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Es war sinnlos, weiter in ihn zu dringen. Allday war wie eine Eiche und wurzelte tief. Wenn er soweit war, würde er schon mit seinem Problem herausrücken.

Tuson war der nächste Besucher. Bolitho hatte gelernt, die regelmäßige Behandlung zu ertragen und sich die Schmerzen beim Verbandwechsel nicht anmerken zu lassen. Er öffnete das linke Auge und schaute starr zu den Heckfenstern. Wäßrige Sonne und ein tiefblauer Horizont. Er spannte sich, spürte jähe Hoffnung und ballte dann die Fäuste, als sich der Schatten wieder wie ein Vorhang vor sein Gesichtsfeld legte.

Tuson sah seine verkrampften Hände.»Nur nicht den Mut verlieren, Sir. Das bessert sich noch.»

Bolitho wartete, bis der Verband wieder verknotet worden war. Dann fragte er abrupt:»Was ist eigentlich mit meinem Bootsführer los?»

Tuson sah ihn an.»Es geht um Bankart, Sir, seinen Sohn. Ein Pech, daß er an Bord ist, wenn Sie mich fragen.»

Bolitho faßte ihn am Hemdsärmel.»Mit mir können Sie doch offen reden, Mann.»

Tuson klappte seine schwarze Tasche zu.»Wie würden Sie sich fühlen, Sir, wenn Ihr Neffe sich als Feigling entpuppte?»

Bolitho hörte, wie die Tür geschlossen wurde.

Ein Feigling? Bittere Erinnerungen durchfluteten ihn: der Augenblick, als Midshipman Sheaffe zurückgelassen worden war, vermutlich verwundet. Die Gelegenheiten an Deck der Supreme, bei denen Bankart gefehlt hatte. Und Stayts Stimme auf dem Kutter; der hatte es schon damals gewußt.

Wie konnte er über solche Dinge nachdenken, wenn so viel von ihm erwartet wurde? Er dachte an die Instruktionen, die er Lapish gegeben hatte: entern oder versenken. Die neue Härte seines Denkens, war sie von der Blindheit ausgelöst worden? Doch dann entsann er sich, wie er den französischen Matrosen, der das Teleskop des Ausguckpostens trug, ohne Nachdenken, ohne Zögern niedergehauen hatte. Nein, der Grund lag tief in ihm verborgen. Vielleicht hatte Belinda das erkannt und Angst um ihn bekommen, denn der Krieg zerstörte ebenso rücksichtslos wie eine Kugel oder Pike.

In dieser Nacht, als die Argonaute durch eine aufgewühlte See stampfte, lag Bolitho in seiner Koje und versuchte zu schlafen. Als er endlich eindöste, träumte er von Belinda. Oder war es Cheney? Aber die Szene in Falmouth verwandelte sich in eine Seeschlacht, die zu einem Alptraum wurde, denn er sah sich selbst darin als Leiche.

Am nächsten Tag hielt Rapid ein portugiesisches Fischerboot an, nachdem ihm ein Schuß vor den Bug gesetzt worden war.

Nach einer Weile erreichte die Nachricht das Flaggschiff: Der Fischer hatte vor zwei Tagen den Golf von Rosas unterhalb des Kaps passiert. Dort lag ein großes französisches Kriegsschiff.

Bolitho ging auf seiner Heckgalerie auf und ab und kümmerte sich nicht um den Wind und die Gischt, die ihn bis auf die Haut durchnäßte.

Das französische Schiff würde kaum nach Gibraltar segeln, sondern vor Anker bleiben oder in Richtung Toulon auslaufen. Und zwischen ihm und seinem Ziel würde Argo-naute liegen.

Er schickte nach seinem Flaggleutnant.

«Signal an Icarus: >Station halten.< Rapid soll bei ihr bleiben.»

Wenn er dazu in der Lage gewesen wäre, hätte er gesehen, wie Stayt eine Augenbraue hob. Bolitho tastete sich an den Tisch und starrte hilflos auf die Seekarte. Dann drehte er sich zu Stayt um und grinste.»Morgen wird Argonaute wieder unter ihrer alten Flagge segeln.»

«Und wenn es Jobert ist, Sir? Er würde das Schiff doch sicher erkennen.»

«Unwahrscheinlich. Er hält sich bestimmt bei seinem Geschwader auf. Und wenn wir erst einmal wissen, wo das ist…«Den Rest ließ er unausgesprochen.

Minuten später wehten die Flaggen hell an ihren Leinen aus und wurden von Icarus und später auch von der kleinen Brigg bestätigt.

Wenn sich der Wind gegen sie stellte, würde er umdenken müssen. Da der Master aber zuversichtlich war, daß er weiterhin aus Südwest wehen würde, bestand vielleicht die Chance, an die Franzosen heranzukommen.

Die Küste, die der Feind als Zufluchtsort gesehen hatte, konnte für ihn zu einer Falle werden.

Kapitän Valentine Keen nahm sich in seiner Kajüte einen Augenblick Zeit, um sicherzustellen, daß er alles hatte, was er in den nächsten Stunden brauchte. Das Schiff schien still zu sein, abgesehen vom regelmäßigen Ächzen der Balken und dem gedämpften Rauschen des Wassers am Rumpf.

Er sah sein Spiegelbild und zog eine Grimasse. Bald würde er an Deck gehen und befehlen, das Schiff klar zum Gefecht zu machen. Furcht berührte eiskalt sein Rückgrat. Auch das war normal. Er musterte sich so sorgfältig wie einen Untergebenen: sauberes Hemd, saubere Hose. Das verringerte die Entzündungsgefahr, falls er verwundet wurde. Er berührte seine Seite und spürte das Ziehen der alten Wunde. Der Blitz trifft nie zweimal die gleiche Stelle, hieß es. Im Spiegel sah er sich lächeln. Ein Brief an seine Mutter lag in der Stahlkassette. Wie oft habe ich jetzt schon so an sie geschrieben? fragte er sich.

Es klopfte leise — Stayt.

«Sir Richard ist an Deck, Sir. «Das klang wie eine Warnung.

Keen nickte.»Vielen Dank. «Stayt verschwand wieder in der Finsternis. Seltsamer Vogel, dachte er. Dann lockerte er seinen Degen in der Scheide und vergewisserte sich, daß seine Uhr tief in der Tasche steckte, falls er stürzte.

Er hörte leise Stimmen vor der Tür und riß sie auf, ehe jemand anklopfen konnte.

Erst sah er nur ihr blasses, ovales Gesicht; sie steckte vom Kinn bis zu den Füßen in seinem Bootsmantel, den er ihr vor einer Weile geschickt hatte. Er führte sie in die Kajüte, die bald ebenfalls geräumt und gefechtsbereit gemacht werden würde.

Vielleicht war das französische Schiff ja gar nicht da?

Doch er verwarf diesen Gedanken. Der Wind war zu frisch, und kein Kommandant würde Lust verspüren, gegen ihn anzukämpfen, um womöglich an einer Leeküste zu enden.

Er ergriff Zenorias Hände.»Du bleibst mit Ozzard im Frachtraum, Liebste, da bist du sicher. Er wird sich um dich kümmern. Wo steckt deine Gefährtin?»

«Millie ist schon unten. «Ihre Augen wirkten im Schein der Blendlaterne sehr dunkel.

Keen zog ihr den Bootsmantel zurecht und spürte, wie sich ihre Schultern versteiften.»Gut so. Unten ist es kalt. Und keine Angst.»

Sie schüttelte den Kopf.»Angst habe ich nur um dich, falls..»

Er berührte ihre Lippen.»Nein. Wir sind bald wieder zusammen. «Er zog sie sanft an sich, glaubte, ihren Herzschlag zu spüren, und erinnerte sich an ihre Brust in seiner Hand.»Es stimmt, Zenoria, ich liebe dich«, murmelte er.

Als sie ging, drehte sie sich noch einmal zu ihm um. Ob zur Erinnerung oder um ihm Mut zu machen, das wußte er nicht.

Er griff nach seinem Hut und stieg rasch zum Achterdeck hinauf. Bolitho stand in Luv bei den Netzen, und die Argo-naute lief so hoch am Wind, wie ihre Rahen gebraßt werden konnten.

Die ganze Nacht über war das Schiff gegen den Wind nach Nordwest aufgekreuzt, bis es das Kap gut querab hatte, um dann zu wenden und auf das Land und die kleine Bucht zuzuhalten, wo der Franzose angeblich lag. Die ermüdenden Wendemanöver verschafften ihnen beim Endspurt auf den Feind einen Vorteil, denn dann würden sie vorm Wind segeln. Selbst wenn es dem Franzosen gelingen sollte, ihnen zu entkommen, gab es für ihn nur einen Fluchtweg, und den würden Icarus und Rapid blockieren.

Bolitho drehte sich um und fragte:»Wie lange noch?»

Keen sah, wie verkrampft er den Kopf hielt, und litt mit ihm.»Ich lasse bei Tagesanbruch klar zum Gefecht machen, Sir.»

Bolitho klammerte sich an die Netze, als das Schiff in ein riesiges Wellental sackte; es schien vom Bug bis zur Heckreling zu erzittern.

«Bekommen die Männer vorher zu essen?»

Keen lächelte traurig.»Jawohl, Sir. Die Kombüse ist bereit. «Beinahe hätte er» selbstverständlich «gesagt.

Bolitho schien sich unterhalten zu wollen.»Sind die Frauen unter Deck?»