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Bolitho ging an d'Esterre vorbei, ohne ihn zu sehen. Dieser ergriff die Weinflasche und sprach:»Haben Sie ihm das wegen morgen gesagt, Sir?»

Paget hob die Schultern.»Nein. Er ist wie ich in seinem Alter. Mußte nicht erst alles gesagt bekommen. «Er blickte seinen Untergebenen an.»Im Gegensatz zu gewissen anderen Leuten!»

D'Esterre trat lächelnd ans Fenster. Irgendwo jenseits des Wassers war sicherlich ein Glas auf das Fort gerichtet, auf dieses erleuchtete Fenster.

Genau wie Bolitho hätte auch er sich eine Stunde Schlaf gönnen sollen. Aber dort draußen, noch verborgen im Dunkel, lagen viele seiner Leute in der gleichgültigen Haltung des Todes ausgestreckt. Er konnte es nicht über sich bringen, sie jetzt zu verlassen.

Er wandte sich um, als er hinter sich ein leises Schnarchen hörte. Paget schlief tief und fest in seinem Sessel, das Gesicht ruhig und entspannt.

Ich wäre lieber wie er, dachte d'Esterre bitter. Dann kippte er seinen Wein mit einem Schluck hinunter und trat hinaus in die Dunkelheit.

XI Die Nachhut

Als die Sonne allmählich über dem Horizont erschien und sich vorsichtig landeinwärts tastete, enthüllte sie nicht nur die Schrek-ken des nächtlichen Kampfes, sondern gab den Überlebenden auch wieder neuen Mut und neue Hoffnung.

Mit dem ersten Sonnenlicht zeigten sich zwei Segel am Horizont; es schien, als habe der Feind damit alle ihre Evakuierungshoffnungen zunichte gemacht. Als aber die beiden Schiffe auf ständig wechselndem Kurs näher kamen, wurden sie erkannt und mit lautem Jubel begrüßt. Es war nicht nur die Korvette Spite, sondern auch die mit zweiunddreißig Kanonen bestückte Fregatte Vanquis-her, vermutlich von Konteradmiral Coutts selbst geschickt.

Sobald es hell genug war, begruben sie ihre Gefallenen. Jenseits des Dammes, der jetzt größtenteils unter Wasser stand, schaukelten ein paar Tote in der Strömung. Die meisten waren schon während der Nacht davongetrieben oder von ihren Kameraden geborgen worden.

Paget war überall zugleich. Er machte Vorschläge, schimpfte, lobte und rief hin und wieder auch ein Wort der Ermutigung dazwischen.

Der Anblick der beiden Schiffe erfüllte sie mit neuem Leben. Trotz ihrer Verwundbarkeit durch Geschütze von Land aus mußten sie das Evakuieren erheblich verkürzen: durch doppelt so viele Boote, frische, ausgeruhte Seeleute und Offiziere, die sofort die Last der Verantwortung übernehmen konnten.

Bolitho verbrachte den größten Teil des Morgens mit Stockdale und einem Korporal der Marineinfanterie unten im Magazin. Es herrschte dort eine Totenstille, die er fast körperlich wie eine kühle Brise spürte. Pulverfaß nach Pulverfaß türmten sie aufeinander, Kiste um Kiste mit Waffen und Ausrüstung, viele davon noch ungeöffnet und gefüllt mit französischen Gewehren und Seitenwaffen. Fort Exeter war ein beredter Beweis für den lebhaften Waffenhandel der Rebellen mit Englands altem Erbfeind Frankreich.

Stockdale summte vor sich hin, während er die Zündschnur unten am ersten Stapel befestigte, völlig vertieft in seine Arbeit und froh, dem geschäftigen Treiben über ihnen entronnen zu sein.

Stiefel stampften im Hof, und man hörte das Kreischen von Metall, als die Kanonen vernagelt und dann an einen Platz über dem Explosionsherd transportiert wurden.

Bolitho saß auf einem leeren Faß, seine Wangen brannten von der Rasur, die Stockdale ihm nach seinem tiefen Erschöpfungsschlaf hatte angedeihen lassen. Er erinnerte sich an die Worte seines Vaters:»Wenn du dich noch nie mit Salzwasser rasieren mußtest, weißt du nicht, wie vergleichsweise bequem das Leben an Land ist.»

Noch hatte er so viel Süßwasser, wie er brauchte, aber man konnte sich seiner Vorräte nie ganz sicher sein, nicht einmal jetzt angesichts der sich nähernden Schiffe.

Er betrachtete Stockdales große Hände, die so geschickt und vorsichtig mit den Zündschnüren umgingen.

Es war und blieb ein Vabanquespiel: die Zündschnüre anstecken, nach oben rennen und dann in den wenigen Minuten in Sicherheit fliehen.

Ein Seemann kam die sonnenbeschienene Leiter herunter.

«Verzeihung, Sir, der Major möchte Sie sprechen!«Dann erst entdeckte er Stockdale und die Zündschnüre und wurde blaß.

Bolitho lief die Leiter hinauf und über den Hof. Die Tore standen offen, er sah den zertrampelten Boden, die eingetrockneten Blutlachen und die kläglichen Erdhaufen, die hastig ausgehobene Gräber bezeichneten.

Paget sagte langsam:»Wieder einmal die Parlamentärsflagge, verdammt!»

Bolitho schirmte die Augen ab und sah ein paar Gestalten am jenseitigen Ende des Dammes, die eine weiße Flagge hochhielten.

D'Esterre kam eilig von den Ställen her, wo Marineinfanteristen Papiere, Karten und anderes aufhäuften: den Inhalt der Turmstuben.

Er nahm ein Glas, blickte hinüber zu der Gruppe und sagte grimmig:»Sie haben den jungen Huyghue bei sich.»

Paget erwiderte ruhig:»Gehen Sie hin und sprechen Sie mit ihnen. Sie wissen, was ich heute morgen gesagt habe. «Er nickte Bolitho zu.»Sie auch. Es wird Huyghue vielleicht helfen.»

Die beiden gingen zum Damm, Stockdale unmittelbar hinter ihnen, ein altes Hemd an einem Spieß als Flagge hochhaltend. Wie er gehört hatte, was los war, und rechtzeitig auftauchte, um Bolitho zu begleiten, blieb ein Rätsel.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie den Damm erreichten. Die ganze Zeit über stand die kleine Gruppe am anderen Ende unbeweglich; lediglich die weiße Flagge über dem Kopf eines Soldaten zeigte durch ihr Flattern die unparteiische Gegenwart des Windes an.

Bolitho fühlte, wie seine Füße in Sand und Schlamm einsanken, je mehr sie sich der wartenden Gruppe näherten. Hier und da zeigten sich Spuren des Kampfes: ein zerbrochener Säbel, ein zerschossener Hut, ein Beutel mit Gewehrkugeln. Im tieferen Wasser sah er ein Paar Beine sanft schaukeln, als ob der dazugehörige Körper jeden Augenblick wieder auftauchen würde.

D'Esterre sagte:»Näher können wir nicht heran.»

Die beiden Gruppen standen einander jetzt gegenüber, und obgleich der Mann neben der Flagge keinen Rock anhatte, wußte Bolitho doch gleich, daß es der Offizier von gestern war. Wie um dies zu beweisen, saß der schwarze Hund neben ihm im nassen Sand und ließ die rote Zunge heraushängen.

Ein wenig dahinter stand Fähnrich Huyghue, klein und zerbrechlich gegen die großen, sonnengebräunten Soldaten.

Der Offizier hielt die hohlen Hände vor den Mund und rief mit tiefer, volltönender Stimme, die mühelos die Entfernung überbrückte:»Ich bin Oberst Brown von der Charlestown-Miliz. Mit wem habe ich die Ehre?»

D'Esterre rief:»Hauptmann d'Esterre, Marineinfanterie Seiner Britannischen Majestät.»

Brown nickte langsam.»Ich bin bereit, mit Ihnen zu verhandeln. Ich gestatte Ihren Leuten, das Fort unversehrt zu verlassen, wenn Sie die Waffen niederlegen und keinen Versuch machen, die Vorräte zu zerstören. «Er machte eine Pause und fuhr dann fort:»Andernfalls wird meine Artillerie das Feuer eröffnen und eine Evakuierung verhindern, selbst auf die Gefahr hin, daß wir dabei das Magazin in die Luft sprengen.»

D'Esterre rief:»Verstanden!«Bolitho flüsterte er zu:»Er will Zeit gewinnen. Wenn es ihm gelingt, Geschütze auf den Steilhang zu schaffen, wird er sicherlich ein paar Weitschüsse auf die Schiffe abfeuern können, wenn sie geankert haben. Es bedarf nur eines glücklichen Treffers an der richtigen Stelle. «Laut rief er wieder:»Und was hat der Fähnrich damit zu tun?»

Brown zuckte mit den Schultern.»Ich biete ihn zum Austausch gegen den französischen Offizier an.»

Bolitho sagte leise:»Verstehe. Er wird das Feuer auf jeden Fall eröffnen, möchte aber vorher den Franzosen in Sicherheit wissen, damit er bei der Beschießung weder getroffen noch von uns getötet wird.»

«Ja«, flüsterte d'Esterre, und laut sagte er:»Ich kann in diesen Austausch nicht einwilligen!»