Eric und Jelly gehen schlafen, sie sind erschöpft von der langen Reise und der schwülen Hitze. Lketinga und ich schlendern zur Bush-Baby-Disco. Ich fühle mich königlich neben meinem „Prinzen“. Wir setzen uns an einen Tisch und schauen den Tanzenden zu. Er lacht ständig. Und weil wir uns kaum unterhalten können, sitzen wir und lauschen der Musik. Durch seine Nähe und die Atmosphäre werde ich kribbelig, und gerne würde ich einmal sein Gesicht streicheln oder gar erfahren, wie es ist, ihn zu küssen. Als endlich langsame Musik ertönt, ergreife ich seine Hände und deute auf die Tanzfläche. Hilflos steht er herum und macht keine Anstalten.
Plötzlich aber liegen wir uns in den Armen und bewegen uns im Rhythmus der Musik. Die Anspannung in mir schwindet. Ich zittere am ganzen Körper, doch diesmal kann ich mich an ihm festhalten. Die Zeit scheint stil zustehen, und langsam erwacht mein Verlangen nach diesem Mann, das ein halbes Jahr geschlummert hatte. Ich wage nicht, meinen Kopf zu heben und ihn anzusehen. Was wird er von mir denken? Ich weiß so wenig von ihm! Erst als sich der Rhythmus der Musik ändert, gehen wir an unseren Platz zurück, und ich merke, daß wir als einzige getanzt haben. Ich glaube zu spüren, wie uns Dutzende von Augenpaaren folgen.
Wir sitzen noch eine Weile zusammen, dann gehen wir. Es ist weit nach Mitternacht, als er mich zum Hotel bringt. Am Eingang schauen wir einander in die Augen, und ich glaube, bei ihm einen veränderten Ausdruck wahrzunehmen. Etwas wie Verwunderung und Erregung erkenne ich in diesen wilden Augen. Endlich wage ich, mich seinem schönen Mund zu nähern, und drücke sanft meine Lippen auf seine. Da spüre ich, daß der ganze Mann erstarrt und mich fast entsetzt anschaut.
„What you do?“ fragt er und tritt einen Schritt zurück. Ernüchtert stehe ich da, verstehe nichts, empfinde Scham, drehe mich um und renne aufgelöst ins Hotel. Im Bett überfäl t mich ein Weinkrampf, die Welt scheint einzustürzen. Mir geht nur eines durch den Kopf: daß ich ihn bis zum Wahnsinn begehre und er sich anscheinend nichts aus mir macht. Irgendwann schlafe ich dennoch ein.
Ich erwache sehr spät, das Frühstück ist längst vorbei. Es ist mir gleichgültig, weil ich absolut keinen Hunger verspüre. So, wie ich momentan ausschaue, wil ich nicht gesehen werden, setze mir eine Sonnenbrille auf und schleiche am Pool vorbei, wo sich mein Bruder wie ein verliebter Hahn mit Jel y tummelt.
Am Strand lege ich mich unter eine Palme und starre in den blauen Himmel. War das alles? frage ich mich. Habe ich mich dermaßen getäuscht in meiner Wahrnehmung? Nein, schreit es in mir, woher hätte ich sonst die Kraft genommen, mich von Marco zu trennen und ein halbes Jahr auf jeglichen sexuel en Kontakt zu verzichten, wenn nicht für diesen Mann.
Plötzlich nehme ich einen Schatten über mir wahr und verspüre eine sanfte Berührung am Arm. Ich öffne die Augen und blicke direkt in das schöne Gesicht dieses Mannes. Er strahlt mich an und sagt wieder nur: „Hel o!“ Ich bin froh, meine Sonnenbril e auf der Nase zu haben. Er schaut mich lange an und scheint mein Gesicht zu studieren. Nach geraumer Zeit fragt er nach Eric und Jel y und erklärt umständlich, daß wir heute nachmittag bei Priscilla zum Tee eingeladen sind. Auf dem Rücken liegend schaue ich in zwei mich sanft und hoffnungsvoll anblickende Augen. Als ich nicht sofort antworte, verändert sich sein Ausdruck, die Augen werden dunkler, ein stolzer Schimmer glänzt in ihnen. Ich kämpfe mit mir und frage dann doch, um welche Zeit wir kommen sol en.
Eric und Jelly sind einverstanden, und so warten wir zur verabredeten Zeit am Hoteleingang. Nach etwa zehn Minuten hält eines der überfüllten Matatus. Zwei lange Beine steigen aus, gefolgt vom langen Körper Lketingas. Er hat Edy mitgebracht. Ich kenne den Weg zu Priscilla noch vom ersten Besuch, mein Bruder allerdings schaut den Affen, die unweit des Weges spielen und essen, skeptisch zu.
Das Wiedersehen mit Priscilla ist sehr herzlich. Sie holt ihren Spirituskocher hervor und bereitet Tee. Während wir warten, diskutieren die drei miteinander, und wir schauen verständnislos zu. Immer wieder wird gelacht, und ich spüre, daß auch über mich gesprochen wird. Nach etwa zwei Stunden brechen wir auf, und Priscilla bietet mir an, jederzeit mit Lketinga hierherkommen zu können.
Obwohl ich für zwei weitere Wochen bezahlt habe, beschließe ich, aus dem Hotel auszuziehen und mich bei Priscilla einzuquartieren. Ich habe genug vom ewigen Disco-Besuch und den Abendessen ohne ihn. Die Hotelleitung warnt mich zwar, daß ich nachher wohl weder Geld noch Kleider besitzen werde. Auch mein Bruder ist mehr als skeptisch, doch hilft er mir, al es in den Busch zu schleppen. Lketinga trägt die große Reisetasche und scheint sich zu freuen.
Priscilla räumt ihre Hütte und zieht zu einer Freundin. Als es draußen finster wird und wir dem Moment des körperlichen Zusammentreffens nicht mehr aus dem Weg gehen können, setze ich mich auf die schmale Pritsche und warte mit klopfendem Herzen auf den lang ersehnten Augenblick. Lketinga setzt sich neben mich, und ich erkenne nur das Weiß in seinen Augen, den Perlmuttknopf auf der Stirn und die weißen Elfenbeinringe in den Ohren. Plötzlich geht al es sehr schnell. Lketinga drückt mich auf die Liege, und schon spüre ich seine erregte Männlichkeit. Noch bevor ich mir im klaren bin, ob mein Körper überhaupt bereit ist, spüre ich einen Schmerz, höre komische Laute, und alles ist vorbei. Ich konnte heulen vor Enttäuschung, ich hatte es mir völlig anders vorgestellt. Erst jetzt wird mir richtig bewußt, daß ich es mit einem Menschen aus einer mir fremden Kultur zu tun habe.
Weiter komme ich mit meinen Überlegungen nicht, denn schon wiederholt sich das Ganze. In dieser Nacht folgen noch weitere Anläufe, und nach dem dritten oder vierten „Beischlaf“ gebe ich es auf, ihn mit Küssen oder anderen Berührungen etwas zu verlängern, denn das scheint Lketinga nicht zu mögen.
Endlich wird es hell, und ich warte darauf, daß Priscil a an die Tür klopft.
Tatsächlich vernehme ich gegen sieben Uhr morgens Stimmen. Ich schaue hinaus und finde vor der Tür ein Becken vol Wasser. Ich hole es herein und wasche mich gründlich, weil ich überall am Körper rote Farbe von Lketingas Bemalung habe.
Er schläft immer noch, als ich mich bei Priscilla melde. Sie hat bereits Tee gekocht und bietet ihn an. Als sie mich fragt, wie ich meine erste Nacht in einer afrikanischen Behausung verbracht habe, sprudelt es aus mir heraus. Sichtlich verlegen hört sie zu und sagt: „Corinne, wir sind nicht wie die Weißen. Geh zurück zu Marco, mach Ferien in Kenia, aber suche keinen Mann fürs Leben.“ Über die Weißen habe sie erfahren, daß sie gut zu den Frauen seien, auch in der Nacht. Massai-Männer seien da anders, so wie ich es gerade erlebt hätte, sei es normal. Massai küssen nicht. Der Mund sei zum Essen da, küssen, und dabei macht sie ein verächtliches Gesicht, sei schrecklich. Ein Mann fasse eine Frau unterhalb des Bauches niemals an, und eine Frau dürfe das Geschlechtsteil eines Mannes nicht berühren. Die Haare und das Gesicht eines Mannes seien ebenfal s tabu. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Ich begehre einen wunderschönen Mann und darf ihn nicht anfassen.
Erst jetzt fällt mir die Szene mit dem mißglückten Kuß wieder ein und zwingt mich, das Gehörte zu glauben.
Während des Gespräches hat Priscilla mich nicht angesehen, es muß ihr schwer gefallen sein, über dieses Thema zu sprechen. Mir geht vieles durch den Kopf, und ich bezweifle, ob ich al es richtig verstanden habe. Plötzlich steht Lketinga in der Morgensonne. Mit nacktem Oberkörper, seinem roten Hüfttuch und den langen roten Haaren sieht er traumhaft aus. Die Erlebnisse der letzten Nacht rücken in den hintersten Teil meines Gehirns, und ich weiß nur, daß ich diesen Mann will und keinen anderen. Ich liebe ihn, und außerdem ist alles erlernbar, beruhige ich mich.