240.

Von der Moralität der Schaubühne. — Wer da meint, Shakespeare's Theater wirke moralisch und der Anblick des Macbeth ziehe unwiderstehlich vom Bösen des Ehrgeizes ab, der irrt sich: und er irrt sich noch einmal, wenn er glaubt, Shakespeare selber habe so empfunden wie er. Wer wirklich vom rasenden Ehrgeiz besessen ist, sieht diess sein Bild mit Lust; und wenn der Held an seiner Leidenschaft zu Grunde geht, so ist diess gerade die schärfste Würze in dem heissen Getränke dieser Lust. Empfand es der Dichter denn anders? Wie königlich, und durchaus nicht schurkenhaft, läuft sein Ehrgeiziger vom Augenblick des grossen Verbrechens an seine Bahn! Erst von da ab zieht er» dämonisch «an und reizt ähnliche Naturen zur Nachahmung auf; — dämonisch heisst hier: zum Trotz gegen Vortheil und Leben, zu Gunsten eines Gedankens und Triebes. Glaubt ihr denn, Tristan und Isolde gäben dadurch eine Lehre gegen den Ehebruch, dass sie Beide an ihm zu Grunde gehen? Diess hiesse die Dichter auf den Kopf stellen: welche, wie namentlich Shakespeare, verliebt in die Leidenschaften an sich sind, und nicht am geringsten in ihre todbereiten Stimmungen: — jene, wo das Herz nicht fester mehr am Leben hängt, als ein Tropfen am Glase. Nicht die Schuld und deren schlimmer Ausgang liegt ihnen am Herzen, dem Shakespeare so wenig wie dem Sophokles (im Ajax, Philoktet, Oedipus): so leicht es gewesen wäre, in den genannten Fällen die Schuld zum Hebel des Drama's zu machen, so bestimmt ist diess gerade vermieden. Ebensowenig will der Tragödiendichter mit seinen Bildern des Lebens gegen das Leben einnehmen! Er ruft vielmehr:»es ist der Reiz allen Reizes, dieses aufregende, wechselnde, gefährliche, düstere und oft sonnendurchglühte Dasein! Es ist ein Abenteuer, zu leben, — nehmt diese oder jene Partei darin, immer wird es diesen Charakter behalten!«— So spricht er aus einer unruhigen und kraftvollen Zeit heraus, die von ihrer Überfülle an Blut und Energie halb trunken und betäubt ist, — aus einer böseren Zeit heraus, als die unsere ist: wesshalb wir nöthig haben, uns den Zweck eines Shakespearlschen Drama's erst zurecht und gerecht zu machen, das heisst, es nicht zu verstehen.

241.

Furcht und Intelligenz. — Wenn es wahr ist, was man jetzt des Bestimmtesten behauptet, dass die Ursache des schwarzen Hautpigmentes nicht im Lichte zu suchen sei: könnte es vielleicht die letzte Wirkung häufiger und durch Jahrtausende gehäufter Wuthanfälle sein (und Blutunterströmungen der Haut)? Während bei anderen intelligenteren Stämmen das ebenso häufige Erschrecken und Bleichwerden endlich die weisse Hautfarbe ergeben hätte? — Denn der Grad der Furchtsamkeit ist ein Gradmesser der Intelligenz: und sich oft der blinden Wuth überlassen, das Zeichen davon, dass die Thierheit noch ganz nahe ist und sich wieder durchsetzen möchte. — Braun-grau wäre also wohl die Urfarbe des Menschen, — etwas Affen- und Bärenhaftes, wie billig.

242.

Unabhängigkeit. — Unabhängigkeit (in ihrer schwächsten Dosis» Gedankenfreiheit «benannt) ist die Form der Entsagung, welche der Herrschsüchtige endlich annimmt, — er, der lange Das gesucht hat, was er beherrschen könnte, und Nichts gefunden hat, als sich selber.

243.

Die zwei Richtungen. — Versuchen wir den Spiegel an sich zu betrachten, so entdecken wir endlich Nichts, als die Dinge auf ihm. Wollen wir die Dinge fassen, so kommen wir zuletzt wieder auf Nichts, als auf den Spiegel. — Diess ist die allgemeinste Geschichte der Erkenntniss.

244.

Freude am Wirklichen. — Unser jetziger Hang zur Freude am Wirklichen — wir haben ihn fast Alle — ist nur daraus zu verstehen, dass wir so lange und bis zum Überdruss Freude am Unwirklichen gehabt haben. An sich ist es ein nicht unbedenklicher Hang, so wie er jetzt auftritt, ohne Wahl und Feinheit: — seine mindeste Gefahr ist die Geschmacklosigkeit.

245.

Feinheit des Machtgefühls. — Napoleon ärgerte sich, schlecht zu sprechen, und belog sich hierüber nicht: aber seine Herrschsucht, die keine Gelegenheit verschmähte und feiner war, als sein feiner Geist, brachte ihn dahin, noch schlechter zu sprechen, als er konnte. So rächte er sich an seinem eignen Ärger (er war eifersüchtig auf alle seine Affecte, weil sie Macht hatten) und genoss sein autokratisches Belieben. Sodann, in Hinsicht auf Ohren und Urtheil der Hörenden, genoss er diess Belieben noch einmal: wie als ob so zu ihnen zu reden immer noch gut genug sei. Ja, er frohlockte im Geheimen bei dem Gedanken, durch Blitz und Donner der höchsten Autorität — welche im Bunde von Macht und Genialität liegt — das Urtheil zu betäuben und den Geschmack irrezuführen; während Beides in ihm kalt und stolz an der Wahrheit festhielt, dass er schlecht spreche. — Napoleon, als ein vollkommen zu Ende gedachter und ausgearbeiteter Typus Eines Triebes, gehört zu der antiken Menschheit: deren Merkmale — der einfache Aufbau und das erfinderische Ausbilden und Ausdichten Eines Motivs oder weniger Motive — leicht genug zu erkennen sind.

246.

Aristoteles und die Ehe. — Bei den Kindern der grossen Genie's bricht der Wahnsinn heraus, bei den Kindern der grossen Tugendhaften der Stumpfsinn — bemerkt Aristoteles. Wollte er damit die Ausnahme-Menschen zur Ehe einladen?

247.

Herkunft des schlechten Temperaments. — Das Ungerechte und Sprunghafte im Gemüth mancher Menschen ihre Unordnung und Maasslosigkeit sind die letzten Folgen unzähliger logischer Ungenauigkeiten, Ungründlichkeiten und übereilter Schlüsse, welcher sich ihre Vorfahren schuldig gemacht haben. Die Menschen mit gutem Temperament dagegen stammen aus überlegsamen und gründlichen Geschlechtern, welche die Vernunft hochgestellt haben, — ob zu löblichen oder bösen Zwecken, das kommt nicht so sehr in Betracht.

248.

Verstellung als Pflicht. — Am meisten ist die Güte durch die lange Verstellung, welche Güte zu scheinen suchte, entwickelt worden: überall, wo grosse Macht bestand, wurde die Nothwendigkeit gerade dieser Art von Verstellung eingesehen, — sie flösst Sicherheit und Vertrauen ein und verhundertfacht die wirkliche Summe der physischen Macht. Die Lüge ist, wenn nicht die Mutter, so doch die Amme der Güte. Die Ehrlichkeit ist ebenfalls am meisten durch die Anforderung eines Anscheins der Ehrlichkeit und Biederkeit grossgezogen worden: in den erblichen Aristokratien. Aus der dauernden Übung einer Verstellung entsteht zuletzt Natur: die Verstellung hebt sich am Ende selber auf, und Organe und Instincte sind die kaum erwarteten Früchte im Garten der Heuchelei.

249.

Wer ist denn je allein! — Der Furchtsame weiss nicht, was Alleinsein ist: hinter seinem Stuhle steht immer ein Feind. — Oh, wer die Geschichte jenes feinen Gefühls, welches Einsamkeit heisst, uns erzählen könnte!

250.

Nacht und Musik. — Das Ohr, das Organ der Furcht, hat sich nur in der Nacht und in der Halbnacht dunkler Wälder und Höhlen so reich entwickeln können, wie es sich entwickelt hat, gemäss der Lebensweise des furchtsamen, das heisst des allerlängsten menschlichen Zeitalters, welches es gegeben hat: im Hellen ist das Ohr weniger nöthig. Daher der Charakter der Musik, als einer Kunst der Nacht und Halbnacht.

251.

Stoisch. — Es giebt eine Heiterkeit des Stoikers, wenn er sich von dem Ceremoniell beengt fühlt, das er selber seinem Wandel vorgeschrieben hat, er geniesst sich dabei als Herrschenden.

252.

Man erwäge. — Der gestraft wird, ist nicht mehr Der, welcher die That gethan hat. Er ist immer der Sündenbock.

253.