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›Ich bin ihr Mann‹, sagte ich.

›Und ich bin Greta Garbo‹, sagte die Frau.

›Weshalb sonst sollte ich Sie fragen?‹

›Nach Helen Baumann‹, sagte die Frau, ›ist oft gefragt worden. Von merkwürdigen Leuten. Wollen Sie die Wahrheit? Helen Baumann ist tot. Sie ist vor zwei Wochen gestorben und beerdigt worden. Das ist die Wahrheit. Ich dachte, Sie brächten Nachrichten von draußen.‹

›Sie ist tot?‹

›Tot. Und nun lassen Sie mich in Ruhe.‹

›Sie ist nicht tot‹, sagte ich. ›In den Baracken weiß man das besser.‹

›In den Baracken wird viel Unsinn geredet.‹

Ich sah die rothaarige Frau an. ›Wollen Sie ihr einen Brief geben? Ich gehe – aber ich möchte einen Brief hinterlassen.‹

›Wozu?‹

›Wozu nicht? Ein Brief bedeutet nichts. Er tötet nicht und liefert nicht aus.‹

›Nein?‹ sagte die Frau. ›Seit wann leben Sie?‹

›Das weiß ich nicht. Ich habe es auch nur stückweise getan und wurde oft unterbrochen. Können Sie mir ein Stück Papier und einen Bleistift verkaufen?‹

›Da ist beides‹, sagte die Frau und zeigte auf einen kleinen Tisch. ›Wozu wollen Sie an eine Tote schreiben?‹

›Weil das heute oft geschieht.‹

Ich schrieb auf einen Zettel: ›Helen, ich bin hier. Draußen. Heute abend. Am Drahtzaun. Ich warte.‹

Ich klebte den Brief nicht zu. ›Wollen Sie ihn ihr geben?‹ fragte ich die Frau.

›Es gibt heute viele Verrückte‹, antwortete sie.

›Ja oder nein?‹

Sie las den Brief, den ich ihr hinhielt. ›Ja oder nein?‹ wiederholte ich.

›Nein‹, sagte sie.

Ich legte den Brief auf den Tisch. ›Zerstören Sie ihn wenigstens nicht‹, sagte ich.

Sie erwiderte nichts. ›Ich komme zurück und bringe Sie um, wenn Sie verhindern, daß dieser Brief in die Hände meiner Frau kommt‹, sagte ich.

›Sonst noch was?‹ fragte die Frau und starrte mich mit ihren flachen grünen Augen in dem verbrauchten Gesicht an.

Ich schüttelte den Kopf und ging zur Tür. ›Sie ist nicht hier?‹ fragte ich und drehte mich noch einmal um.

Die Frau starrte mich an und antwortete nicht. ›Ich bin noch zehn Minuten im Lager‹, sagte ich. ›Ich komme noch einmal wieder, um zu fragen.‹

Ich ging durch die Lagergasse. Ich glaubte der Frau nicht; ich wollte einige Zeit warten und dann in die Kantine zurückgehen, um Helen zu suchen. Aber plötzlich fühlte ich, wie mich der Mantel unsichtbarer Protektion verließ – ich war auf einmal riesenhaft groß und wehrlos und mußte mich verstecken.

Ich trat aufs Geratewohl in eine Tür. ›Was wollen Sie?‹ fragte mich eine Frau.

›Ich soll die elektrische Leitung nachsehen. Ist hier etwas kaputt?‹ sagte jemand neben mir, der ich war.

›Hier ist nichts kaputt. Aber hier war nie etwas heil.‹

Ich sah, daß die Frau einen weißen Kittel trug. ›Ist dies das Hospital?‹ fragte ich.

›Dies ist die Krankenbaracke. Sind Sie hierher bestellt worden?‹

›Meine Firma hat mich von unten geschickt. Die Leitungen sollen nachgesehen werden.‹

›Sehen Sie nach, was Sie wollen‹, sagte die Frau.

Ein Mann in Uniform kam vorbei. ›Was gibt’s?‹

Die Frau im weißen Kittel erklärte es ihm. Ich sah den Mann an. Mir kam vor, daß ich ihn von irgendwoher kannte. ›Elektrizität?‹ sagte er. ›Medizin und Vitamine wären verdammt wichtiger!‹

Er schleuderte seine Kappe auf den Tisch und ging.

›Hier ist alles in Ordnung‹, sagte ich zu der Frau in Weiß. ›Wer war das?‹

›Der Arzt, wer sonst? Die andern kümmern sich doch um nichts!‹

›Haben Sie viele Kranke?‹

›Genug.‹

›Und Tote?‹

Sie sah mich an. ›Wozu wollen Sie das wissen?‹

›Nur so‹, erwiderte ich. ›Warum ist hier jeder so mißtrauisch?‹

›Nur so‹, wiederholte die Frau. ›Bloß aus Kaprize, Sie ahnungsloser Engel mit einer Heimat und einem Paß! Nein, wir hatten keine Toten seit vier Wochen. Aber vorher hatten wir genug.‹

Vor vier Wochen hatte ich noch einen Brief von Helen gehabt. Sie mußte also noch da sein. ›Danke‹, sagte ich.

›Was ist da zu danken?‹ fragte die Frau bitter. ›Danken Sie lieber Gott, daß Ihre Eltern Ihnen ein Vaterland gegeben haben, das Sie lieben können, auch wenn es unglücklich ist und in seinem Unglück noch Unglücklichere einsperrt und für Raubtiere zur Verfügung hält, um sie töten zu können – dieselben Raubtiere, die Ihr Land unglücklich gemacht haben! Und nun machen Sie weiter Licht‹, fügte sie hinzu. ›Es wäre besser, wenn in manchen Köpfen mehr Licht gemacht würde!‹

›War schon eine deutsche Kommission hier?‹

›Weshalb wollen Sie denn das wissen?‹

›Ich habe gehört, daß man darauf wartet.‹

›Macht es Ihnen Spaß, das zu wissen?‹

›Nein. Ich muß jemand warnen.‹

›Wen?‹ sagte die Frau und richtete sich auf.

›Helen Baumann‹, erwiderte ich.

Die Frau sah mich an. ›Wovor?‹ fragte sie dann.

›Kennen Sie sie?‹

›Warum?‹

Wieder war da die Mauer des Mißtrauens, die ich erst später verstand. ›Ich bin ihr Mann‹, sagte ich.

›Können Sie das beweisen?‹

›Nein. Ich habe andere Papiere als sie. Aber vielleicht genügt es, wenn ich Ihnen sage, daß ich kein Franzose bin.‹ Ich holte den Paß des toten Schwarz hervor. ›Ein Nazipaß‹, sagte die Frau. ›Das habe ich mir gedacht. Wozu machen Sie das?‹

Ich verlor die Geduld. ›Um meine Frau wiederzusehen. Sie ist hier. Sie hat es mir selbst geschrieben.‹

›Haben Sie den Brief?‹

›Nein. Ich habe ihn vernichtet, als ich floh. Wozu die Geheimnistuerei hier?‹

›Das möchte ich auch wissen‹, sagte die Frau. ›Aber von Ihnen.‹

Der Arzt kam zurück. ›Sind Sie hier nötig?‹ fragte er die Frau.

›Nein.‹

›Dann kommen Sie mit. Sind Sie fertig?‹ fragte er mich.

›Noch nicht. Ich komme morgen noch einmal.‹

Ich ging zurück zur Kantine. Die rothaarige Frau stand mit zwei anderen an einem Tisch und verkaufte ihnen Unterzeug. Ich wartete und fühlte wieder, daß mein Glück auslief; ich mußte fort, wenn ich noch aus dem Lager herauswollte. Die Wachen würden abgelöst werden, und einer neuen hätte ich alles noch einmal erklären müssen. Helen sah ich nicht. Die Frau vermied meinen Blick. Sie zog die Verhandlungen in die Länge. Dann kamen noch einige dazu, und ich sah einen Offizier vor dem Fenster vorbeigehen. Ich verließ die Kantine.

Die alten Wachen waren noch am Ausgang. Sie erinnerten sich und ließen mich passieren. Ich ging und hatte dasselbe Gefühl wie in Le Vernet: daß sie mir nachkommen würden, um mich zu fangen. Der Schweiß brach mir aus.

Ein alter Lastwagen kam die Straße herauf. Ich konnte nirgendwohin ausweichen und ging am Rande der Straße weiter, den Blick auf dem Boden. Der Wagen passierte mich und hielt dicht hinter mir. Ich widerstand der Versuchung zu laufen. Der Wagen konnte rasch drehen, und dann hatte ich keine Chance. Ich hörte rasche Tritte hinter mir. Jemand rief: ›He, Monteur!‹

Ich drehte mich um. Ein älterer Mann in Uniform kam heran. ›Verstehen Sie was von Motoren?‹

›Nein. Ich bin Elektriker.‹

›Vielleicht ist es auch die elektrische Zündung. Schauen Sie doch mal unsern Motor nach.‹

›Ja, sehen Sie einmal nach‹, sagte der zweite Fahrer. Ich blickte auf. Es war Helen. Sie stand hinter dem Soldaten und starrte mich an und hielt den Finger auf den Mund. Sie trug Hosen und einen Sweater und war sehr dünn.

›Sehen Sie einmal nach‹, wiederholte sie und ließ mich an sich vorbeigehen. ›Vorsicht!‹ murmelte sie. ›Tu so, als verständest du etwas! Nichts ist kaputt.‹

Der Soldat schlenderte hinter uns her. ›Wo kommst du her?‹ flüsterte sie. Ich öffnete die knarrende Motorhaube. ›Geflohen. Wie kann ich dich treffen?‹

Sie beugte sich mit mir über den Motor. ›Ich kaufe für die Kantine ein. Übermorgen. Sei im Dorf! Im ersten Café links. Um neun Uhr morgens.‹

›Und vorher?‹

›Dauert’s lange?‹ fragte der Soldat.

Helen holte ein Paket Zigaretten aus ihrer Hosentasche und hielt es ihm hin. ›Nur ein paar Minuten. Nichts Wichtiges.‹

Der Soldat zündete seine Zigarette an und setzte sich an den Straßenrand. ›Wo?‹ fragte ich Helen, über den Motor gebeugt. ›Im Wald? An der Umzäunung? Ich war gestern da. Heute abend?‹