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Beim Organisieren und Durchführen der Personalverkäufe komme ich immer mehr mit anderen Menschen zusammen. Auch werde ich öfter von dem einen oder anderen Mann zum Essen oder auf einen Drink eingeladen. Bisher habe ich immer abgelehnt. Doch nun habe ich jemanden getroffen, der mir gefällt, und ich nehme seine Einladung an. Wir verabreden uns zum Essen und so gehe ich zum ersten Mal seit meiner Rückkehr aus Kenia mit einem Mann aus, während Napirai bei meiner Mutter übernachtet. Schon während des Essens, beim Erzählen, merke ich, dass mein Vorleben nicht auf allzu viel Begeisterung stößt. »Ach, du hast auch schon ein Kind?«, ist eine der spannenden Bemerkungen seinerseits, wobei der Tonfall alles sagt und der Abend entsprechend schnell endet. Ein anderes Mal muss ich mir anhören: »Aha, du stehst wohl eher auf Schwarze?« Auch wenn ich erzähle, dass ich nur einen afrikanischen Mann kenne, nämlich meinen Ehemann, bleibt doch ein komischer Beigeschmack hängen. Einmal kommt gar die Frage: »Hast du schon einen Aids-Test gemacht?« Ich bin jedes Mal total ernüchtert und so enden die »Affären« meist, bevor sie richtig beginnen können. Bald bin ich es leid, nur wegen eines Abendessens mit oft unerfreulicher Unterhaltung meine Tochter zum Übernachten wegzugeben. Eher genieße ich es, für Freundinnen zu kochen und unsere Feste zu Hause zu feiern. Oder ich treffe mich ab und zu mit früheren Kolleginnen und Kollegen aus Rapperswil, wenn dort in einem Restaurant Live-Musik gespielt wird. Da kann ich Napirai mitnehmen, worüber sie sich immer freut. Sie liebt es, inmitten vieler Menschen zu sein, und im Restaurant steht sie direkt vor der spielenden Band und tanzt fröhlich vor sich hin. Die Leute amüsieren sich über sie. Manchmal geht sie von Tisch zu Tisch und schaut die Menschen einfach nur an. Wenn sie wieder an unseren Platz zurückkommt, bringt sie oft ein kleines Geschenk mit. Ich muss lachen, obwohl ich mich manchmal frage, ob diese Sympathie ihrer Hautfarbe gilt oder der Tatsache, dass sie so neugierig und fröhlich ist. Sitzen wir aber um elf Uhr nachts immer noch zufrieden im Lokal, höre ich hin und wieder die Bemerkung: »Ein Kind gehört um diese Zeit ins Bett!« Ja, und die Mutter wohl gleich mit, denke ich mir. Meine Tochter ist glücklich, bei mir zu sein und freut sich wie ich an der Musik und unserem Zusammensein. Außerdem können wir am Wochenende ausschlafen. Im Süden nehmen die Menschen die Kinder auch mit und bekanntlich sind dort die meisten Leute lustiger. Ich lasse mich nicht beeindrucken und bleibe mit meinem Kind sitzen, bis ich merke, dass sie wirklich müde wird. Zufrieden fahren wir dann nach Hause. Bei einem der nächsten Gruppen-Treffen erwähne ich diese Bemerkungen und sofort entwickelt sich eine rege Diskussion. Viele verunsicherte, allein stehende Frauen haben nicht genügend Mut und bleiben deshalb mit ihren kleinen Kindern allen Veranstaltungen fern, bis ihnen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. Nein, ich lebe und erziehe meine Tochter so, wie es mir mein Gefühl sagt.

Wieder stecken wir mitten in der Vorweihnachtszeit und alles ist tief verschneit. In unserer Wohnsiedlung werde ich gefragt, ob ich mit Napirai den Nikolaustag in einer Waldhütte mitfeiern möchte. Es werde ein Nikolaus mit Esel und allem, was dazu gehört, vorbeikommen. Jeder beteiligt sich mit einem geringen Betrag. Ich sage zu und bin gespannt, wie Napirai darauf reagieren wird. Zehn Erwachsene treffen sich mit ihren Kindern in der Hütte. Alles ist festlich dekoriert und gedeckt mit Nüssen, Mandarinen, Kerzen und Wein. Nach etwa einer Stunde hören wir das Bimmeln von Glöckchen und dann ein Poltern an der Tür. Die Kinder sind aufgeregt und springen zu ihren Eltern. Napirai schaut mich überrascht an und dann wieder wie gebannt auf die Tür. Es erscheinen zwei rote Nikoläuse und ein schwarz gekleideter Schmutzli, der Knecht Rupprecht, mit Rute. Einen Moment lang wird es still in der Hütte. Erst als wir Erwachsenen die Nikoläuse begrüßen, fangen die Kinder an zu lachen oder sie verkriechen sich schnell bei ihren Eltern. Napirai staunt und fragt: »Mama, wer ist das?« Spielerisch erkläre ich ihr das Ganze und dann hören wir uns die Sprüche für die jeweiligen Kinder an, bevor sie ihre gefüllten Säckchen beim Nikolaus abholen können. Napirai aber will nur zu dem schwarz gekleideten Mann hin. Sie hat keinerlei Interesse an den roten Nikoläusen, sondern stellt sich vor den Knecht Rupprecht hin und versucht, ihm in den aufgeklebten langen, schwarzen Bart zu fassen. Die Situation ist für alle so komisch, dass ein Riesengelächter entsteht. Die meisten Kinder machen einen Bogen um diesen Mann, und Napirais Interesse gilt ausschließlich ihm. Wir lachen Tränen. Mir ist klar, dass dies etwas mit Afrika zu tun hat. Sicher erinnert sie sich an ihre afrikanische Herkunft und immer noch sind ihr dunkle Menschen vertraut.

Bei der Gelegenheit fällt mir eine komische Situation ein, als wir vor etwa einem halben Jahr beim Einkaufen waren. Wir fuhren die Rolltreppe hoch, als uns auf der anderen Seite ein farbiger Mann entgegenkam. Napirai saß im Einkaufswagen, zeigte mit dem Finger auf den Mann und rief laut: »Papa!« Der Mann lächelte uns an, während ich einen hochroten Kopf bekam.

Und nun hängt sie an dem verkleideten schwarzen Knecht Rupprecht. Ich bin sicher, wenn sie erwachsen ist, wird sie ihren Vater besuchen wollen. Unsere Nikolausfeier geht dem Ende entgegen und wir räumen die Hütte gemeinsam auf. Napirai trägt auf dem Nachhauseweg stolz ihr Säcklein, das mit Nüssen, Lebkuchen und Schokolade gefüllt ist.

Einige Tage später erhalte ich einen Brief von James, in dem er berichtet, dass es allen einigermaßen gut geht. Aber seit fast einem Jahr hat es nicht mehr geregnet und Menschen und Tiere leiden Hunger. Wegen der Dürre sind schon viele gestorben. Es wächst kein Gras mehr und deshalb verenden die Kühe und die Menschen haben keine Milch, die für sie ein Hauptnahrungsmittel ist. Seiner Familie geht es aber auf Grund der finanziellen Hilfe, die sie durch mich und meinen Bruder Marc erfahren, wesentlich besser. Er bedankt sich nochmals überschwänglich und grüßt uns von der ganzen Familie. Über meine Anfrage wegen des Familienstammbuches schreibt er nichts und so weiß ich nicht, ob sich unsere Briefe gekreuzt haben oder ob mein Brief verloren gegangen ist. Ich werde noch etwas abwarten. Von Lketinga wisse er immer noch nichts, doch nach Mombasa möchte er nicht fahren. Er werde mich informieren, sobald er etwas Neues höre. Über die kommende Weihnachtszeit sei er für zwei Monate zu Hause und feiere wieder eine größere Zeremonie. Dafür müsse er noch eine Kuh kaufen, habe aber kein Geld. Er hoffe auch in diesem Fall auf meine Unterstützung.

Weihnachten feiern wir bei meiner Mutter und Hanspeter. Auch diesmal häufen sich die Geschenke für meine Tochter und mich plagt ein schlechtes Gewissen angesichts der Not und Dürre auf der anderen Seite der Erde.

Zu Silvester hat uns die Vorsitzende der Gruppe für allein Erziehende zu sich nach Hause eingeladen. Alle bringen wieder etwas mit: Salate, Pizza, Kuchen, Fleisch, Wein oder Champagner. Schließlich sind wir etwa dreizehn Erwachsene und doppelt so viele Kinder jeden Alters. Wir essen vom herrlichen Büffet und tanzen anschließend in der schön dekorierten Wohnung. Nach zehn Uhr haben wir immer noch so viel Essen übrig, dass wir überlegen, was zu tun ist. Da kommt die Idee auf, bei einer Radiostation anzurufen und eine entsprechende Meldung durchzugeben. Nach einigen vergeblichen Versuchen gelingt es einer von uns, zum Sender durchzukommen. Sie erzählt kurz von unserem Fest, dass wir dreizehn Frauen sind und auf viel Essbarem sitzen geblieben sind. Mitbringen müsse man nur gute Laune. Die Kinder werden nicht erwähnt. Kurz darauf klingelt ununterbrochen das Telefon und es melden sich reihenweise einsame Männer oder gar Männergruppen. Denen, die sich nett anhören, teilen wir die Adresse mit, aber nach etwa zehn Minuten nehmen wir keine weiteren Anrufe mehr entgegen, die Wohnung würde sonst aus allen Nähten platzen. Es dauert nicht lange und die ersten Besucher melden sich an der Wohnungstür. Die älteren Kinder stürmen zur Tür, um zu öffnen. Die Besucher entschuldigen sich und meinen, am falschen Ort geklingelt zu haben. Doch die Kinder, gut »dressiert«, sagen: »Nein, nein, kommt nur rein. Unsere Mütter sitzen oder tanzen im Wohnzimmer.« Alle werden so empfangen. Die einen sind erstaunt und bleiben trotz der Kinder da. Andere verabschieden sich gleich an der Tür. Um Mitternacht sitzen acht Männer herum und lassen sich geduldig von den Kindern Hüte und Pappnasen aufsetzen, die zuvor aus dem Tischfeuerwerk geplatzt sind. Gegen zwei Uhr nachts machen allerdings auch die aufgewecktesten Kinder schlapp und so beenden wir das außergewöhnliche und lustige Silvesterfest.