Prideaux fixierte ihn scharf. Seine Finger strichen über den Griff seines Degens.»Das ist es nie. «Der Mann fuhr gebrochen fort:»Sie haben das Schiff genommen, ehe wir etwas unternehmen konnten. Ich wollte helfen, den Kapitän zu retten, aber… «Der andere namens Mossel knurrte:»Halt's Maul, du Narr. «Herrick musterte ihn nachdenklich. Sie mußten sich tagelang auf der Insel versteckt gehalten haben, voller Angst vor den wachsamen Kanus und gegen jede Hoffnung hoffend, daß ein Schiff nahe genug vorbeikam, um sie zu retten. Doch nicht ein Schiff des Königs. Nur der Durst und die grimmige Erkenntnis, daß sie nicht viel länger überleben würden, hatten sie gezwungen, sich zu zeigen. Herrick sagte ruhig:»Schicken Sie nach dem Bootsmann. «Er sah Midshipman Fitzmaurice unter der Tür.»Mein Kompliment an Mr. Jury, und er soll an der Großrah Stricke anbringen lassen.»
Die Wirkung zeigte sich sofort. Latimer fiel schluchzend auf die Knie.»Das ist nicht gerecht, Sir. Bitte hängen Sie mich nicht. Die anderen haben uns dazu gezwungen. Wir hatten keine Wahl.»
«Es gibt viele, die sich den Piraten nicht angeschlossen haben und noch leben, um es zu bezeugen«, entgegnete Herrick.
Fitzmaurice fragte höflich:»Soll ich den Bootsmann benachrichtigen, Sir?»
«Lassen Sie mich überlegen. «Herrick sah zu, wie Latimer vom Boden hochgezogen wurde.
Mossel sagte:»Wir werden sowieso gehängt. Was soll's, zum Teufel?«Er krümmte sich, als der Schiffskorporal ihm die Faust in die Rippen stieß.
Herrick stand auf. Latimers Jaulen und seine eigene Rolle ekelten ihn an. Aber die Zeit drängte. Es stand mehr auf dem
Spiel als der Hals eines verdammten Meuterers.
Schroff befahl er:»Bringt ihn hinaus. «Zu Latimer fügte er hinzu:»Und Sie setzen sich auf diese Kiste. Ich will nicht,
daß Ihr Schmutz die Möbel des Kapitäns verdirbt.»
Als sich die Tür hinter Mossel geschlossen hatte, fragte
Latimer:»Sind Sie nicht der Kapitän, Sir?«»Nein. Verstehen Sie also: was mein Kapitän nicht weiß, braucht er nicht zu berücksichtigen. Ich kann Sie auf der Stelle hängen, und niemand wird je danach fragen. Ich kann Sie zurück an Land bringen und sagen, daß Sie mir bei meinen Nachforschungen geholfen hätten, und man wird es glauben. Der Kapitän ist an bestimmte Regeln gebunden, ich bin das nicht. «Er beobachtete, wie die Lüge von dem Mann Besitz ergriff, dann schrie er ihn an:»Reden Sie also schon, oder Sie werden noch vor acht Glasen baumeln. «Die Geschichte, die Latimer vorbrachte, war ebenso phantastisch wie erschreckend.
Mit brüchiger, heiserer Stimme berichtete der Mann, der unter Kapitän Lloyd zur Mannschaft des Vormastes gehört hatte, von seinem Dienst an Bord eines Piratenschoners; es war der unter dem Kommando von Mathias Tuke. Gefürchtet, und das mit gutem Grund, verschaffte sich Tuke dennoch eine Art Respekt bei seinen Leuten. Latimer berichtete von seinem Angriff auf die Nordinsel, wie sie Geschütze an Land gebracht und das Dorf in Brand gesetzt hatten. Er beschrieb Mordtaten und bestialische Grausamkeiten, die sich nach Tukes Vorbild bei seiner Gefolgschaft breitmachten, so daß der Tod zu alltäglich wurde, um darüber zu reden.
Er berichtete, daß auch der Franzose Yves Genin an Bord des Schoners gewesen war, sich aber an den Morden und Plünderungen nicht beteiligt hatte. Er schien eine Art Übereinkommen mit seinem brutalen Geschäftspartner zu haben.
Latimer hatte in einer Nacht eine Auseinandersetzung gehört, nachdem sie den ganzen Tag getrunken hatten. Tuke hatte getobt, daß er Genin überhaupt nicht brauche, daß schon das Gerücht, er sei bei ihm an Bord, genüge, um diesen Wahnsinnigen de Barras in eine Falle zu locken. Genin hatte ebenso erregt erwidert, daß seine Leute an Bord der Narval ohne Nachricht von ihm nicht handeln würden. Herrick hörte gebannt zu. So war es also, beinahe genauso, wie Bolitho gesagt hatte. Genin war ein Köder, aber er hatte einige seiner Anhänger bereits in die Besatzung der französischen Fregatte eingeschmuggelt. Vermutlich hatten sie angemustert, als de Barras hinter seinem entkommenen Gefangenen herjagte.
Das Schlimmste sparte Latimer sich für den Schluß auf. Mit seiner brüchigen Stimme berichtete er:»Ehe Tuke uns aussetzte, überfiel er den Schoner der Siedlung. Er folterte den Kapitän und warf ihn den Haien zum Fraß vor. Doch erst, als er alles über Ihr Schiff und Ihren Aufenthalt erfahren hatte. Er lachte wie wahnsinnig und quälte die ganze Zeit über den Kapitän des Schoners mit einer glühenden Messerklinge.»
Herrick starrte ihn an. Der Schoner hatte die Siedlung also überhaupt nicht mehr erreicht. Die Tempest war hier oben, und es war bekannt, daß sie hier war. Er fragte:»Sonst noch etwas?»
Latimer betrachtete seine teerigen Hände.»Wir nahmen ein kleines Handelsschiff, holländisch war es, glaube ich. Es hatte Briefe an Bord, Nachrichten über den Aufruhr in Frankreich.»
«Allmächtiger Gott!«Das war Öl ins Feuer.»Und dann?«»Ich und Mossel wurden erwischt, als wir von der Beute stahlen, Sir. Kapitän Tuke setzte uns aus. Er wußte, daß es hier kein Wasser gab und daß die schwarzen Teufel uns umbringen würden, wenn wir versuchten zu entkommen. «Herrick nickte.»Ihr Kapitän Tuke ist ein schlauer Mann. Er wußte, daß wir kommen, daß wir denken würden, diese Kanus würden uns bewachen, und daß wir hier vor Anker liegen blieben. «Er sah Prideaux an.»Und als er Genins Leute an Bord der Narval verständigte, kam es dort zur Meuterei, was ich in mancher Hinsicht verstehen kann. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß er ein Pirat ist und bleiben wird.»
Prideaux schüttelte den Kopf.»Das glaube ich nicht. Wenn er die Narval einsetzen kann, um einen großen Coup durchzuführen, könnte er sich um Legalität und Anerkennung bemühen und dabei Genins Hilfe finden. «Herrick biß sich auf die Lippe.»Das mag alles so sein, aber wir leben nicht mehr in den Zeiten eines Henry Morgan. «Latimer hörte ihnen ängstlich zu.»Ich habe was von
Versorgungsschiffen gehört, Sir«, sagte er.»Der Holländer hat Tuke so was erzählt. Sie kämen um Kap Horn auf dem Weg nach Neusüdwales.»
Herrick wandte sich wieder an Prideaux.»Da haben Sie es. Er wird nach einer neuen Basis suchen, seine erbeuteten Geschütze montieren und sich auf den größten Schlag seines Lebens vorbereiten. «Er blickte aus dem Heckfenster und sah die violetten Schatten, die sich vom Land her ausbreiteten. Er kam zu einem Entschluß.»Verdammt, morgen früh lichten wir Anker und kehren zur Siedlung zurück. Bei Dunkelheit wage ich es nicht, hier durch die Klippen zu fahren. Es war schlimm genug, hierher zu kommen.«»Und wir, Sir?»
Herrick fixierte Latimer ein paar Sekunden lang.»Ihr Kumpan wird gehängt, allerdings nicht von mir. Ich will sehen, was ich für Sie tun kan. Es kann sein, daß Sie vielen das Leben gerettet haben. Das könnte Ihnen helfen. «Er wandte sich ab, als der Mann schluchzend aus der Kajüte geschafft wurde.
Prideaux sagte erbittert:»Menschen das Leben gerettet? Mein Gott! Wir sind gar nicht in der Lage, irgendwo rechtzeitig hinzukommen. Ich meine, Sie sollten nach Sydney zurückfahren. Soll doch der Kommodore die Verantwortung übernehmen.»
Herrick fühlte sich wohler, nachdem er einen Entschluß gefaßt htte. Ohne den Schoner konnte Bolitho ihn nicht benachrichtigen. Die Tempest mußte wieder unter das Kommando ihres verantwortlichen Kapitäns, ohne Rücksicht auf das Fieber.
«Benachrichtigen Sie Mr. Lakey«, sagte er.»Ich möchte den Kurs für morgen mit ihm besprechen. Danach treffen wir uns hier zu einer Konferenz.»
Als Herrick allein in der Kajüte war, ging er an das Heckfenster und starrte auf das unruhige Wasser. Ein leichter Wind wehte; in der vergangenen Nacht hatte Sturm geherrscht, wenn auch in einiger Entfernung, doch auch hier war die See kabbelig. Man konnte nie sicher sein, was das Wetter brachte.
Lakey trat in die Kajüte.
«Wir gehen den Kapitän holen, Mr. Lakey«, begrüßte Herrick ihn.