Изменить стиль страницы

Nach diesen letzten Sätzen werfe ich den Bleistift und den Block weit von mir und heule nun wirklich hemmungslos. Ich zittere am ganzen Körper und werde von Schluchzern durchgeschüttelt. In diesem Moment weiß ich: Ich werde keine Zeile mehr schreiben können! Ich schlinge meine Arme um mich, wie um Halt zu suchen, und habe das Gefühl, in ein tiefes Loch gezogen zu werden. Ich weine um mein geliebtes Kenia, um meinen zerstörten Traum von einer großen Liebe und um alles Schöne und Schreckliche, das ich in einer fast unwirklichen Welt erleben durfte.

Plötzlich steht meine kleine Napirai verschlafen und erschrocken vor mir und fragt mit Tränen in den Augen: »Mama, warum weinst du so? Hast du dir wehgetan? Du weinst doch sonst nie!« Ich ziehe Napirai zu mir auf den Schoß und drücke sie fest an mich, während ich zu sprechen versuche, was mir nicht so recht gelingt, da ich ständig nach Luft schnappen muss. »Ich habe mir nicht wehgetan, mein Schatz, ich weine wahrscheinlich, weil ich es nicht geschafft habe, mit deinem Papa glücklich zu werden.«

»Aber du hast doch mich!«, erwidert mein Kind nun ebenfalls schluchzend. Ich versuche sie zu trösten und streichle ihr lange über den Rücken, bis sie sich wieder beruhigt hat. Dann lege ich sie in unser Bett zurück und verspreche ihr, nicht mehr zu weinen. Im Wohnzimmer schaue ich auf die Uhr und stelle erschrocken fest, dass es nach zwei Uhr nachts ist. Demnach muss ich fast drei Stunden im Schmerz versunken gewesen sein. Nie hätte ich gedacht, dass mich meine afrikanische Geschichte jemals noch einmal so mitnehmen würde. Ich war mir sicher, diesen Lebensabschnitt gut verarbeitet zu haben. Doch anscheinend hatte ich alles nur verdrängt. Seit Jahren habe ich nicht mehr so geweint und nun spüre ich langsam eine tiefe Ruhe in mir aufsteigen und fühle mich matt und betäubt.

Ich nehme mir vor, diesen letzten Block so schnell wie möglich Anneliese zum Abtippen zu bringen, damit ich endgültig abschließen kann. Da ich immer am Boden sitzend geschrieben habe, tut mir nun alles weh. Doch ich habe es geschafft! Unsere Geschichte ist schriftlich festgehalten und mit diesem beruhigenden Gedanken schlafe ich endlich ein. Am Morgen sehe ich kaum aus meinen verquollenen Augen heraus, als ich für Napirai das Frühstück richte. Ich verspreche ihr, dass ich uns etwas ganz Gutes kochen werde und bis zum Mittag auch wieder fröhlich aussehe.

Einige Tage später bringt mir Anneliese die zehn handgeschriebenen Blöcke sowie eine abgetippte und ausgedruckte Version vorbei. Jetzt liegen vier Jahre im kenianischen Busch in einem Ordner vor mir. Ich bin überwältigt. Wir stoßen auf das Gelingen eines eventuellen Buches an und ich verspreche ihr, falls es veröffentlicht wird, sie mit einem tollen Urlaub zu entschädigen. Nun informiere ich meine Familie über mein »Werk« und Eric bietet sich an, das Ganze zu vervielfältigen, damit ich es an verschiedene Verlage schicken kann.

Lernen kann man alles

Wie gewohnt schaue ich den Stellenanzeiger durch und plötzlich bleibt mein Blick an einem großformatigen Inserat hängen. Es wird eine Dame zwischen 24 und 30 gesucht, die über Kenntnisse im Dentalbereich verfügt, um hochwertige Produkte bei Zahnärzten zu vertreiben. Von Vorteil sei Außendienst-Erfahrung, aber nicht Bedingung. Gutes Gehalt und ein Dienstwagen würden selbstverständlich geboten. Beim zweiten Durchlesen denke ich: Das ist genau der Job, den ich mir vorstellen könnte. Lernen kann man alles, und die Erfahrung, die ich im Außendienst erworben habe, ist ein Pfund, das ich in die Waagschale werfen kann. Welcher Zahnarzt würde außerdem einer 24-Jährigen etwas abkaufen? Mit dieser Einstellung melde ich mich bei dem Vermittlungsbüro. Nach einer Woche erhalte ich einen Termin für ein Vorgespräch. Mit dem zuständigen Herrn gehe ich meinen Lebenslauf durch und er scheint besonders von meinem Aufenthalt in Kenia beeindruckt zu sein. Anschließend habe ich eine Stunde Zeit, um einen Computertest auszufüllen. Beim Abschied erklärt mir der Herr, ich müsse abwarten, ob ich in die nächste Runde käme. Immerhin hätten sich über achtzig Bewerber und Bewerberinnen gemeldet. Als ich diese Zahl höre, mache ich mir keine allzu große Hoffnung mehr, da ich dem gesuchten Anforderungsprofil kaum entspreche.

In den folgenden Tagen besuche ich eine Buchhandlung und informiere mich über die verschiedenen Verlage, die für mein Manuskript in Frage kommen könnten. Nur ein Großverlag scheint mir sinnvoll zu sein, da ich keine Lust habe, für ein paar wenige hundert Exemplare meine Lebensgeschichte publik zu machen. Wenn, dann sollte es in Deutschland auf den Markt kommen und die Schweiz wäre damit automatisch auch abgedeckt. Mit einem Zettel voller Adressen verlasse ich den Buchladen und beginne zu Hause gleich, Kontakt mit verschiedenen Verlagen aufzunehmen. Die Ernüchterung lässt nicht lange auf sich warten. Nach einer kurzen mündlichen Beschreibung meiner Geschichte erhalte ich bereits am Telefon reihenweise Absagen. Doch gibt es auch ein paar Verlage, denen ich das Manuskript zustellen kann, unter anderem Lübbe, Scherz, Knaur und Heyne. Ich kopiere ein paar meiner eindrucksvollsten Afrikafotos und schreibe einen Begleitbrief dazu, in dem ich auf unser Telefongespräch verweise. Zum Schluss hefte ich ein neueres Foto von mir an das Begleitschreiben, packe alles zusammen ein und sende es in gespannter Erwartung ab. Ein bis drei Monate müsse ich auf den Bescheid warten.

Ich erhalte eine Einladung zu einem Zweitgespräch im Stellenvermittlungsbüro. Mein Interesse ist sofort wieder geweckt. Wenn ich diesen Schritt weitergekommen bin, stehen meine Chancen offensichtlich nicht schlecht. Wieder unterhalte ich mich mit dem mir bereits bekannten Herrn. Er erläutert mir das Ergebnis des Tests, das ihn offensichtlich beeindruckt hat. Er fragt, ob es mir auch möglich wäre, ab und zu für zirka zehn Tage ins Ausland zu einer Fortbildung zu fahren, was ich natürlich bejahe. Am Ende des Gesprächs fragt er ein wenig verlegen, ob es mir schwer fallen würde, meine roten Haare etwas neutraler zu färben, denn Zahnärzte seien zum Teil recht konservativ, wie auch der zuständige Chef, der mich in den nächsten Tagen empfangen möchte. Ich muss lachen und erwidere: »Sehen Sie, bis jetzt bin ich mit dieser Haarfarbe gut angekommen und habe erfolgreich verkauft.

Die roten Haare sind mein Markenzeichen, sie gehören zu meiner Persönlichkeit. Ich denke nicht, dass es schadet, etwas Farbe in alt eingefahrene Situationen zu bringen.«

»Gut, gut, ich habe verstanden, wir werden sehen«, antwortet er. »Sie werden von mir den Termin bekommen, aber es sind noch etwa acht andere Bewerber im Rennen.« Ich bedanke mich und verlasse das Gebäude. Da ich mir sehr wünsche, diesen Job zu bekommen, halte ich bei einer Kirche, lasse mich zu einem Gebet nieder und zünde eine Kerze an.

Nach ein paar Tagen finde ich im Postkasten die Einladung zu einem Besuch bei der Dentalfirma. Es ist ein moderner, großräumiger Pharmabetrieb. Schon beim Betreten des Gebäudes fühle ich mich wohl und meine anfängliche leichte Nervosität legt sich, noch ehe ich vor dem zuständigen Chef stehe. Er ist nur einige Jahre älter als ich und macht einen sympathischen, ruhigen, fast schüchternen Eindruck. In meinem blauen klassischen Kostüm, mit einer Größe von 1,80 Meter und den roten Haaren wirke ich anscheinend etwas erdrückend auf ihn. Im Laufe des Gespräches aber taut er auf und schon bald muss er über meine Erzählungen schmunzeln. Ich habe den Eindruck, wir fühlen uns beide wohl. Nach einer Stunde ist sein Urteil gefällt. Für ihn bin ich mit meiner Energie und dem ungewöhnlichen Lebenslauf die richtige Person, nur muss noch der »Big Boss« mit entscheiden. Für diesen seien noch zwei weitere Kandidaten interessant, da sie aus dem Dentalbereich kämen. Unter Umständen müsste ich auch mit ihm noch ein Gespräch führen. Diese Unterredung findet zwei Tage später statt. Der »Big Boss« ist ein kleiner schmächtiger Mann, was meine Situation nicht gerade erleichtert. Kaum sitzen wir, torpediert er mich mit Fragen wie: »Warum glauben Sie, eignen gerade Sie sich für diesen Job? Wo sehen Sie sich in zehn Jahren? Wie sieht es mit Ihrer Belastbarkeit aus in Bezug auf Arbeit, Kind, Ausbildung etc.?« Nach zwei Stunden Kreuzverhör werde ich mit dem Satz entlassen, dass ich in etwa einer Woche Bescheid bekomme oder eventuell noch einmal für ein weiteres Gespräch bereit sein müsse. Ich stehe auf, schaue die beiden Herren an und sage mit voller Überzeugung: »Es würde mich sehr freuen, bei Ihnen arbeiten zu können, denke aber, dass es eigentlich nichts Weiteres zu besprechen gibt, und gesehen haben Sie mich ja nun auch. Ich bin, soviel ich weiß, die letzte der drei verbliebenen Kandidatinnen, die Sie prüfen wollten, und deshalb erwarte ich von Ihnen bis Montag Bescheid, da ich noch andere Angebote habe. Ich hoffe auf Ihr Verständnis und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.« Danach drücke ich beiden die Hand und gehe. Ich bin mir nicht sicher, ob mein Auftritt klug war, aber man muss sich auch einmal entscheiden können!