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Bolitho war unruhig, weil er nicht richtig sehen konnte. Er nahm Stayt ein Teleskop ab und stützte es auf die Finknetze. Nun erkannte er die Korvette, deren rot-gelbe Flagge steif auswehte, als sie an den Wind ging, um zu wenden. Tuson würde ihn zurechtweisen, weil er das gute Auge überanstrengte. Doch der Arzt war im Krankenrevier und wartete auf die nächste Ernte.

Fallowfield grollte:»Guter Gott, der Wind springt um!»

Männer eilten wieder an Brassen, Schoten und Halsen, und Keen sagte:»Auf Südwest, schätze ich, Sir.»

Bolitho nickte und stellte sich die Seekarte vor. Der Wind schlug um. Fortuna, wie Herrick sich ausgedrückt hätte, stand ihnen bei.

«Klar zum Aufgeien der Breitfock, Mr. Paget!«rief Keen.

Von der Korvette wehte ein dünner Ruf herüber.

«Winken Sie ihnen mit dem Hut zu!«sagte Bolitho.

Keen und Stayt winkten zum Spanier hinüber, der rasch nach Backbord abgetrieben wurde.

Noch eine Meile. Bolitho packte die Reling und spähte zwischen dem Tauwerk und den Vorsegeln nach vorn. Er konnte den Feind schräg an Backbord liegen sehen, so wie Keen es beschrieben hatte.

Keen warf Paget einen Blick zu.»Bitte lassen Sie laden.»

Der Befehl wurde sofort an das untere Deck weitergegeben, und Bolitho konnte sich die Bedienungen vorstellen, die sich mit bereits schweißnassen Rücken im Halbdunkel hinter noch verschlossenen Stückpforten mit Kugeln und Kartuschen abplagten. Seit seinem zwölften Lebensjahr kannte er das: Die Männer an den Kanonen, die rotgestrichenen Bordwände, damit das Blut nicht so auffiel, und hier und da eine Autoritätsperson in Blau und Weiß, ein Leutnant oder Decksoffizier.

Es schien nicht lange zu dauern, bis beide Decks» klar «gemeldet hatten.

Bolitho hörte Hauptmann Bouteiller von den Royal Marines mit seinem Leutnant Orde flüstern. Wie die anderen Seesoldaten duckte er sich hinters Schanzkleid, um noch nicht vom Feind gesehen zu werden. Der Anblick eines einzigen roten Rockes hätte gewirkt wie ein Stich ins Hornissennest.

«Breitfock festmachen!«Es mußte den Anschein haben, als verkürzten sie Segel und schickten sich zum Ankern an.

Bolitho trat von der Reling zurück und verschränkte die Hände auf dem Rücken. Nun konnte es nicht mehr lange dauern. Fest stand jedenfalls, daß Jobert nicht drüben an Bord war. Er hätte sofort gefechtsklar gemacht, wenn er im Licht der Morgendämmerung sein altes Flaggschiff erkannt hätte.

«Fünf Kabellängen, Sir!»

Bolitho spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Noch eine halbe Meile.

«Der Franzose hat ein Signal gesetzt, Sir!»

Nun war es soweit. Beim Ausbleiben einer Antwort würde man sie auf der Stelle als Feinde erkennen.

«Halt, Mr. Paget, belege den letzten Befehl!«schrie Keen.»Setzt Bramsegel!»

Pfeifen trillerten, und hoch über Deck huschten die Toppgasten wie Affen hinaus auf die Rahen, um die zusätzlichen Segel zu lösen.

«Drei Kabellängen, Sir!»

Über dem Singen des Windes in der Tagelage hörten sie das schwache Schmettern einer Trompete. Nun war es mit dem Versteckspiel vorbei. Als die Scharfschützen der Royal Marines mit ihren Musketen hoch oben in den Gefechtsmarsen die Drehbassen bemannten, ging der Rest der Truppe an den Finknetzen in Stellung und legte die Musketen an.

Keen schätzte den richtigen Augenblick ab, wußte, daß Paget bereit war, auf jeden Befehl sofort zu reagieren.»Stückpforten auf.»

In der Bordwand hoben sich die Pfortendeckel wie schläfrige Augenlider.

«Sie kappen das Ankertau, Sir!»

Keen biß sich auf die Lippen. Zu spät.»Ausrennen!»

Rumpelnd und quietschend reckten sich die Rohre der schweren Kanonen wie Rüssel aus den Pforten. Die Mündungen der großen Zweiunddreißigpfünder im unteren Batteriedeck hoben und senkten sich bereits, als die Geschützführer ihr Ziel suchten.

Bolitho nahm Stayt erneut das Glas ab und richtete es auf das andere Schiff. Er sah, wie sich sein Vor-Marssegel von der Rah löste, wie Männer aufenterten oder sich auf dem Vorschiff ums Ankerspill drängten. Der Wasserleichter lag noch immer längsseits, seine Besatzung stand da und starrte die drohend nahende Argonaute an.

Der Anker wurde gekappt, und der französische Zweidek-ker driftete mit killenden Segeln ab. Seine Besatzung war verzweifelt bemüht, das Schiff unter Kontrolle zu bekommen.

«Achtung, Backbordbatterie!»

Keen machte im Sonnenlicht schmale Augen, wartete ab, bis die Trikolore wieder an Deck gefallen war und an ihrer Stelle die britische Seekriegsflagge von der Gaffel wehte. Oben im Topp flatterte Bolithos Flagge jetzt steif im Wind, und Keen hörte einen Midshipman einen schrillen Hochruf ausstoßen.

Argonautes langer Klüverbaum kreuzte kaum eine Kabellänge entfernt den Bug des anderen Schiffes.

Keen hob seinen Degen. Er hörte das Knirschen der Handspaken vom Vorschiff und sah, wie die Steuerbordkarronade langsam gerichtet wurde; ihre achtundsechzig Pfund schwere Granate würde zuerst abgefeuert werden. Die langläufigen Kanonen sollten schießen, wenn sie ein Ziel fanden, aber nicht in einer vollen Breitseite, sondern Deck für Deck, Paar für Paar.

«Ziel auffassen, Jungs!«Die Klinge des Degens fuhr blitzend herab.

«Feuer

X Vergeltung

Ohne zu wenden oder den Kurs um auch nur einen Strich zu ändern, rauschte Argonaute an dem treibenden französischen Zweidecker vorbei, und bei jedem widerhallenden Abschuß ging ein heftiger Ruck durch ihren Rumpf. Die Geschützführer waren so gut bei der Sache, daß jedes Kanonenpaar feuerte wie ein einzelnes Stück.

Bolitho wankte und wäre beinahe ausgerutscht, als das Deck unter einem besonders hohen Brecher in Schräglage ging. Seine Nüstern blähten sich im beißenden Rauch, der Kanonendonner ließ seine Ohren singen. Keen wischte sich das Gesicht, als die letzten Geschütze an ihren Taljen binnenbords liefen und die Männer eifrig auswischten und nachluden.

Der Franzose war schwer beschädigt worden; qualmende schwarze Narben in seiner Bordwand zeugten von der Genauigkeit des sorgsam gezielten Feuers. Ein paar französische Kanonen erwiderten den Angriff, und eine Kugel schlug dicht über der Wasserlinie in den Rumpf der Argonaute wie eine gepanzerte Faust.

Keen sah aus schmalen Augen zu, wie der Franzose erst die Breitfock und dann das Großmarssegel setzte. Seine Mannschaft befolgte zwar die Befehle, aber das Schiff lag fast quer zu Wind und Seegang und war verzweifelt bemüht, dem Angreifer seine Schmalseite zu bieten.

«Achtung! In der Aufwärtsbewegung!«rief Keen. Dann schaute er für den Bruchteil einer Sekunde Bolitho an und sah ihn so, wie er ihn in Erinnerung hatte: kerzengerade, dem Feind zugekehrt, auch wenn er ihn nicht sehen konnte.»Volle Breitseite!«Dies mochte ihre letzte Chance sein. Undeutlich bekam er die spanische Korvette zu sehen, die nun weit achteraus lag, ein hilfloser, verblüffter Zuschauer.

Weitere Kugeln schlugen in ihre Bordwand ein, und irgendwo schrie ein Mann gequält auf.

Keen hob den Degen. Die Sonne blendete ihn, ihm traten Tränen in die Augen.

«Feuer!»

Als die Pfeifen schrillten und die Bramstengen dippten, donnerte die Breitseite mit solcher Wucht aus dem Rumpf, daß sie das Gefühl hatten, auf Felsen gelaufen zu sein.

Überall Rauch und verkohlte Ladepfropfen, aber Keen sah das feindliche Schiff erbeben und in Schräglage gehen, als es von der vollen Salve getroffen wurde. Schanzkleid und Takelage flogen in alle Richtungen, und fallende Trümmer und aufschießende Gischt hüllten den Rumpf ein.

«Zündloch stopfen! Auswischen! Laden!«Pagets Stimme übertönte den Wind und das Quietschen der Taljen.

Allday sagte in einer plötzlichen Pause:»Wir haben ihn verkrüppelt, Sir! Fast alle Segel sind durchschossen!»

Bolitho, der befürchtete, wieder das Gleichgewicht zu verlieren, hielt sich an der Reling fest. Er glaubte, selbst über diese Entfernung den Einschlag der Breitseite gehört zu haben.