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Es ist kurz vor Mittag und so fahre ich zu Hannis Arbeitsstätte, um mit ihr die Mittagszeit zu verbringen. Nachdem Freitag ist, nehmen wir uns vor, heute Abend wieder einmal tanzen zu gehen. Während der Heimfahrt klingelt das Handy und mein zukünftiger Chef ist am Apparat. »Ich gratuliere Ihnen, Frau Hofmann, Sie haben unseren >Big Boss< überzeugt! Jetzt müssen Sie zeigen, was Sie können! Am 1. November beginnen Sie bei uns.« Völlig überrascht antworte ich lachend: »Wow, super! Ich freue mich wirklich sehr und werde mein Bestes geben.«

»Ich weiß«, lacht auch er und verspricht, mir den Vertrag in den nächsten Tagen zuzusenden. Wieder einmal habe ich es geschafft! Von achtzig Bewerbern habe ich das Rennen gemacht. Ich bin überglücklich, dass meine Arbeitslosigkeit ein Ende hat und ich darüber hinaus eine gut bezahlte und interessante Stelle gefunden habe.

Im siebten Himmel schwebend komme ich nach Hause und finde im Briefkasten das erste zurückgesandte Manuskript. Es ist mit einem kleinen Anschreiben versehen, in dem steht: »Mit Dank zurück. Wir sehen keine Möglichkeit einer Herausgabe in unserem Verlagsprogramm.«

Ich schaue mein Manuskript an und habe den Eindruck, dass sich niemand die Mühe gemacht hat, wenigstens einmal die Nase hineinzustecken. Alle Blätter sehen wie frisch gedruckt, ordentlich und ungelesen aus. Sogar mein Begleitbrief liegt noch oben auf! Mir ist es egal. Ich habe gerade eine tolle Anstellung bekommen und werde die nächsten Jahre sicher nicht wechseln. Ich kann mir ein Geschäftsauto aussuchen, erhalte eine großzügige Spesenvergütung, ein gutes Gehalt und eine Umsatzbeteiligung. Das gebe ich so schnell nicht wieder auf, denke ich mir und räume das zurückgeschickte Manuskript in den Keller.

Bevor ich am 1. November die neue Stelle antrete, kommen nach und nach alle versandten Pakete zurück, immer mit der gleichen Begründung. Ein Verlag schreibt sogar: Es fehlt der Spannungsbogen! Dieser Ausdruck erstaunt mich. Da habe ich eine überirdische Liebe im tiefsten Busch erlebt mit allen Höhen und Tiefen, habe einer Tochter unter verrückten Umständen das Leben geschenkt, beschreibe gefährliche Szenen im Busch mit Büffeln und Elefanten und Autopannen, die mich fast das Leben kosteten, ganz zu schweigen von der Frau, die sich in meinem Auto ihr totes Baby vor meinen Augen aus dem Leib riss, so dass ich fast wahnsinnig wurde. Ja, wie viel Spannung wollen die Herren Lektoren denn noch?, frage ich mich, während ich nun alle Manuskripte wegpacke.

Eigentlich bin ich ganz froh darüber. Wer weiß, was so eine Veröffentlichung mit sich bringen würde. Mir geht es so gut wie schon lange nicht mehr. Ich habe eine intelligente, hübsche Tochter und eine interessante Arbeit. Nachdem ich mir meine afrikanische Geschichte fast therapeutisch von der Seele geschrieben habe, spüre ich, wie sich in mir langsam ein neues Lebensgefühl entwickelt und ich mich verändere. Nur meine Rückenschmerzen erinnern mich fast täglich an die Manuskripte zwei Stockwerke tiefer.

In unserer kleinen Wohnung fühle ich mich inzwischen beengt und denke auch, dass Napirai mit ihren sieben Jahren langsam ein eigenes Zimmer brauchte. Bei Gelegenheit werde ich mich um eine größere Wohnung bemühen müssen, zumal ich sie mir finanziell jetzt leisten kann. Auch für die Gruppe der allein Erziehenden finde ich kaum noch Zeit und erfahre eines Tages, dass sie aufgelöst wird. Nur der intensive Kontakt zu zwei Frauen ist geblieben.

Ich arbeite mich langsam ein, denn es braucht seine Zeit, bis ich alle Produkte und deren Verwendungszweck kenne. Die zwei anderen Außendienstmitarbeiter sind ausgebildete Zahntechniker und arbeiten beide schon mehr als zehn Jahre in diesem Betrieb. Selbst abends studiere ich Bücher und Prospekte und habe manchmal den Eindruck, mir diese komplizierten Namen und Vorgänge nie merken zu können.

An einem freien Tag löse ich einen Massage-Gutschein ein, den ich vor drei Monaten von meiner deutschen Freundin Andrea zum Geburtstag geschenkt bekommen habe, weil meine Rückenschmerzen nicht nachlassen. Während ich auf dem Massagebett liege, fragt mich die Masseurin, ob ich die Frau aus Afrika sei, die ein Buch geschrieben hat. Offensichtlich hat Andrea schon viel von mir erzählt. Nun möchte sie wissen, wann das Buch erscheint. »Wahrscheinlich nie, weil sich bis jetzt kein Verlag dafür interessiert hat«, gebe ich zur Antwort. »Das muss aber erscheinen«, sagt sie energisch und möchte wissen, ob sie sich bei einem befreundeten Buchhändler nach geeigneten Verlagsadressen erkundigen soll. Etwas zweifelnd nicke ich. Tatsächlich finde ich ein paar Tage danach einen Zettel mit vier verschiedenen Adressen von Kleinverlagen vor. Ich bin unschlüssig, ob ich mich überhaupt melden soll, da meine Welt im Moment völlig in Ordnung ist. Doch auf Druck einiger Freundinnen rufe ich schließlich den ersten Verlag an. Dort erklärt man mir, sie veröffentlichten nur Bücher von ausländischen Autoren. Wenn also mein Mann das Buch geschrieben hätte, könnte theoretisch Interesse bestehen. Daraufhin rufe ich den AI Verlag in München an. Komischer Name, denke ich noch, als sich eine männliche Stimme meldet. Der Herr hört sich meine Geschichte ruhig an und möchte anschließend wissen, wie ich auf seinen Verlag gestoßen bin. Am Ende des längeren Gesprächs fordert er mich auf, ihm das Manuskript zur Begutachtung zu senden. Als ich es zur Post bringe, beschließe ich: Das ist das letzte Mal, dass ich so viel Geld für das Porto ausgebe. Es soll fast ein halbes Jahr dauern, bis ich Antwort bekomme.

Die ersten Tage im Außendienst sind sehr angenehm, da ich mit einem der beiden Kollegen auf Tour gehen kann. Ich höre interessiert zu und befürchte manchmal, dass es Jahre dauern wird, bis ich ebenfalls alles so gut und ausführlich erklären kann. Im Januar 1997 werde ich zu einer einwöchigen Fortbildung nach Deutschland geschickt. Es handelt sich dabei um das Kennenlernen und Handhaben von etwa zehn Produkten aus unserem insgesamt etwa hundert Artikel umfassenden Sortiment. Die Ausbildung ist anstrengend, aber lehrreich. Während mir beigebracht wird, was man alles benötigt oder unternehmen kann, um defekte Zähne zu ersetzen, zu flicken oder gar das ganze Gebiss zu richten, muss ich hin und wieder innerlich lächelnd an meine afrikanische Familie denken. Weit auseinander oder hervorstehende Zähne, die bei uns Europäern als Entstellung betrachtet und nach Möglichkeit für viel Geld gerichtet werden, gelten in ihrem Stamm als Schönheitsideal. Auch fehlen bei allen Massai die zwei mittleren unteren Schneidezähne. Diese schlagen sie sich als etwa sieben-bis neunjährige Kinder meist selber aus. Dafür benutzen sie ein spitzes Messer oder einen Nagel, schieben diesen Gegenstand unter das Zahnfleisch und schlagen dann mit einem Stein so lange darauf, bis der Zahn blutend herausfällt. Danach sind die Kinder sehr stolz auf die vollbrachte Tat und ernten von den Erwachsenen große Anerkennung. Warum jeder der Stammesangehörigen dieses Ritual vollzog, hat sich mir nie ganz erschlossen, doch muss es etwas mit der Angst vor Ersticken im Zusammenhang mit einer bestimmten Krankheit zu tun haben. Ja, so unterschiedlich kann Zahnkultur sein.

Zurück in der Schweiz, muss ich allein auf Tour. Wieder versuche ich, telefonisch Termine zu vereinbaren, doch das klappt überhaupt nicht. Fast überall höre ich dasselbe: »Wir haben unsere Produkte schon, aber Sie können uns Prospekte senden, der Chef hat sowieso keine Zeit.« Oder: »Wir wollen keine neuen Vertreter kennen lernen, wir arbeiten schon Jahre mit den uns bekannten zusammen.« Nun, dann muss ich eben persönlich vorbeischauen. Aber bei dieser Art von Kundschaft ist es nicht leicht, an die zuständige Person heranzukommen. In den Praxen geht es meistens hektisch zu und so lautet die Frage immer: »Haben Sie einen Termin?« Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Damen wie eine geschlossene Mauer hinter der Theke stehen, als müssten sie ihren Chef vor mir schützen. Hin und wieder erlebe ich auch schöne Situationen, wenn ich zum Beispiel gefragt werde, ob ich einen Kaffee möchte, der Chef habe in zehn Minuten kurz Zeit für mich. Dann bin ich erfreut und hoffe gleichzeitig, dass ich in der Lage sein werde, die anfallenden Fragen zu beantworten. Auf keinem Gebiet war ich bisher so unsicher wie in diesem. Doch mit jeder noch so kleinen Bestellung wächst meine Sicherheit. Als ich an einem späten Nachmittag nach Hause komme, liegt wieder ein Brief von James in meiner Post. Ich freue mich immer, wenn ich schon am Umschlag erkennen kann, dass der Brief aus Kenia kommt. Dieser wurde am 5. Januar 1997 geschrieben.