Wegen des Pulverqualms und wegen der treibenden Transporter, die zum Teil brannten und die Rauchwand noch verstärkten, hatte niemand das langsame, vorsichtige Näherkommen der Nicator bemerkt. Sie schoß aus allen Rohren auf den Franzosen, der hilflos zwischen dem spärlichen Feuer aus den SteuerbordHeckgeschützen der Lysander und den wütenden Breitseiten der Nicator lag und nicht entkommen konnte.
«Laufbrücken freimachen!«befahl Bolitho; er hörte Kugeln der Nicator durch die Takelage fegen.
Herrick zeigte auf Saxby, der wild um das Stag herumtanzte, an dem Bolithos Kommodorestander hing. Weder dieser noch die Kriegsflagge waren eingeholt.
Bald war es vorbei; als die hurra brüllenden Matrosen und Seesoldaten auf das Deck des Franzosen stürmten, ging die Trikolore nieder und verschwand im Rauch.
Eine Viertelstunde später erschien ein Leutnant der Nicator an Bord, während alle drei Schiffe, ineinander verstrickt, vorm Wind dahindrifteten und Sieger wie Besiegte sich einmütig der Verwundeten annahmen.
Der Leutnant sah sich an Deck um und nahm den Hut ab.»Es — es tut mir leid, Sir. Wir sind wieder zu spät gekommen. So einen
Kampf wie den Ihren habe ich noch nie gesehen. «Er blickte zu Kampanje hinüber, wo verwundete Marine-Infanteristen weggetragen wurden.
«Und Captain Probyn?«fragte Herrick schroff.
«Gefallen, Sir. «Der Leutnant reckte das Kinn hoch.»Im Scharfschützenfeuer. War sofort tot.»
In hellem Schrecken schrie ein Mann, der zum Orlopdeck geschafft wurde; Bolitho dachte an Luce und Farquhar und Javal. Und an so viele andere.
«War das, bevor Sie uns zu Hilfe kamen — oder nachher?«fragte er.
Der Leutnant machte ein sehr verlegenes Gesicht.»Vorher, Sir. Aber ich bin sicher, daß…»
Bedeutsam blickte Bolitho Herrick an. Die Nicator war viel zu weit entfernt gewesen, unerreichbar für jede französische Musketenkugel. Bei einer Untersuchung würde der wahre Sachverhalt schwer aufzuklären und unmöglich zu beweisen sein. Aber jemand hatte, von Scham und Seelenqual getrieben, Probyn niedergeschossen, der dastand und ohne zu helfen zusah, wie Lysander und Immortalite vernichtet wurden.
Mit ernstem Lächeln sah er den bleichen Leutnant an.»Nun, Sie sind jedenfalls noch rechtzeitig gekommen.»
«Wir mußten doch, Sir«, sagte der junge Offizier und sah zur Seite.»Wir haben das Signal gesehen: Nahkampf. Das war uns genug«, sagte er leise.
Da erschien Pascoe auf dem Achterdeck, und Bolitho eilte hinüber und schloß seinen Neffen in die Arme. Der fremde Leutnant wandte den Blick von dieser Szene ab und sah hoch in einen Fleck blauen Himmels auf das immer noch wehende Signal.
«Stoßen Sie von dem Franzosen ab, Thomas, sobald Mr. Grubbs Leute mit dem Ruder fertig sind«, sagte Bolitho.»Er hat gut gekämpft, aber noch eine Prise kann ich nicht gebrauchen, wenn Brueys mit seiner ganzen Flotte in der Nähe ist.»
Herrick ging zur Reling und gab den Befehl an Leutnant Steere weiter, der aus dem unteren Batteriedeck gekommen war.
Grubb schlurfte unter der Kampanje hervor. Sein verwittertes Gesicht war schwarz von Rauch und Pulverschmiere.
«Sie reagiert jetzt aufs Ruder, Sir. Klar zum Ablegen!»
Herrick sagte leise:»Er hört Sie nicht, Mr. Grubb. Er starrt nur auf das Signal und denkt an alle, die es nicht mehr sehen können und nie mehr sehen werden. Ich kenne ihn.»
Stumm ging der Master zu seinen Rudergasten hinüber, und Herrick sagte zu dem tief erschütterten Pascoe:»Bleiben Sie bei ihm, Adam. Ich komme fürs erste schon ohne Sie zurecht. Versuchen Sie, ihm das zu erklären: Sie haben es nicht für irgendein Signal getan — sondern für ihn.»
Epilog
Captain Thomas Herrick trat in die Kajüte und wartete, bis Bolitho von seinem Schreibtisch aufblickte.
«Der Ausguck hat soeben den Felsen von Gibraltar in Nordwest gesichtet, Sir. Mit einigem Glück können wir noch vor Sonnenuntergang dort vor Anker gehen.»
«Danke, Thomas. Ich habe es gehört. «Das klang etwas abwesend.»Sie können schon den Salut für den Admiral vorbereiten.»
«Und dann gehen Sie von Bord, Sir«, erwiderte Herrick melancholisch.
Bolitho stand auf und trat langsam zum Fenster. Die Nicator segelte etwa eine halbe Meile achteraus; Marssegel und Klüver standen sehr bleich im Sonnenlicht. Dahinter konnte er die unordentliche Formation der gekaperten Versorgungsschiffe ausmachen; außerdem eine französische Fregatte im Schlepptau, die schwer havariert und reparaturbedürftig war.
Von Bord gehen. Die Lysander verlassen. Das war es eben. Alle diese Wochen und Monate voller Enttäuschung, Hochstimmung, Stolz. Die schwere Knochenarbeit. Die Schrecken der Schlacht. Jetzt lag das alles hinter ihm. Bis zum nächsten Mal.
Er hörte die Hammerschläge und den scharfen Ton der Zimmermannsäxte. Da ging die Arbeit am Schiff weiter, die in dem Moment begonnen hatte, als Grubb meldete, daß die Lysander wieder auf das Ruder reagiere und sie von dem französischen Zweidecker losgekommen seien. Es kam ihm immer noch wie ein Wunder vor, daß das Gros der französischen Flotte weiter auf Südostkurs nach
Ägypten gesegelt war. Vielleicht hatte Brueys immer noch geglaubt, dieses kleine Geschwader Bolithos hätte seinen wohlverteidigten Versorgungskonvoi nur aus taktischen Gründen, nämlich der Verzögerung wegen, angegriffen, und eine andere Flotte sammle sich bereits, um ihm den Weg nach Alexandria zu verlegen.
Zerschossen und durchlöchert, auf jeder mühsamen Meile Wasser übernehmend, war die Lysander vor dem Wind gesegelt; provisorische Reparaturen wurden unterwegs ausgeführt, die Toten bestattet, die zahlreichen Verwundeten versorgt.
Dann waren sie mit der Nicator zusammen wieder westwärts gelaufen und hatten dabei vor einer Serie stärkerer Böen ebenso Angst gehabt wie vor einem feindlichen Angriff. Aber die Franzosen hatten andere Sorgen; und einige Tage später, als der Ausguck der Lysander eine kleine Segelpyramide sichtete, hatten Bolitho und die Mannschaften beider Schiffe mit einer Mischung aus Ehrfurcht und innerer Bewegung der Fregatte entgegengesehen, die auf sie zukam, und in deren Kielwasser, schwarz und braun in der hellen Sonne, nicht ein Geschwader folgte, sondern eine ganze Flotte. Ein Zufall, gewiß; aber es war schwer vorzustellen, daß nicht auch Wunder dabei mitgespielt hatten.
Leutnant Gilchrist war mit der schwer havarierten Fregatte Buz-zard nicht wie befohlen direkt nach Gibraltar gesegelt, sondern hatte, aus Gründen, die bisher noch nicht ans Licht gekommen waren, in Syrakus Station gemacht. Und dort, enttäuscht und nach dem fruchtlosen Streifzug nach Alexandria aller Illusionen beraubt, ruhte sich die britische Flotte aus, mit Nelsons Flaggschiff Vangu-ard in der Mitte.
Aber Gilchrists vager Bericht genügte Nelson offenbar, um sofort wieder auszulaufen. Und zwar nach Alexandria, wo er die übriggebliebenen französischen Transporter angetroffen hatte, die im Hafen Schutz suchten. Aber nordöstlich, ungefähr dort, wo Bolitho es vorausgesagt hatte, lag die französische Flotte vor Anker, in guter Ordnung und mit starken Kräften.
Die Lysander, deren Mannschaft zur Hälfte tot oder verwundet war, hatte sich am Rande des Kampfes gehalten: der >Battle of the N-le<, wie sie später in England hieß.[29] Sie hatte am Abend begon-
nen und die ganze Nacht getobt; und als die Morgenröte kam, gab es so viele Wracks, daß Bolitho sich nur darüber wundern konnte, welcher Kampfeswut der Mensch fähig war.
Nelson hatte sich weder von der französischen Formation abschrecken lassen, noch von der Tatsache, daß viele Schiffe mit Trossen verbunden waren, um einen Durchbruch zu verhindern; er hatte die französische Verteidigung umsegelt und von der Landseite her angegriffen. Denn an der Küste gab es keine schwere Artillerie, die ihn hätte daran hindern können, und so vermochte er seine taktische Geschicklichkeit und seine Energie ganz auf seinen ebenso entschlossenen Gegner zu konzentrieren.
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bei uns: Seeschlacht von Abukir