer.«

»Glauben Sie nicht, dass er weiterleben kann?«

»Das ist schwer zu sagen. Ich wünsche es ihm besser nicht. Auf keinen Fall könnte er wieder in die Welt hinausgehen. Er müsste den Rest seines Lebens unter einem keimfreien Sauerstoffzelt liegen. Das gesamte Gehirn liegt frei, und jede Infektion würde ihn umgehend töten.«

Mit dem Handrücken wischte ich mir den Schaum vom Mund. »Können Sie nicht den Stecker herausziehen und ihn einfach sterben lassen? Ich glaube, dass ich Bryan gut genug kenne, um zu sagen, dass er sonicht weiterleben möchte.«

»Nun«, sagte Dr. Jarvis, »das haben wir.«

»Sie haben was?«

»Wir haben die Systeme zur Lebenserhaltung entfernt. Er bekommt kein Plasma, kein Blut, keine intravenöse Ernährung oder Beruhigung, kein Adrenalin, keinen elektronischen Herzschrittmacher, nichts mehr. Medizinisch müsste er schon seit Stunden tot sein.«

Er schwieg wieder und ich hörte jemanden sein Büro betreten und etwas Unverständliches sagen. Dann meinte Dr. Jarvis: »Das Problem ist, John, dass sein Herz noch immer schlägt und nicht aufhört. Wie schwer seine Verletzungen auch immer sind, ich kann seinen Tod nicht bestätigen, bevor er nicht tot ist.«

»Wie ist es mit Euthanasie?«

»Das ist ungesetzlich. Und so schwer Bryans Verletzungen auch sind, ich kann es nicht tun. Ich nehme schon genug Risiko auf mich, indem ich ihn von den Lebenserhaltungsgeräten trenne. Das kann mich meine Lizenz kosten.«

»Hat seine Frau Moira ihn gesehen?«

»Sie weiß, dass er einen Unfall hatte, mehr nicht. Wir tun natürlich alles, um sie fernzuhalten.«

»Was ist mit Dan Machin? Irgendeine Besserung?«

»Er liegt immer noch im Koma. Aber warum kommen Sie nicht her und sehen sich das selbst an? Ich könnte etwas moralische Unterstützung gebrauchen. Ich konnte hier mit niemandem über die vergangene Nacht reden. Die sind alle so verdammt vernünftig, sie würden doch glauben, dass ich zu einer Sekte oder so was gehöre.«

»Okay. Geben Sie mir eine halbe Stunde.«

Ich rasierte mich, zog mir meine ausgewaschenen Jeans und ein rotes Hemd an, dann bespritzte ich mich mit etwas Rasierwasser. Es ist erstaunlich, was ein Kleiderwechsel für die geistige Verfassung bedeuten kann. Ich machte noch mein Bett, spülte das Kaffeegeschirr, warf Dolly Partons Bild, das in meiner kleinen Diele hing, einen Kuss zu und ging hinunter auf die Straße.

Es war einer von diesen strahlenden Morgen, an denen man die Augen weit aufreißt, um mehr zu sehen. Der blaue Himmel und die vereinzelten weißen Wolken stärkten in mir ganz deutlich die Gewissheit, dass das Leben auch ganz normal sein kann und dass der Unfall in der letzten Nacht nur eine abseitige, bittere Laune der Natur gewesen war.

Ich ging bis zur Straßenecke und winkte mir ein Taxi. Ich hatte früher mal selbst ein Auto besessen, aber all die anfallenden Kosten vom Gehalt eines Angestellten bei der Gesundheitsbehörde bezahlen zu wollen, war wie der Versuch, einen verstopften Kanal mit einer Zahnbürste zu reinigen. Am Ende hatte das Inkassoinstitut einen Mitarbeiter gesandt, der an einem dunstigen Morgen erschien und mit meinem metallicblauen Monte Carlo im Nebeltreiben verschwand. Erst als er fort war, stellte ich fest, dass ich meine Evel-Knievel-Sonnenbrille im Handschuhfach vergessen hatte.

Als wir die Fulton Street hinauf zum Krankenhaus fuhren, einem der höchsten Teak-und Betongebäude mit Sicht auf den Ozean, sagte der Taxifahrer: »Schauen Sie mal die verdammten Vögel da. Haben Sie so etwas schon jemals gesehen?«

Ich sah von meiner Ausgabe des Examinerauf – ich hatte nach irgendeiner Meldung über den Unfall von Bryan Corder gesucht. Wir fuhren gerade zwischen sauber geschnittenen Hecken in den weiten Vorhof des Krankenhauses ein und zu meiner Verwunderung und Beunruhigung wimmelte es auf den Dächern der Gebäude von grauen Vögeln. Es war nicht nur so ein Vogelschwarm, der sich kurz niedergelassen hatte, da saßen Tausende von ihnen. Überall auf der Silhouette des Hauptgebäudes und jedem Nebentrakt, auf der Klinik und den Garagen.

»Das nenne ich sonderbar«, sagte der Taxifahrer, während er den Wagen durch den Vorhof fuhr und am Haupteingang hielt. »Sonderbar mit einem Ausrufezeichen.«

Ich stieg aus dem Wagen und blieb einen Augenblick stehen, um die flatternden grauen Massen zu betrachten. Diese Art Vögel kannte ich nicht. Sie waren groß wie Tauben, aber grau wie gewitterschwerer Himmel, grau wie die stürmische See. Was aber noch schlimmer war: Sie waren ganz still. Sie zwitscherten nicht, sangen nicht. Sie saßen auf dem Dach des Krankenhauses, die warme Brise des Pazifiks spielte mit ihrem dunklen Gefieder, geduldig und lautlos wie Vögel auf einem Grabstein aus Granit.

»Haben Sie den Hitchcock-Film gesehen?«, fragte der Taxifahrer. »Den, wo die Vögel verrückt werden?«

Ich hustete. » Daranmusste ich jetzt nicht erinnert werden, danke.«

»Tja, vielleicht ist es das«, sagte der Taxifahrer. »Vielleicht starten die Vögel von hier. Stellen Sie sich das vor.«

Ich bezahlte den Mann und ging durch die automatischen Türen in den kühlen Bereich des Krankenhauses. Alles hier drinnen war sehr geschmackvoll ausgestattet – italienische Holzpaneele auf dem Boden, Gemälde von David Hockney, Palmenbäume und leise Musik. Ins Elmwood Foundation Hospital kam niemand, dessen Krankenversicherung nicht einen ziemlich hohen Beitrag kostete.

Am Empfang saß ein dralles Mädchen in einem engen weißen Kleid. Sie hatte dichtes schwarzes Haar, auf dem die Schwesternhaube wie ein sauber gelegtes Ei thronte.

»Hi«, sagte sie. »Ich bin Karen.«

»Hi, Karen, ich heiße John. Was haben Sie heute Abend vor?«

Sie lächelte. »Heute ist Mittwoch. Mein Abend zum Haarewaschen.«

Ich schaute auf ihre zu einem Bienenkorb hochgesteckten Haare. »Sie meinen, Sie waschen das Ding da? Ich dachte, so etwas würde einfach nur immer wieder frisch lackiert.«

Jetzt war sie beleidigt und drückte einen Knopf, um Dr. Jarvis zu rufen. »Einige von uns achten noch auf gutes Benehmen«, meinte sie sauer.

Etwas verlegen und stumm stand ich da, bis kurz darauf Dr. Jarvis erschien. Er kam mit ausgestreckter Hand auf mich zu.

»John! Ich bin froh, dass Sie da sind!«

Ich schaute in Richtung der dunkelhaarigen Schwester. »Ich bin ebenso froh …«

Dr. Jarvis führte mich zum Aufzug und wir fuhren zum fünften Stock hinauf. Leise Musik plätscherte beruhigend aus den Lautsprechern: Moon River.

Wir landeten auf einem sauberen Flur, der von trüben Deckenlampen erhellt wurde und an dessen Wänden mittelmäßige Lithografien der Gegend von Mill Valley und Sausalito hingen. Dr. Jarvis ging auf zwei breite Mahagoni-Flügeltüren zu und drückte sie auf. Ich folgte willig und stand dann in einem Beobachtungsraum mit einer durchgehenden Glaswand, die den Blick in die trüben, bläulich erleuchteten Tiefen einer Intensivstation freigab.

Dr. Jarvis meinte: »Treten Sie ruhig näher heran«, also ging ich über den gefliesten Boden und schaute durch das Glas.

Bryans Anblick in diesem bläulichen Raum, wo er mit seinem blanken Schädel auf einem Kopfkissen lag, den voll erhaltenen Körper in einem grünen OP-Kittel, war grausam und furchterregend. Obwohl ich ihn schon zuvor gesehen und den Schock erlebt hatte, als ich versuchte, ihn aus dem Kamin zu ziehen, war dieser Anblick des grinsenden Skelettes zu viel für mich. Noch schlimmer war jedoch der elektrische Bildschirm neben seinem Bett, denn der zeigte, dass sein Herz langsam, aber regelmäßig schlug – kleine wandernde Lichtpunkte, die bedeuteten: »Ich lebe noch immer.«

»Ich glaube es nicht«, flüsterte ich. »Ich kann es mit meinen eigenen Augen sehen, aber ich glaube es einfach nicht.«