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Nach meiner Rückkehr rufen meine Freundinnen an und gratulieren zu dem gelungenen Auftritt. Mein Chef äußert lachend, er sei gespannt, wie lange ich noch für die Firma arbeiten werde. Doch da habe ich keine Bedenken und besuche weiter meine Zahnärzte.

Eine Woche nach dem Auftritt ist die komplette Erstauflage verkauft und es sind keine Bücher mehr da, dafür jede Menge Interview-Anfragen. Alle möchten neuere Fotos von mir und meiner Tochter. Napirai ist am Anfang nicht sehr begeistert, zumal sie keine Auskunft über Kenia und ihren Vater geben kann, weil sie ja viel zu klein war, um sich zu erinnern. In den nächsten Tagen geht es bei uns zu wie in einem Bienenhaus. Morgens halte ich die Termine bei den Praxen ein und am Nachmittag eile ich zum Friseur, damit ich gegen vier Uhr bereit für die Fotografen bin. Spät abends putze ich die Wohnung, damit bei den nächsten Film- oder Fototerminen wieder alles sauber ist. Alles, was ich jetzt erlebe, erscheint mir so unwirklich wie ein Traum. In zahlreichen Zeitungen in Deutschland sehe ich mein Foto zum Teil auf den Titelseiten oder neben Bildern von berühmten Persönlichkeiten wie Bill Clinton oder Pierre Brice. Die jahrelange Außendiensttätigkeit kommt mir nun zugute, denn ich habe keine Berührungsängste und bin nicht auf den Mund gefallen. Es folgen verschiedene Radiointerviews und bald auch der zweite Fernsehauftritt. Schließlich entdecken mich die Schweizer Medien und es erscheinen Reportagen in vielen auflagenstarken Heften und Zeitungen. Fast drei Wochen gibt es im Buchhandel keine »Weiße Massai« zu kaufen und viele wildfremde Menschen rufen mich zu Hause an und wollen wissen, wo mein Buch zu erwerben ist. Doch dann erscheint die zweite Auflage in doppelter Höhe der Erstauflage und die dritte wird schon produziert.

Am 16. September ist die offizielle Buchvorstellung in einer wunderschönen Gärtnerei in Winterthur geplant. Ich sage dem Buchhändler, er solle dafür sorgen, dass es genügend Plätze gibt, denn ich glaube, dass viele Leute kommen werden. Er lacht: »Schauen Sie, das ist nicht meine erste Buchpremiere und wissen Sie, es wäre ungewöhnlich, wenn 100 Plätze bei einer unbekannten Autorin und einem relativ unbekannten Verlag ausverkauft wären.« Entgegen seinen Vorhersagen müssen jedoch jede Menge Stühle geschleppt werden, bis der Raum berstend voll ist. Sogar meinen früheren Klassenlehrer entdecke ich unter den Zuhörern.

Die Lesung verläuft großartig. Schon nach den ersten drei, vier Minuten bin ich voll im Element und nehme nicht einmal mehr meine Familie in der ersten Reihe war. Ich kann die Lesung nach meiner eigenen Vorstellung gestalten und so lese ich ausgewählte Abschnitte und ergänze mit Erzählungen. Es ist ein wunderbares Erlebnis in einer grandiosen Atmosphäre, die die Menschen erfasst und auch auf mich ansteckend wirkt. Nach der Lesung muss ich die vielen Fragen der Zuhörer beantworten. Einige wollen wissen, wie es meiner Tochter und mir heute geht. Was macht Lketinga? Ist er wieder bei seinem Stamm? Bereuen Sie, dass Sie diesen Schritt gemacht haben? Fragen über Fragen, und nach einer weiteren Stunde signiere ich Bücher. Da mein Verleger für dieses Ereignis extra aus München angereist ist, haben einige Besucher Glück und können sich ein frisch gedrucktes Buch ergattern. Immer wieder werde ich nach meiner nächsten Lesung gefragt, wann und wo diese stattfinden wird. Viele der Anwesenden haben Freunde und Bekannte, die auch zu einer Lesung kommen möchten. Der Erfolg scheint uns förmlich zu überrollen.

Die folgenden Tage vergehen im Eiltempo. Obwohl ich permanent am Arbeiten oder Organisieren bin, fühle ich mich nahezu nie müde, weil alles neu und interessant ist. Bald werde ich in meiner Wohngemeinde um eine Lesung gebeten. Sie findet im Nebensaal eines Restaurants statt. Als ich zum Lokal komme, traue ich beim Anblick der vielen geparkten Autos kaum meinen Augen. Im Eingang drängen sich die Menschen in einer langen Schlange bis auf die Straße hinaus. Es ist unglaublich, alle wollen an meiner Geschichte Anteil nehmen! Nachdem bereits 150 Leute im Raum sind, muss er gesperrt werden, was viele Angereiste verärgert. Ich gehe hinaus und verspreche den Wartenden, in etwa zwei Wochen eine weitere Lesung am gleichen Ort durchzuführen. Mehr kann ich leider nicht tun. Heute bin ich nervöser als bei der Buchpräsentation, da es sozusagen ein »Heimspiel« ist. Doch schnell wird mir klar, dass die meisten Zuhörer von auswärts angereist sein müssen, denn ich entdecke nicht viele bekannte Gesichter.

Der Ablauf des Abends gestaltet sich ähnlich wie in Winterthur. Nach der Lesung beantworte ich Fragen. Plötzlich werde ich von einem älteren Mann mit dunkelgrünem Pullover und Hosenträgern gefragt, wie es denn in sexueller Hinsicht bei uns abgelaufen sei. Er spricht in anzüglichem Tonfall, obwohl seine Frau neben ihm sitzt, so dass ich erst kurz überlegen muss, bevor ich ihm antworte: »Schauen Sie, ich möchte hier keinen genauen Liebesakt erläutern, doch Sie können alles im Buch nachlesen.« Darauf erwidert der dreiste Mensch: »Ich bin hier bei einer Lesung und nicht bei einer Verkaufsveranstaltung, oder?« Im Publikum wird es unruhig und eine auffallend hübsche blonde Frau springt auf und kanzelt den Mann ab: »Und Sie mit ihrem geilen Getue gehören nicht in diese Veranstaltung!« Sie erhält Applaus und ich lächle die energische Frau an.

Später werde ich aus einer anderen Ecke angegriffen, indem jemand fragt: »Empfinden Sie kein Schamgefühl gegenüber Ihrer Tochter, in Ihrem Buch, unter Angabe ihres richtigen Namens, so offen über alles zu berichten?« Noch bevor ich antworten kann, höre ich die energische Blondine sagen: »Diese Frau muss sich ganz bestimmt nicht für ihr Buch schämen und ihre Tochter wird einmal stolz auf ihre Mutter sein. Ich habe das Buch schon drei Mal gelesen und würde Ihnen das auch empfehlen!« Es rührt mich, wie ich von dieser mir unbekannten Zuhörerin verteidigt werde. Als ich kurz darauf die Bücher signiere, steht sie vor mir und überreicht mir ein wunderschönes Blumengesteck. Jetzt bin ich mehr als überrascht, bedanke mich und frage sie, ob sie Zeit hat, einen kleinen Schlummertrunk bei mir zu Hause einzunehmen, da dort für einen kleinen Kreis etwas vorbereitet ist. Erfreut nimmt sie die Einladung an.

Nachdem sich der Saal geleert hat, gehen wir mit einigen Freundinnen zu mir nach Hause. Andrea hat mit ihrer Mutter appetitliche Häppchen hergerichtet und es entsteht eine kleine gesellige Runde, in der ich mich mit Irene, der Frau aus dem Publikum, etwas eingehender unterhalten kann. Nach Mitternacht sind auch die Letzten gegangen und ich kann endlich müde, aber sehr zufrieden ins Bett gehen. Am nächsten Tag stehen wieder Zahnarztbesuche auf dem Programm. In den Praxen werde ich nun oft erkannt, da die eine oder andere Assistentin schon einen TV-Auftritt gesehen oder einen Bericht in einem Journal gelesen hat. Wie ich schnell feststelle, ist das nicht von Nachteil.

Endlich finde ich wieder Post aus Afrika vor und bin gespannt, was sie zu meinem Buch sagen. James selbst freut sich sehr, dass ich ein Buch über meine Geschichte mit Lketinga und die Samburu geschrieben habe. Aber für die Leute, die keine Schule besucht haben, ist es schwerer zu verstehen, weil die meisten noch nie in ihrem Leben ein Buch in den Händen hatten. Wenn er gewusst hätte, dass ich ein Buch schreibe, hätte er mir noch vieles über die Samburukultur mitteilen können. Er hofft, dass er es einmal in Englisch lesen kann. Er berichtet, wie schwer es für jeden Einzelnen von ihnen ist, überleben zu können, und bedankt sich für das überwiesene Geld. Er selbst kann immer noch nicht in der Schule unterrichten und überlegt sich, ob er nicht einen Laden eröffnen soll mit wenigen Sachen, die er dann verkaufen möchte. Allerdings fehlt ihm dazu das Startkapital. Gerne würde er einmal in die Schweiz kommen. Napirai und mir wünscht er ein angenehmes Leben. Er werde mich immer unterstützen, da wir doch verwandt sind wie Bruder und Schwester. Zum Schluss folgen die Glückwünsche für die kommende Weihnachtszeit.