265.

Das Theater hat seine Zeit. — Wenn die Phantasie eines Volkes nachlässt, entsteht der Hang in ihm, seine Sagen sich auf der Bühne vorführen zu lassen, jetzt erträgt es die groben Ersatzstücke der Phantasie, — aber für jenes Zeitalter, dem der epische Rhapsode zugehört, ist das Theater und der als Held verkleidete Schauspieler ein Hemmschuh anstatt ein Flügel der Phantasie: zu nah, zu bestimmt, zu schwer, zu wenig Traum und Vogelflug.

266.

Ohne Anmuth. — Er hat einen Mangel an Anmuth, und weiss es: oh, wie er es versteht, diess zu maskiren! Durch strenge Tugend, durch Düsterkeit des Blickes, durch angenommenes Misstrauen gegen die Menschen und das Dasein, durch derbe Possen, durch Verachtung der feineren Lebensart, durch Pathos und Ansprüche, durch cynische Philosophie, — ja, er ist zum Charakter geworden, im steten Bewusstsein seines Mangels.

267.

Warum so stolz — Ein edler Charakter unterscheidet sich von einem gemeinen dadurch, dass er eine Anzahl Gewohnheiten und Gesichtspuncte nicht zur Hand hat, wie jener: sie sind ihm zufällig nicht vererbt und nicht anerzogen.

268.

Scylla und Charybdis des Redners. — Wie schwer war es in Athen, so zu sprechen, dass man die Zuhörer für die Sache gewann, ohne sie durch die Form abzustossen oder von der Sache mit ihr abzuziehen! Wie schwer ist es noch in Frankreich, so zu schreiben!

269.

Die Kranken und die Kunst. — Gegen jede Art von Trübsal und Seelen-Elend soll man zunächst versuchen: Veränderung der Diät und körperliche derbe Arbeit. Aber die Menschen sind gewohnt, in diesem Falle nach Mitteln der Berauschung zu greifen: zum Beispiel nach der Kunst, — zu ihrem und der Kunst Unheil! Merkt ihr nicht, dass, wenn ihr als Kranke nach der Kunst verlangt, ihr die Künstler krank macht?

270.

Anscheinende Toleranz. — Es sind diess gute, wohlwollende, verständige Worte über und für die Wissenschaft, aber! aber! ich sehe hinter diese eure Toleranz gegen die Wissenschaft! Im Winkel eures Herzens meint ihr trotz alledem, sie sei euch nicht nöthig, es sei grossmüthig von euch, sie gelten zu lassen, ja, ihre Fürsprecher zu sein, zumal die Wissenschaft gegen eure Meinungen nicht diese Grossmuth übe! Wisst ihr, dass ihr gar kein Recht zu dieser Toleranz-Übung habt? dass diese huldreiche Gebärde eine gröbere Verunglimpfung der Wissenschaft ist, als ein offener Hohn, welchen sich irgend ein übermüthiger Priester oder Künstler gegen sie erlaubt? Es fehlt euch jenes strenge Gewissen für Das, was wahr und wirklich ist, es quält und martert euch nicht, die Wissenschaft im Widerspruch mit euren Empfindungen zu finden, ihr kennt die gierige Sehnsucht der Erkenntniss nicht als ein Gesetz über euch waltend, ihr fühlt keine Pflicht in dem Verlangen, mit dem Auge überall gegenwärtig zu sein, wo erkannt wird, Nichts sich entschlüpfen zu lassen, was erkannt ist. Ihr kennt Das nicht, was ihr so tolerant behandelt! Und nur, weil ihr es nicht kennt, gelingt es euch, so gnädige Mienen anzunehmen! Ihr, gerade ihr würdet erbittert und fanatisch blicken, wenn die Wissenschaft euch einmal in's Gesicht leuchten wollte, mit ihren Augen — Was kümmert es uns also, dass ihr Toleranz übt — gegen ein Phantom! und nicht einmal gegen uns! Und was liegt an uns!

271.

Die Feststimmung. — Gerade für jene Menschen, welche am hitzigsten nach Macht streben, ist es unbeschreiblich angenehm, sich überwältigt zu fühlen! Plötzlich und tief in ein Gefühl, wie in einen Strudel hinabzusinken! Sich die Zügel aus der Hand reissen zu lassen, und einer Bewegung wer weiss wohin? zuzusehen! Wer es ist, was es ist, das uns diesen Dienst leistet, — es ist ein grosser Dienst: wir sind so glücklich und athemlos und fühlen eine Ausnahme-Stille um uns wie im mittelsten Grunde der Erde. Einmal ganz ohne Macht! Ein Spielball von Urkräften! Es ist eine Ausspannung in diesem Glück, ein Abwerfen der grossen Last, ein Abwärtsrollen ohne Mühen wie in blinder Schwerkraft. Es ist der Traum des Bergsteigers, der sein Ziel zwar oben hat, aber unterwegs aus tiefer Müdigkeit einmal einschläft und vom Glück des Gegensatzes — eben vom mühelosesten Abwärtsrollen — träumt. — Ich beschreibe das Glück, wie ich es mir bei unserer jetzigen gehetzten, machtdürstigen Gesellschaft Europas und Amerika's denke. Hier und da wollen sie einmal in die Ohnmacht zurücktaumeln, — diesen Genuss bieten ihnen Kriege, Künste, Religionen, Genie's. Wenn man sich einem Alles verschlingenden und zerdrückenden Eindruck einmal zeitweilig überlassen hat — es ist die moderne Feststimmung! — dann ist man wieder freier, erholter, kälter, strenger und strebt unermüdlich nach dem Gegentheil weiter: nach Macht. —

272.

Die Reinigung der Rasse. — Es giebt wahrscheinlich keine reinen, sondern nur reingewordene Rassen, und diese in grosser Seltenheit. Das Gewöhnliche sind die gekreuzten Rassen, bei denen sich immer, neben der Disharmonie von Körperformen (zum Beispiel wenn Auge und Mund nicht zu einander stimmen), auch Disharmonien der Gewohnheiten und Werthbegriffe finden müssen. (Livingstone hörte Jemand sagen:»Gott schuf weisse und schwarze Menschen, der Teufel aber schuf die Halbrassen«.) Gekreuzte Rassen sind stets zugleich auch gekreuzte Culturen, gekreuzte Moralitäten: sie sind meistens böser, grausamer, unruhiger. Die Reinheit ist das letzte Resultat von zahllosen Anpassungen, Einsaugungen und Ausscheidungen, und der Fortschritt zur Reinheit zeigt sich darin, dass die in einer Rasse vorhandene Kraft sich immer mehr auf einzelne ausgewählte Functionen beschränkt, während sie vordem zu viel und oft Widersprechendes zu besorgen hatte: eine solche Beschränkung wird sich immer zugleich auch wie eine Verarmung ausnehmen und will vorsichtig und zart beurtheilt sein. Endlich aber, wenn der Process der Reinigung gelungen ist, steht alle jene Kraft, die früher bei dem Kampfe der disharmonischen Eigenschaften daraufgieng, dem gesammten Organismus zu Gebote: wesshalb reingewordene Rassen immer auch stärker und schöner geworden sind. — Die Griechen geben uns das Muster einer reingewordenen Rasse und Cultur: und hoffentlich gelingt einmal auch eine reine europäische Rasse und Cultur.

273.

Das Loben. — Hier ist Einer, dem du anmerkst, dass er dich loben will: du beisst die Lippen zusammen, das Herz wird geschnürt: ach, dass der Kelch vorübergienge! Aber er geht nicht, er kommt! Trinken wir also die süsse Unverschämtheit des Lobredners, überwinden wir den Ekel und die tiefe Verachtung für den Kern seines Lobes, ziehen wir die Falten der dankbaren Freude über's Gesicht! — er hat uns ja wohlthun wollen! Und jetzt, nachdem es geschehen, wissen wir, dass er sich sehr erhaben fühlt, er hat einen Sieg über uns errungen, — ja! und auch über sich selber, der Hund! — denn es wurde ihm nicht leicht, sich diess Lob abzuringen.

274.

Menschenrecht und — vorrecht. — Wir Menschen sind die einzigen Geschöpfe, welche, wenn sie missrathen, sich selber durchstreichen können wie einen missrathenen Satz, — sei es, dass wir diess zur Ehre der Menschheit oder aus Mitleiden mit ihr oder aus Widerwillen gegen uns thun.

275.

Der Verwandelte. — jetzt wird er tugendhaft, nur um Anderen wehe damit zu thun. Seht nicht soviel nach ihm hin!

276.

Wie oft! Wie unverhofft! — Wie viele verheirathete Männer haben den Morgen erlebt, wo es ihnen tagte, dass ihre junge Gattin langweilig ist und das Gegentheil glaubt! Gar nicht zu reden von jenen Weibern, deren Fleisch willig und deren Geist schwach ist!

277.

Warme und kalte Tugenden. — Den Muth als kalte Herzhaftigkeit und Unerschütterlichkeit und den Muth als hitzige, halbblinde Bravour, — beides nennt man mit Einem Namen! Wie verschieden sind doch die kalten Tugenden von den warmen! Und Narr wäre Der, welcher meinte, das» Gutsein «werde nur durch die Wärme hinzugethan: und kein geringerer Narr Der, welcher es nur der Kälte zuschreiben wollte! Die Wahrheit ist, dass die Menschheit den warmen und den kalten Muth sehr nützlich gefunden hat, und überdiess nicht häufig genug, um ihn nicht in beiden Farben unter die Edelsteine zu rechnen.