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«Alle vollzählig, Sir«, meldete Herrick

Bolitho blickte auf den Tisch nieder. Im Geiste las er wieder seine Segelorder: Sie werden hiermit bevollmächtigt und beauftragt, mit Ihrem Geschwader und allen Ihnen zur Ve rfügung stehenden Kräften Anwesenheit und Absichten größerer feindlicher Einheiten zu erkunden…

Ruhig und eindringlich begann er zu sprechen:»Wie Ihnen bekannt sein wird, hat der Feind eine Menge Zeit daran gewandt, Schwachstellen in unserer Verteidigung aufzuspüren. Abgesehen von unseren Siegen zur See, haben wir wenig erreicht, um das Vordringen und den wachsenden Einfluß Frankreichs zu stoppen. Meiner Ansicht nach ist Bonaparte niemals von seinem ursprünglichen Plan abgewichen, der immer noch und notwendigerweise darin besteht, Indien zu erreichen und unsere Handelswege zu blockieren. Dem französischen Admiral Suffren wäre das im letzten Kriege beinahe geglückt. «Bolitho fing Herricks Blick auf; zweifellos dachte er daran, wie sie zusammen in Ostindien gekämpft und selbst erlebt hatten, wie erpicht der Feind darauf war, die Gebiete wieder — zu erobern, die er in jenem unstabilen Frieden verloren hatte.»Bonaparte muß wissen, daß jede Verzögerung seiner Vorbereitungen uns nur Zeit gibt, unsere Kräfte zu verstärken«, fuhr Bolitho fort.

Alle Köpfe wandten sich Inch zu, der unbekümmert dazwischenrief:»Wir werden's ihnen schon zeigen, Sir! Genau wie damals!«Und er grinste die anderen vergnügt an.

Bolitho mußte lächeln. Schön, daß Inch, wenn er auch keine Ahnung von den Fakten hatte, immer noch wie früher war. Und sein munterer Kommentar hatte wenigstens die Distanz zwischen ihm und den Geschwaderoffizieren etwas gemindert.

«Danke, Commander Inch. Ihr Optimismus macht Ihnen Ehre.»

Errötend vor Freude verbeugte sich Inch.

«Dennoch — wir haben keine verläßlichen Nachrichten darüber, in welche Richtung die Franzosen vorstoßen werden. Das Gros unserer Flotte operiert vom Tejo aus, um einen Keil zwischen die Franzosen und ihre spanischen Verbündeten zu treiben. Einerseits könnte der Feind Portugal angreifen, wegen unserer dortigen Präsenz, oder er könnte auch nochmals eine Invasion Irlands versuchen. «Bolitho konnte seine Erbitterung nicht verbergen.»So wie im vorigen Jahr, als in unserer Flotte Zustände herrschten, die zu den großen Meutereien bei Spithead und in der Themseflotte führten.«[4]

Farquhar sah auf seine Manschetten nieder:»Sie hätten tausend von diesen Teufeln hängen sollen, nicht bloß 'ne Handvoll!»

Bolitho warf ihm einen kalten Blick zu.»Wenn man vorher etwas mehr an die berechtigten Bedürfnisse der Matrosen gedacht hätte, dann wären vielleicht überhaupt keine Strafen nötig gewesen!»

Farquhar lächelte unbekümmert.»Verstehe, was Sie meinen,

Sir.»

Bolitho blickte auf seine durcheinandergeratenen Papiere nieder, um sich nichts anmerken zu lassen. Er hätte gar nicht auf Farquhars Scharfmacherei eingehen sollen.

«Unsere Aufgabe ist zunächst«, fuhr er fort,»zu erkunden, wie die Vorbereitungen der Franzosen im Golfe du Lyon vorangehen. Und zwar in Toulon, Marseille und anderen Häfen, in denen wir

Feindtätigkeit beobachten können. «Er blickte jedem einzelnen ins Gesicht.»Unsere Flotte ist weit auseinandergezogen. Auf keinen Fall darf der Feind eine Möglichkeit erhalten, sie so zu zerstreuen, daß er sie Schiff um Schiff vernichten kann. Andererseits wäre es sinnlos, eine große Flotte am einen Ende des Ozeans zu stationieren, während der Feind sich am anderen aufhält. Aufspüren, stellen, in ein Gefecht verwickeln — anders geht es nicht.»

«Mein Schiff ist unsere einzige Fregatte, Sir«, warf Javal düster dazwischen.

«Ist das eine Feststellung oder eine Beschwerde?»

Javal zuckte die Achseln.»Ein chronisches Übel, Sir.»

Probyn sah erst ihn und dann Farquhar auf seine schnelle, verstohlene Art an.»Ein großes Risiko. Und wenn wir auf überlegene Verbände stoßen, haben wir keine Unterstützung.»

«Aber zumindest wissen wir dann, wo sie sind, mein lieber George«, erwiderte Farquhar kühl.

«Die Lage ist ernst«, mahnte Herrick.

«Offenbar«, erwiderte Farquhar mit blitzenden Augen.»Also wollen wir sie auch ernsthaft angehen.»

«Eins ist jedenfalls sicher«, sagte Bolitho, und aller Augen wandten sich ihm wieder zu,»wir müssen gut abgestimmt operieren. Wie Sie über den Sinn dieser Befehle denken, ist mir gleich, wir müssen sie jedenfalls in Taten umsetzen. Und sie so ausführen, daß die Flotte und das Land den größtmöglichen Nutzen davon haben.»

«Der Ansicht bin ich auch, Sir«, nickte Farquhar.

Die anderen blieben stumm.

«Nun gehen Sie bitte wieder an Bord Ihrer Schiffe und unterrichten Sie Ihre Leute über unsere Aufgabe. Und heute abend bitte ich Sie, bei mir zu speisen.»

Im Aufstehen überlegten bereits alle, wie sie seine Worte ihren Untergebenen beibringen konnten. Wie Bolitho würde jeder von ihnen, mit Ausnahme von Inch, erst einmal an Bord allein sein wollen, um sich auf das einzustellen, was auf ihn zukam. Aber viel Zeit blieb ihnen nicht. Er mußte jeden einzelnen besser kennenlernen; wenn die Lysander ein Signal setzte, mußte jeder Kommandant die Gedanken des Mannes lesen können, von dem es kam.

Einer nach dem anderen verabschiedete sich. Probyn ging als letzter; das hatte Bolitho vorher gewußt.

«Schön, Sie wiederzusehen, Sir«, sagte er verlegen.»Damals, das waren tolle Zeiten. Ich habe immer gewußt, daß Sie Erfolg haben, berühmt werden. «Seine Blicke schossen in der Kajüte umher.»Ich hatte weniger Glück, aber meine Schuld war es nicht. Wenn man keine Verbindungen hat. «Er vollendete den Satz nicht.

«Es macht mir meine Aufgabe leichter, daß ich alte Freunde um mich habe«, antwortete Bolitho lächelnd.

Als die Tür sich geschlossen hatte, schritt Bolitho langsam zu dem Weinschrank aus massivem Mahagoni, den er aus London mitgebracht hatte. Es war ein sehr schönes Stück, ein Meisterwerk des Tischlers, wovon jede Fläche und jede Fuge zeugte.

Er starrte den Schrank immer noch an, als Herrick, der die anderen Kommandanten zur Fallreepspforte begleitet hatte, zurückkam.

«Das ging ja ganz gut«, sagte der Flaggkapitän mit einem kleinen Seufzer. Dann sah er den Schrank und stieß einen leisen Pfiff aus.»Das ist aber ein wunderschönes Stück!»

«Ein Geschenk«, lächelte Bolitho,»und oft nützlicher als viele andere Geschenke, Thomas.»

Herrick sah sich den Schrank genau an.»Ihr Neffe ist draußen, Sir«, sagte er dann.»Ich habe die Geschichte bereinigt. Er macht Extradienst, damit er nicht wieder auf dumme Gedanken kommt. Aber ich dachte, Sie würden ihn sprechen wollen. «Bewundernd strich Herrick über das polierte Holz.»Von wem haben Sie dieses schöne Stück, wenn ich fragen darf?»

«Von Mrs. Pareja«, antwortete Bolitho.»Sie werden sich noch an sie erinnern.»

Erstaunt sah er, wie ein Schleier über Herricks Augen fiel.»Jawohl, Sir«, erwiderte er knapp.»Sehr gut sogar.«»Was ist denn, Mann?»

Herrick sah ihm offen ins Gesicht.»Jedesmal, wenn ein Schiff aus England kam, gab es Gerede — Klatsch, wenn Sie wollen. Zum Beispiel darüber, daß Sie mit dieser Dame in London eine Affäre hatten.»

Verblüfft starrte Bolitho ihn an.»Mein Gott, Thomas, das sieht Ihnen aber gar nicht ähnlich.»

Doch Herrick gab nicht auf.»Das war nämlich der Grund, weshalb Ihr Neffe mit dem anderen Leutnant die Waffen kreuzte. Einen Ehrenhandel nennt man das wohl.»

Bolitho sah zur Seite. Und er hatte gedacht, es hätte etwas mit Adam Pascoes Herkunft zu tun gehabt, mit seinem toten Vater, dem Verräter und Renegaten.

«Danke, daß Sie es mir gesagt haben.»

«Einer mußte es ja tun, Sir. «Herricks blaue Augen blickten beschwörend.»Sie haben so viel für uns alle getan; ich will nicht, daß wegen einer.»

«Ich habe Ihnen dafür gedankt, daß Sie es mir gesagt haben, Thomas. Nicht für Ihre Meinung über die Dame.»

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4

siehe Kent: Der Stolz der Flotte