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Bolitho riß sich aus seinen trüben Gedanken. Tote spürten keine Schmerzen mehr, die Lebenden mußten gerettet werden.»Los, Ashby«, befahl er.»Lunten an!»

Er hörte Trompetenklang und eine Welle von Hurras — die ersten französischen Soldaten stürmten von der Küstenstraße in die Stadt. Die Seesoldaten zogen sich in kleinen Gruppen auf die zerschossene Pier zurück, die aufgepflanzten Bajonette noch auf die dunklen Gassen gerichtet.

Von den Bürgern, die in St. Clar bleiben wollten, war nichts zu sehen. Sie waren untergetaucht. Nach der ersten Welle der Wut und des Blutvergießens würden sie hervorkommen und Frieden mit ihren Landsleuten machen. Sie würden Freunde, ja sogar Verwandte denunzieren, um ihre Treue zur Revolution zu beweisen. Das wird eine strenge und langwierige Abrechnung, dachte Bolitho.

Eben jetzt mußten die Franzosen auf die toten letzten Verteidiger starren und überlegen, was dieser Versuch, ihren endgültigen Sieg zu verzögern, wohl bedeutete.

In diesem Moment hatte die erste Lunte den Zünder erreicht, und die ganze Stadt schien unter der Wucht der Explosion zu schwanken.

«Das ist das Hauptmagazin, Sir«, sagte Ashby heiser.»Da werden noch ein paar von diesen Bastarden draufgegangen sein. «Er schwenkte den Degen.»In die Boote!»

Unter dem Krachen einer zweiten mächtigen Explosion eilten die Seesoldaten in die Boote und folgten denen, die bereits den Fluß hinunterruderten. Ein paar französische Scharfschützen mußten in die Häuser am Hafen eingedrungen sein, denn die abziehenden Boote wurden beschossen, und kleine fedrige Wasserfontänen stiegen längsseit hoch.

Bolitho blickte seinem Leutnant entgegen, der mit bloßem Kopf, eine rauchende Lunte in der Hand, über den Platz gerannt kam.»Alles klar, Shanks?»

«Die letzte Ladung ist gezündet, Sir. «Shanks verzog das Gesicht, denn eben riß eine mächtige Detonation ein ganzes Haus am

Anfang einer engen Gasse nieder, und die Schockwelle schleuderte ihn beinahe ins Wasser.

Die Barkasse hatte an der Pier festgemacht; als gerade die letzten Seesoldaten hineinkletterten, schrie Allday:»Da kommt französische Kavallerie, Captain!»

Es waren etwa ein Dutzend Reiter. Sie brachen aus einer Seitengasse hervor, und als sie die Barkasse gewahrten, kamen sie im gestreckten Galopp durch den Rauch der letzten Explosion. Bolitho warf einen raschen Blick umher und sprang dann an Bord.

Als das Boot ablegte, richtete ein Matrose geduckt die Drehbasse aus, trat beiseite und zog die Abzugsleine. Das Boot schwankte im Rückstoß nach dem letzten Schuß dieses Feldzuges.

Bolitho klammerte sich ans Dollbord, als die Pinne das Boot herumriß, bis die abgedeckten Häuser die blutigen Überreste von Pferden und Reitern, welche die doppelte Ladung Schrapnell niedergemäht hatte, den Blicken entzogen.

Aus und vorbei. Bolitho fragte sich, was aus Oberst Cobban worden sein mochte; aber er konnte beim besten Willen kein Mitgefühl für ihn aufbringen. In der Nacht, als er in Pomfrets leerem Arbeitszimmer eingeschlafen war, hatte ihm eine atemlose Ordonnanz gemeldet, daß Cobban unter Parlamentärflagge zu dem französischen Kommandeur gegangen sei.»Um einen ehrenvollen Frieden auszuhandeln«, wie er sich ausgedrückt hatte. Jetzt in der grimmigen Wirklichkeit des hellen Tages würden die Franzosen Cobbans kläglichen Versuch, sein eigenes Fell zu retten, nur als Verzögerungsmanöver zur Deckung des britischen Rückzugs ansehen. Groteske Vorstellung, daß man Cobban in England vielleicht gerade dieser Haltung wegen als einen aufopfernden, mutigen Offizier im Gedächtnis behalten würde.

Die Boote waren jetzt im tieferen Wasser der Bucht, und Bolitho richtete sich mühsam auf, denn die beiden Linienschiffe erwarteten ihn. Dann sah er Pomfrets Admiralswimpel vom Besan der Hyperion wehen und wußte, daß Herrick die Maßnahme seines Kommandanten verstanden hatte, auch wenn er sie vielleicht nicht billigte.

Eine halbe Stunde später hatte beide Schiffe Anker gelichtet; und als der auffrischende Wind den Rauch der brennenden Stadt aufs Meer hinaustrieb, stand Bolitho an den Finknetzen, die Hände auf dem Rücken ineinander verschränkt. Im stillen Wasser des Hafenbeckens spiegelten sich die Flammen wider.

Als die Segel der Hyperion sich füllten, und sie Kurs auf die offene See nahm, kam die allerletzte Szene dieser Tragödie — wie ausgesucht und genau für diesen Moment berechnet.

Ein einzelner Reiter erschien hoch auf dem südlichen Vorland der Bucht; hell leuchtete sein gelber Uniformrock im bleichen Licht, als er den auslaufenden Schiffen nachsah. Bolitho brauchte kein Fernrohr, um den spanischen Oberst zu erkennen. Kein Wunder, daß die Schiffe vom Vorland aus nicht beschossen worden waren. Salgados Kavallerie hatte gute Arbeit geleistet; aber um welchen Preis, das sah man an dieser einsamen Gestalt.

Noch während Bolitho hinsah, sank der Spanier seitlich aus dem Sattel und blieb am Rand der Klippe liegen. Hatte ihn ein Musketenschuß gefällt, dessen Knall nicht bis zu Bolitho gedrungen war, oder war er vorher schon so schwer verwundet worden, daß er jetzt vom Pferd stürzte? Niemand wußte es.

Salgados Pferd trat zurück und beschnupperte seinen Herrn, als wolle es ihn zum Leben erwecken. Noch lange, nachdem die Schiffe die offene See gewonnen hatten, stand das Pferd als scharfumris-sene Silhouette vor dem wölken verhangenen Himmel wie ein Monument.

Bolitho wandte sich ab. Ein Monument für unsere Toten, dachte er.

Dann sah er Herrick müde an.»Sobald die Harvester und die Chanticleer heran sind, setzen Sie einen Kurs ab, mit dem wir Co-zar umrunden, Mr. Herrick«, sagte er.

«Wir stoßen also wieder zur Flotte, Sir?»

Bolitho nickte und wandte sich abermals der wirbelnden Rauchwolke zu.»Hier haben wir nichts mehr zu suchen.»

Ashby wartete, bis Bolitho das Achterdeck verlassen hatte, und sagte dann langsam:»Aber bei Gott, die Franzosen werden sich an unseren Besuch noch lange erinnern, Mr. Herrick!»

Herrick seufzte tief auf.»Und ich auch, Hauptmann Ashby. Ich auch.»

Dann zog er sein Teleskop auf und richtete es auf die Tenacious, die dem Signal gehorchte und über Stag ging, um ihre achterliche Station einzunehmen.

Vom Heckfenster seiner Kajüte aus beobachtete Bolitho den Dreidecker ebenfalls. Kalkweiß standen die Segel im Frühlicht. Was wohl Dash jetzt denken mochte? Und ob er sich an seine Loyalitätsbeteuerungen noch erinnern würde, wenn die Aufregung über die Kämpfe und den Rückzug vorbei war und die Admiralität kühl die Untersuchung des Falles einleitete und vielleicht sogar einen Sündenbock suchte?

Er drehte sich um, denn Inch stand in der Tür.»Wollen Sie mich sprechen?»

Inch starrte noch von Schmutz und Rauch der brennenden Stadt, und sein Pferdegesicht war schlaff vor Erschöpfung. Er suchte etwas in seiner Tasche.»Bitte um Entschuldigung, aber in der Hitze des Gefechts und über dem Arrangieren der toten Soldaten habe ich ganz vergessen, Ihnen das hier zu übergeben. «Er zog einen kleinen Gegenstand hervor, der unter den tanzenden Lichtreflexen des Kielwassers hell aufglänzte.

Bolitho starrte auf Inchs Hand und konnte kaum begreifen, was er mit seinen eigenen Augen sah.»Wo haben Sie das her?«fragte er.

«Ein Sträfling hat ihn mir gegeben, Sir«, berichtete Inch,»kurz bevor die letzten an Bord der Erebus gebracht wurden.»

Bolitho ergriff den Ring und betrachtete ihn auf der offenen Handfläche.

Inch musterte seinen Kommandanten neugierig.»Dieser Mann kam in der allerletzten Sekunde, hielt mir den Ring hin und sagte, ich solle ihn persönlich an Sie übergeben. «Er zögerte.»Sie sollten ihn Ihrer, äh, Braut schenken, sagte er.»

Bolitho war zumute, als würde die Kajüte ganz eng. Es war doch unmöglich. Unsicher fragte Inch:»Kennen Sie den Ring, Sir?»

Bolitho ging nicht darauf ein, sondern fragte:»Diesen Mann — haben Sie ihn genauer gesehen?«Er trat einen Schritt auf Inch zu.»Ja oder nein?»