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Stunde um Stunde verrann, und je höher die Sonne stieg, um so mehr gewannen die Schiffe an Realität und Individualität. Die sachlichen Konstruktionslinien der französischen Vierundsiebziger wurden erkennbar, alle beherrscht von einem mächtigen Erster-Klasse-Schiff, dem größten, das Bolitho je gesehen hatte. Es mußte Brueys' Flaggschiff sein. Er fragte sich, was der französische Ad-miral wohl denken mochte, wie klein ihm und seinen Offizieren die Formation der britischen Schiffe vorkommen mußte. Und er fragte sich, ob Bonaparte wohl bei ihm an Bord sein, ihre tapfere Geste sehen und sich voll Verachtung darüber lustig machen mochte. In Bonapartes Anwesenheit lag ihre einzige Hoffnung. Denn Brueys selbst war ein tapferer und erfahrener Marineoffizier, der von der britischen Flotte wahrscheinlich mehr verstand als alle anderen dort drüben. Seine Intelligenz und sein taktisches Können waren wohlbekannt und wurden respektiert. Aber würde Bonaparte noch auf seinen Rat hören, jetzt, da Ägypten beinahe in Sicht war und nur noch drei feindliche Schiffe ihn davon trennten?

«Lassen Sie Ihren Musikzug aufspielen, Major Leroux«, sagte Bolitho.»Dieses Warten stumpft ab und macht schlapp.»

Gleich darauf schmetterten Trommler und Pfeifer das Lied The Old East India man, und die Trommeljungen marschierten im Paradeschritt das Achterdeck auf und ab; nur stolperten sie hier und da über einen Beschlag oder ein ausgestrecktes Matrosenbein.

Grubb sah das verschmitzte Grinsen seiner Maaten und zog nach einigem Zögern seine legendäre Zinnflöte aus der Manteltasche; damit stimmte er in die Weise ein.

«An Deck! Feindliche Fregatte auf Südkurs voraus, Sir!»

«Die jagt die Harebell, Sir!»

Bolitho preßte die Hände auf dem Rücken zusammen. Eine starke Fregatte mit immer höher wachsender Segelpyramide schor aus der endlosen Schiffsformation aus und nahm die Verfolgung der Schaluppe auf.

Inch hatte einen guten Vorsprung. Bei diesem mäßigen Südwest würde der französische Kommandant Mühe haben, ihn einzuholen; und wenn er die Harebell nicht mit einem Weitschuß aus seinem Buggeschütz manövrierunfähig schießen konnte, mußte sie eigentlich klarkommen.

Dumpf hallte ein Kanonenschuß über das glitzernde Wasser, und eine dünne weiße Gischtfontäne sprang empor. Der Schuß lag erheblich zu kurz, und die Ausgucks in den Masten quittierten ihn mit Hohnrufen.

Als die Lysander heftig überholte, fielen die marschierenden Trommeljungen beinahe der Länge nach hin.

Grubb steckte seine Flöte wieder in die Manteltasche und brummte:»Wind frischt auf, Sir!«Seinen Rudergasten rief er zu:»Paßt gut auf, Kinder!»

Bolitho sah Herrick an.»Jetzt können Sie laden und ausrennen lassen.»

Das Schiff hob sich und tauchte dann in ein tiefes Wellental. Wie Glassplitter flogen Schaum und Sprühwasser an der Galion hoch.

«Mr. Veitch!«rief Herrick durch die hohlen Hände.»Geben Sie durch: Laden und ausrennen!»

Leroux sagte zu seinem Leutnant:»Tatsächlich, Peter, ich glaube, die Franzosen behalten ihre Formation bei.»

Nepean sah verständnislos drein.»Aber dann geraten wir doch direkt zwischen die zweite Gruppe, Sir? Die Versorgungsschiffe scheinen auch gut geschützt zu sein. «Er schluckte mühsam und blinzelte den Schweiß aus den Augen.»Tatsächlich, ich glaube, Sie haben recht!»

Der Major sah zur Kampanje hin.»Sergeant Gritton! Scharfschützen auf beide Seiten verteilen! Bei diesem Tempo sind wir mitten unter den Feinden, bevor sie überhaupt wissen, was los ist!»

Bolitho hörte das alles. Das geschäftige Klappern der Rammstök-ke und Handspeichen und die schrillen Pfiffe beim Ausrennen der Geschütze — auf der einen Seite schimmernd wie Zähne, auf der anderen nur purpurne Schatten.

Bolitho dachte an Pascoe und seine schweren Kanonen, drei Decks tief unter seinen Füßen. Er hätte ihn lieber bei sich gehabt; aber im unteren Deck war er vielleicht weniger gefährdet.

«Ausgerannt, Sir.»

Bolitho nahm Midshipman Saxby ein Teleskop aus der Hand. Beinahe wäre es auf die Planken gefallen, denn der Junge zitterte furchtbar und versuchte, es nicht sehen zu lassen. Bolitho stieg die Kampanjeleiter hinauf und richtete das Glas achteraus.

«Signal an Nicator, Mr. Glasson«, sagte er scharf. »Mehr Segel setzen.»

«Wir dürfen keine große Lücke in unserer Formation entstehen lassen«, erläuterte er, als er wieder auf dem Achterdeck war. Da fiel ihm Saxby wieder ein, und er sagte zu ihm:»Nehmen Sie das Glas, mein Junge, und gehen Sie nach achtern zu den MarineInfanteristen. Behalten Sie bis auf weiteren Befehl die Nicator im Auge!»

Herrick tupfte sein Gesicht mit dem Taschentuch ab.»Machen Sie sich Sorgen um den jungen Saxby, Sir?»

«Nein, Thomas. «Er dämpfte die Stimme.»Um Probyn.»

«Nicator hat bestätigt. «Glasson gab sich jetzt sehr eifrig.

Bolitho nickte und stieg, sich mit einer Hand auf die bloße Schulter eines Matrosen stützend, auf einen Neunpfünder. Backbord voraus von der Lysander formierten sich die französischen Kriegsschiffe, um das lockere Geleit ihrer Transporter zu schützen.

Er zählte sorgfältig: vier Linienschiffe. Zahlenmäßig überlegen, aber nicht allzusehr. Hinter den sich überlappenden Rümpfen der Transporter sah er die Rahsegel einer Fregatte; wie ein Schäferhund beim Auftauchen eines Fuchses die Lämmer zusammentreibt, so saß sie den lebenswichtigen Versorgungsschiffen auf den Fersen.

Veitch stand bereit, aber Bolitho sah ihn gar nicht. Höchstens noch eine Stunde, dann mußte der französische Admiral wissen, daß keine weiteren britischen Schiffe in unmittelbarer Nähe waren. Was dann? Vernichtung des kleinen Geschwaders? Oder segelte der Admiral gleich weiter nach Alexandria, für den Fall, daß er dort nötiger gebraucht wurde?

Bolitho sah zwischen den feindlichen Formationen etwas Rotes schimmern — das Versorgungsschiff aus Korfu. Begreiflich, daß Veitch es gleich wiedererkannt hatte. Er hatte reichlich Gelegenheit gehabt, es sich genau anzusehen, ebenso wie die anderen verstreuten Transporter, als er damals den Berghang in Brand gesetzt hatte, um die Osiris vor den Kanonen zu schützen. Aber dieses Schiff würde noch mehr solch schwerer Kanonen geladen haben. Die brauchte Admiral Brueys, sonst konnte er es nicht riskieren, innerhalb der engen Hafeneinfahrt von Alexandria zu ankern. Er brauchte ihren Schutz für seine Schiffe und das Ausladen so vieler Soldaten und Kriegsgüter. Ohne sie mußte er in der Bucht von Abukir ankern, wie Herrick gesagt hatte. Und wenn Nelson Glück hatte, würde er ihn dort finden. Und dann — ja, das Weitere war dann seine Sache.

Schweren Herzens blickte Bolitho über das Deck der Lysander. Und was ist dann mit uns? Wir haben unser Bestes getan.

Mehrmals krachte es dumpf, und von dem französischen Zweidecker trieben Rauchwolken davon. Mehrere Kugeln peitschten niedrig durch die Wellen wie fliegende Fische, aber alle schlugen ziemlich weit weg von der Lysander ein.

Das war nur Wut. Ein Zeichen, daß die Franzosen zum Kampf bereit und nach den langen Vorbereitungen hinter ihren Sperren und Hafenbatterien sogar begierig darauf.

«Buggeschütz, Mr. Veitch!«befahl Herrick.»Auf die Entfernung einschießen — zwei, drei Kugeln!»

Beim Krachen des Backbordgeschützes ertönten ein paar Hurras von denen, die vorhin die Kraftdemonstration des Gegners nicht gesehen hatten.

Unter dem Achterdeck wickelten die Kanoniere bereits ihre Halstücher um die Ohren und legten Säbel und Enterbeile zurecht.

«Halbe Kabellänge zu kurz!«sagte Glasson. Doch niemand antwortete ihm.

Das vorderste französische Schiff kam stetig von Backbord auf die Lysander zu. Es segelte so hart am Wind wie möglich; jedes Segel an den dichtgebraßten Rahen war deutlich sichtbar.

Bolitho beobachtete genau, schätzte Zeit und Entfernung ab. Kam es zur Kollision, oder würde er die feindliche Formation durchbrechen? Er mußte unbedingt zwischen die feindlichen Versorgungsschiffe gelangen.