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In diesem Jahr gab es einen späten Winter. Lange dauerte der nasse Herbst, beharrlich behauptete er seine Position. Aber sosehr er auch mit Schmutz um sich spritzte — er mußte dennoch weichen. Behäbige Bürger zerrten Weihnachtsbäume durch den ersten Schnee. Wie die Spuren von Hühnerpfoten sahen die Tannenzweige auf dem weißen Schnee aus. Man konnte fast glauben, in der Stadt seien viele Menschen gestorben und würden nun begraben.

Zu Weihnachten lieferte der Herbst seine letzte Schlacht — es taute. Am Heiligabend dröhnten die Glocken nicht in winterlichem Ernst, sondern klangen wie in ausgelassenem Tanz durcheinander. Man konnte kaum glauben, daß es schon Ende Dezember sei. Es sah eher nach Ostern, nach April oder Mai aus.

Am 25. Dezember fiel das Thermometer jedoch auf zehn Grad unter Null. Nachts verwehte ein Schneesturm die Straßenbahnschienen und legte eine weiße Decke über die Straßen.

In der Schkid wurde Weihnachten nicht gefeiert. Aber den Winter begrüßten die Jungen mit kindlicher Freude. Die Kleinen, die Sumpfonier und Dschungelinier, machten auf dem Hof eine Schneeballschlacht und bauten einen Schneemann. Selbst die Hooliganier, die „Hafenbeamten“, wie die Putzfrau Annuschka sie nannte, hielt es nicht in der Klasse. Sie rannten in die frische Luft, um sich gegenseitig das Gesicht mit dem eisigen Schnee einzuseifen — ein reizvolles Spiel. Nach dem Abendessen hielt Vikniksor eine Rede:

„Der Winter ist gekommen und mit ihm ein neues Lehrjahr. Ab morgen beenden wir die ferienmäßige Lernperiode und gehen zu richtiger Arbeit über. Wir werden zehn Stunden Unterricht haben. Von zehn Uhr morgens bis zum Mittagessen vier Stunden, nach dem Mittagessen ist Pause, dann kommen wieder vier Stunden bis zum Abendbrot und danach noch zwei Stunden.“

Die Faulpelze seufzten, aber die vierte, lernbegierige Abteilung freute sich.

Die Hände auf dem Rücken, ging Vikniksor durch den Eßraum. Er stand schon an der Tür, als ihm noch etwas einfiel. Er kehrte um. „Ja, und am 1. Januar beginnt die Rechenschaftslegung.“ Diese Mitteilung wurde mit allgemeinen Freudenrufen quittiert. Als „Rechenschaftslegung“ bezeichnete man in der Schkid die Prüfungen, die mehrmals im Jahre durchgeführt wurden, um die im Unterricht erworbenen Kenntnisse zu kontrollieren.

Solche Prüfungen wurden rechtzeitig vorbereitet. Die Lehrer stellten den Schülern in jedem Fach Aufgaben. Danach wurden graphische Darstellungen, Pläne, schriftliche Ausarbeitungen angefertigt und Vorprüfungen veranstaltet. Doch oberflächliches Einpauken des Lehrstoffes gab es nicht — die Vorbereitung zur Prüfung trug durchaus nicht den Charakter eines einstudierten Schauspiels. Sie war nur die Einleitung zu einem Fest. So verlief alles auch diesmal.

Die Lehrer machten einen Schlachtplan für ihre Fächer und legten ihn schon am nächsten Morgen den Schülern vor.

Die Schkider holten tief Luft, spuckten in die Hände und setzten sich auf den Hosenboden.

Die vierte Abteilung durfte mit Vikniksors Erlaubnis bis zwölf Uhr nachts in der Klasse bleiben.

Japs, Zigeuner und Falke hatten von Elanljum eine Aufgabe bekommen. Sie schrieben einen Teil von Goethes „Faust“, den sie kollektiv übersetzt hatten, in gotischer Schrift auf bunten Karton. Jankel malte Plakate, die den Saal am Tage des Festes schmücken sollten. Spatz, Brotkanten und ein paar andere halfen ihm dabei.

Pantelejew schrieb einen Aufsatz über die „drakonischen Gesetze des Altertums“, Happen und Dse verbreiteten sich schriftlich über die Schlacht bei den Thermopylen, über Themistokles und Aristides. Sascha Pylnikow zeichnete eine graphische Darstellung von Lermontows Schaffen in der Zeit von 1837 bis 1840 und schrieb über Byrons Einfluß auf sein Werk. Tichikow und Starolinski malten geographische, ökonomische und politische Karten der RSFSR. Alle arbeiteten eifrig. Die Vorbereitung dauerte eine ganze Woche.

Nach einer kürzlich eingeführten Tradition beging die ganze Schule feierlich die Jahreswende.

Am Tage wurden die Pritschen aus dem großen Schlaf räum geräumt und dafür Tische und Bänke hingestellt. Um halb zwölf Uhr abends zogen alle Abteilungen mit dem Klassenlehrer an der Spitze zum Schlafraum hinauf.

Auf den weißgedeckten Tischen standen bereits die Festgerichte: Apfelstrudel, Wurstbrote und Moosbeerwein, durch den der erfinderische Vikniksor den Silvesterchampagner ersetzt hatte. Die Abteilungen nahmen an vier Tischen Platz. Die Diensthabenden schenkten den „Champagner“ in die Becher und setzten sich dann ebenfalls. Das bescheidene Essen kam den ausgehungerten Schkidern wie ein richtiges Festmahl vor.

Vikniksor hielt eine Rede. Erhob die Fortschritte des vergangenen Jahres hervor und sprach den Wunsch aus, daß die Schule im kommenden Jahr die ersten Kader endgültig gebesserter Schüler entlassen könne. Gewöhnlich reagierten die Schkider auf Vikniksors rhetorische Fähigkeiten sauer. Aber diesmal waren sie gerührt und schrien lange Zeit: „Hurra!“

Dann antworteten die Schüler mit Trinksprüchen. Im Namen der Hooliganier sprachen Jankel und Japs.

Nachdem sich die erste Aufregung gelegt hatte, erhob sich der neue Prophet „Schaffner“, der Lehrer für Gesellschaftswissenschaft. Sein richtiger Name lautete Sergei Wassin. Schaffner war er wegen seines Anzuges getauft worden — er hatte einen khakifarbenen Halbpelz, wie ihn damals die Schaffner der städtischen Straßenbahn trugen. Schaffner räusperte sich und sprach:

„Genossen, ich arbeite erst seit kurzer Zeit in der Schule und kenne sie deshalb noch nicht genau. Trotzdem habe ich die Hauptsache schon erfaßt. Ich weiß, daß die Schule viele Jungen gebessert und auf den richtigen Weg gebracht hat. Ich wünsche euch, daß die Dostojewski-Schule im nächsten Jahr eine Komsomolzelle aus gebesserten Zöglingen bilden kann.“

Die hastige, etwas zusammenhanglose Rede wurde mit buchstäblich donnerndem Beifall und ohrenbetäubendem Hurragebrüll aufgenommen.

Um ein Uhr nachts war das Bankett beendet. Im Handumdrehen hatten die Schkider die Tische weggeräumt und die Betten aufgestellt. Dann zogen sie sich aus. Japs forderte Jankel, Ljonka und Sascha Pylnikow auf, an sein Bett zu kommen. „Ich muß mit euch reden“, sagte er. „Schieß los.“ „Morgen beginnt die Prüfung“, stellte Japs fest. „Wir müßten dieses Ereignis in einer Zeitung würdigen.“

In der vierten Abteilung erschienen zu jener Zeit vier Presseorgane: die Zeitschriften „Vorwärts“, „Technischer Bote“, „Spiegel“ und die Zeitung „Alltag“.

„Findet ihr nicht auch, Leute, daß wir eine Sondernummer brauchen?“ „Jawohl“, antwortete Jankel. „Ich schlage die Herausgabe einer Eintagszeitung vor.“

„Gute Idee!“ rief Ljonka.

„Ja, dann ist auch niemand gekränkt“, bestätigte Sascha Pylnikow, Mitredakteur des „Alltags''“.

Sie beschlossen, die Eintagszeitung „Schkid“ zu nennen. Jankel wurde zum verantwortlichen Redakteur ernannt, Ljonka übernahm die Pflichten des Sekretärs und Reporters.

Dann gingen sie zu Bett.

Am nächsten Morgen war kein Unterricht. Unter Anleitung von Kostalmed und Schaffner schmückten die Jungen das Haus. Aus dem Eßraum und den Schlafräumen schleppten sie Bänke in den Weißen Saal; die Säulen der Bühne wurden mit Grün umwunden. Die an den Wänden hängenden Porträts von Führern der Revolution, das große Bild Dostojewskis und das Schulwappen — eine gelbe Sonnenblume mit den Initialen „ШД“ in der Mitte — wurden ebenfalls mit Zweigen geschmückt. An den Wänden stellten sie die mit graphischen Darstellungen und Plakaten beklebten Klassentafeln auf, und auf langen Regalen wurden Manuskripte, Zeitschriften, Hefte und andere Ausstellungsstücke der Prüfung ausgebreitet.

Um zwölf Uhr klingelte es zum Mittagessen. Hastig, ohne den üblichen Radau, schlangen sie das Essen in sich hinein. Danach kam Vikniksor in den Eßraum.