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Sonnengedörrte, erschöpfte Männer waren schon unter günstigen Umständen kaum eine geeignete Schleppmannschaft für die schwere Hyperion. Ihre etwa sechzehnhundert Tonnen schienen mit den winzigen Booten, die an ihrem mächtigen Bug zerrten, zu spielen wie ein Junge, der ein paar Maikäfer am Faden hat. Und dann, als schon einer der Kutter zurückgefallen war, weil die Ruderer auf die Schläge und Drohungen des verzweifelten Midshipman einfach nicht mehr reagierten, war die Leinwand plötzlich ins Zittern geraten; müde und ungläubig hatten die Männer auf die Segel und das wie von Katzenpfoten gekräuselte, plötzlich lebendig gewordene Wasser gestarrt. Als es Abend und Nacht wurde, fand das Schiff allmählich seine Kraft wieder, und ein auffrischender Nordwest führte es vorwärts und um die ferne Küstenlinie herum.

Sobald es völlig Nacht geworden war, hatten sie Segel gekürzt und waren immer näher an diesen mächtigen Block tieferer Finsternis herangekreuzt, hinter dem der geschützte Hafen von St. Clar lag.

Jetzt wartete er dort vorn, wie verloren unter den Sternen und vor dem welligen Bergland dahinter. Es gab weder Hafenlichter noch Leuchtfeuer, und mehr als einmal hatte ein nervöser Ausguck ein kleines Fahrzeug auf Gegenkurs gemeldet; aber es waren immer nur irgendwelche dunklere Schatten in der Strömung gewesen, die ihn getäuscht hatten — eine schlimme Nervenprobe für ihn und die ganze Mannschaft.

Bolitho stützte die Hände auf die Reling und blickte starr in die Dunkelheit. Er konnte es nicht lassen, immer wieder darüber nachzudenken, was er getan hatte; und während die Minuten vergingen, kam zu seiner inneren Unsicherheit noch die wachsende verzweifelte Spannung hinzu.

Er hatte Leutnant Charlois gestattet, in der Jolle an Land zu gehen und mit seinen Freunden in St. Clar Kontakt aufzunehmen. Die Erfolgschancen dieses skizzenhaften Planes waren von vornherein gering, und Bolitho quälte sich mit Zweifeln und Erwägungen darüber, was er noch hätte tun können, um ihm wenigstens etwas mehr Aussichten zu geben. Es war kein Trost, daß er noch alle französischen Gefangenen an Bord hatte. Ohne Wasser konnte er sich ebensogut der Garnison von St. Clar ergeben oder sein Schiff vor der Küste versenken.

Er dachte auch an Leutnant Inchs aufgeregtes Pferdegesicht, als er ihm den Befehl über die kleine Besatzung der Jolle erteilt hatte. Inch war ein sehr diensteifriger und mutiger Offizier, aber in solchen Dingen fehlte ihm jede Erfahrung; und Bolitho wußte, daß er ihn im Grunde nur deshalb abkommandiert hatte, weil er der jüngste Leutnant und daher am entbehrlichsten war, wenn Charlois sich für Verrat statt für Unterhandlungen entscheiden sollte.

Plötzlich fiel ihm Midshipman Seton ein. Merkwürdig, daß dieser sich freiwillig gemeldet hatte, Inch zu begleiten, und noch merkwürdiger, daß Bolitho irgend etwas fehlte, weil Seton nicht an Bord war. Aber wenn der Junge auch furchtbar stotterte — etwas konnte er besser als jeder andere an Bord: er sprach fließend französisch.

Quarme tauchte neben ihm auf.»Haben Sie Befehle, Sir?»

Bolitho starrte mit zusammengekniffenen Augen auf den fernen Landbuckel und versuchte, sich daran zu erinnern, wie er auf der Seekarte aussah.»Gehen Sie auf Steuerbordbug, Mr. Quarme.»

Quarme zögerte.»Da geraten wir aber sehr dicht unter Land,

Sir.»

Bolitho sah an ihm vorbei.»Beordern Sie zwei gute Lotgasten in die Rüsten. Wir müssen der Jolle jede mögliche Chance geben.»

Er vernahm die Geräusche beim Dichtholen der Brassen und das Gurgeln der See am Ruder. Wozu das alles? Wenn Inch bereits gefangengenommen war, bedeutete es nur eine Verlängerung der Qual. Mit der Morgensonne würde die Katastrophe kommen. Das Ende.

Ein Aufklatschen draußen, und die dröhnende Stimme des Lotgasten:»Zwanzig Faden!»

Unter den Finknetzen bewegte sich etwas; er sah den kleinen, af-fengesichtigen Midshipman Piper auf Zehenspitzen zum Land hinüberspähen. Merkwürdig, wie er und Seton sich angefreundet hatten. Der kecke, unbekümmerte Piper und der nervöse, stotternde Seton. Aber an den gespannten Bewegungen Pipers merkte Bolitho, wie eng ihre Freundschaft geworden war.

«. und vierzehn dreiviertel«, sang der Lotgast aus, und Bolitho empfand das wie Spott. Hinter diesem Landvorsprung gab es beträchtliche Untiefen. Hinter ihm knarrte das große Rad, und der Rudergast meldete:»Nordwest zu West, Sir, voll und bei!»

Quarme kam wieder zu ihm. Er war anscheinend sehr nervös.»Wenn dieser Wind abflaut, Sir, kommen wir vom Festland nicht klar.»

Bolitho wandte sich ihm in der Dunkelheit zu.»Das weiß ich so gut wie Sie, Mr. Quarme. Und sogar noch besser, denn die Verantwortung liegt bei mir.»

Quarme blickte zur Seite.»Entschuldigung, aber ich dachte.»

Er verstummte, als der Lotgast erschrocken ausrief:»Zehn Faden!»

Bolitho rieb sich das Kinn. Untiefen. Ein Wort nur, aber es war wie die Bestätigung der totalen Niederlage. Wie von fern hörte er sich sagen:»Wir gehen tiefer in die Bucht hinein. Wenn wir auf der anderen Seite sind, wird es hell, und dann.»

Er fuhr herum. Eine Stimme rief:»Boote Backbord querab, Sir!«Noch während er zu den Finknetzen rannte, schrie der Ausguck:»Drei, nein, vier Boote, Sir!»

Bolitho ergriff ein Teleskop und suchte die dunklen Wellen mit den hellen Sternenreflexen darauf ab. Der Kopf schmerzte ihm vor Konzentration. Und dann sah er sie, niedrige schwarze Gebilde mit Umrissen aus weißem Schaum.

«Mein Gott, die rudern aber!«stieß Rooke hervor.»Schwere Kutter, wie es scheint.»

Bolitho schob das Glas zusammen und reichte es Midshipman Caswell. Aber ehe er etwas sagen konnte, hörte er dicht an seinem Ohr Quarmes Stimme, scharf, eindringlich, kaum beherrscht.»Boote unter Langriemen, Sir! Das sind Rudergaleeren. Mein Gott, die kenne ich von Indien her. Sie haben ein großes Geschütz im Bug, rudern einem Schiff direkt unter den Bug und schießen es zu Kleinholz, ehe es manövrieren und zurückfeuern kann!»

Seine Stimme mußte bis an die andere Seite des Achterdecks gedrungen sein, denn Bolitho sah mehrere Gesichter sich zu ihm wenden und hörte plötzlich erschrockenes Gemurmel.

«Nicht so laut, Mr. Quarme! Wollen Sie, daß unsere Leute durchdrehen?»

Doch Quarme konnte sich anscheinend nicht mehr zurückhalten.»Ich wußte ja, daß so was passieren würde! Aber Sie wollten nicht hören! Ihnen geht es nur um Ihren eigenen Ruhm, alles andere ist Ihnen egal!«Er hatte jetzt sogar Tränen in der Stimme, schien weder zu wissen noch zu bedenken, was er da sagte.

«Seien Sie still, Mann!«fuhr Bolitho ihn an.»Nehmen Sie sich gefälligst zusammen!»

Messerscharf schnitt Rookes Stimme durch das Dunkel:»Ich habe alles gehört, Sir!«Die Boote schien er ganz vergessen zu haben. Und alles andere wohl auch, außer der Tatsache, daß Quarme nun dienstlich ein toter Mann war; Rookes Worte klangen wie ein Pistolenschuß.

Quarme fuhr herum und starrte ihn an; sein Körper wurde auf einmal ganz schlaff, und er schwankte mit dem Rollen des Schiffs wie ein Trunkener.

Es war wie ein lebendes Bild, eine Ansammlung regloser Statuen, ohne Einfluß auf das Kommende: Gossett, massig, unbeweglich neben dem Rad; die Geschützbedienungen neben den Neunpfün-dern des Achterdecks, geduckt und wachsam wie erschreckte Tiere. Caswell und Piper, sprachlos vor Schreck, und Rooke an der Reling, Hände auf den Hüften, den Kopf zur Seite geneigt, das Gesicht bleich vor dem Nachthimmel.

Als hätte die See selber gesprochen, durchbrach von unten her eine Stimme die Stille: «Hyperion ahoi! Bitte an Bord kommen zu dürfen!»

Bolitho wandte sich um. Das war Lieutenant Inch gewesen. Gelassen befahl er:»Beidrehen, bitte! Und signalisieren Sie Mr. Inch, daß er längsseit kommen kann. Öffnen Sie die Enternetze für ihn, aber passen Sie auf, falls die anderen irgendwelche Tricks vorhaben!»

Quarme erwachte aus seiner Trance und machte eine Bewegung, als wolle er die Order automatisch ausführen, auf Grund von Disziplin und Gewohnheit. Bolithos Worte jedoch ließen ihn erstarren.»Sie sind abgelöst, Mr. Quarme. Gehen Sie in Ihre Kajüte! Mr. Rooke, Sie übernehmen!»