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Gefolgt von einem Trupp bewaffneter Seeleute, ging Bolitho langsam an einigen von der Sonne gebleichten Holzgebäuden entlang, wobei sie sich vorsichtigerweise dicht an den Wänden hielten, um nicht von oben — absichtlich oder unabsichtlich — mit Unrat beworfen zu werden.

Er hörte Stockdales keuchenden Atem und das gelegentliche Klirren von Waffen, als sie jetzt zur Hauptanlegebrücke kamen. Menschen waren kaum zu sehen, obwohl hinter den geschlossenen Fensterläden Musik und grölende oder fluchende Stimmen zu hören waren.

Ein Haus hob sich dunkel gegen das strömende Wasser ab, vor der Tür standen Marinesoldaten Posten, und ein Unteroffizier ging auf und ab.

«Halt, wer da?»

«Offizier der Wache!»

«Ihren Ausweis!»

Es war immer dasselbe, obwohl die Marineinfanteristen die me i-sten Flottenoffiziere vom Sehen kannten.

Der Unteroffizier stand stramm.»Zwei Leute von der Vanquis-her, Sir. Betrunken und streitsüchtig.»

Bolitho ging durch ein paar Türen in eine größere Wachstube. Das Gebäude war einmal der Stadtsitz eines Teehändlers gewesen. Nun residierte die Marine darin.

«Sie scheinen sich jetzt ruhig zu verhalten, Sergeant.»

Der Unteroffizier grinste.»Aye, Sir, jetzt. «Er zeigte auf zwei schlaffe Körper in Eisen.»Wir mußten sie erst beruhigen.»

Bolitho setzte sich an einen zerkratzten Tisch und lauschte auf die Geräusche draußen — das Rattern von Rädern auf dem KopfSteinpflaster, das gelegentliche Kreischen einer Hure. Er blickte auf die Uhr. Kurz nach Mitternacht. Noch vier Stunden! In solchen Situationen sehnte er sich nach der Trojan, wenn er auch kurz vorher noch gewünscht hatte, frei von ihrer Routine zu sein.

Als die Flotte seinerzeit vor Staten Island angekommen war, hatte jemand diese Ansammlung von Schiffen als» schwimmendes London «beschrieben. Jetzt war dies schon zu selbstverständlich geworden, um noch erwähnt zu werden. Bolitho hatte zwei ihm flüchtig bekannte Offiziere von einer der Fregatten gesehen und ein paar Worte ihrer Unterhaltung aufgeschnappt, als sie in einem Spielsalon verschwanden.

. Auslaufen mit der Ebbe, nach Antigua mit Kurierpost. Was es doch bedeutete, frei zu sein, von diesem schwimmenden Durcheinander hier wegzukommen!

Der Unteroffizier erschien wieder und betrachtete ihn zweifelnd.»Ich habe einen Spitzel draußen, Sir. «Er deutete mit dem Daumen zur Tür.»Kenne ihn schon länger, ein Gauner, aber zuverlässig. Er behauptet, ein paar Leute seien von der Brigg Diamond desertiert, kurz bevor sie vorgestern auslief.»

Bolitho stand auf und griff nach seinem Dolch.»Was hat die Diamond hier gemacht?»

Der Unteroffizier grinste breit.»Keine Sorge, Sir. Sie hatte keinen Freibrief, brachte nur Stückgut von London.»

Bolitho nickte. Eine englische Brigg, das verhieß erfahrene Seeleute, Deserteure oder nicht.

«Bringen Sie den — äh — Spitzel herein.»

Der Mann war typisch für sein Gewerbe: klein, schmierig, hinterhältig. Sie waren in allen Häfen der Welt gleich, diese Besitzer von Absteigequartieren, die an die Preßkommandos Informationen über Seeleute verkauften, die angeblich greifbar waren.

«Nun?»

Der Mann jammerte:»Es ist doch nur meine Pflicht, Sir, des Königs Marine zu helfen.»

Bolitho musterte ihn kalt. Der Schurke sprach noch immer den Dialekt der Londoner Slums.»Wie viele?»

«Sechs, Sir!«Seine Augen glitzerten.»Feine, kräftige Kerle allesamt.»

Der Unteroffizier bemerkte beiläufig:»Sie stecken in Lucys Haus. «Er zog eine Grimasse.»Vermutlich inzwischen mit Syphilisblattern bis über die Augen besät.»

«Lassen Sie meine Leute antreten, Sergeant. «Bolitho versuchte, nicht an die dadurch entstehende Verzögerung zu denken. Wahrscheinlich wurde es nichts mehr mit Schlaf.

Der Gauner ließ sich vernehmen:»Kommen wir ins Geschäft,

Sir?»

«Nein. Du wartest hier. Kriegen wir die Leute, bekommst du dein Geld. Wenn nicht — «, er blinzelte den grinsenden Marineinfanteristen zu — ,»gibt es eine Tracht Prügel.»

Er trat hinaus in die Nacht und verfluchte insgeheim sowohl den Seelenverkäufer wie überhaupt diese erbärmliche Methode, Seeleute zu pressen. Trotz der Härte des Bordlebens meldeten sich viele Freiwillige, jedoch niemals genug, um die Verluste durch Tod oder Verwundung auszugleichen.

Stockdale fragte:»Wohin, Sir?»

«Zu Lucys Haus, dem Bordell.»

Einer der Seeleute kicherte.»Ich kenne es, Sir, bin schon dort gewesen.«»Dann führen Sie uns, vorwärts!»

Als sie in der engen, abschüssigen und übelriechenden Gasse angekommen waren, teilte Bolitho seinen Trupp in zwei Gruppen. Die meisten Leute der Stammbesatzung hatten schon an ähnlichen Aktionen teilgenommen, und selbst die gepreßten Leute machten mit, sobald sie sich einmal an ihr neues Leben gewöhnt hatten. Wenn ich dienen muß, warum nicht auch du? Dies schien ihre Maxime zu sein.

Stockdale war auf der Rückseite des Hauses verschwunden; das Messer hatte er im Gürtel stecken lassen und statt dessen einen Knüppel in der Hand.

Bolitho starrte auf die verschlossene Tür, hinter der er Stimmengewirr und trunkenen Gesang hörte. Er wartete noch ein wenig, dann zog er seinen Dolch und schlug mehrmals mit dem Knauf gegen die Tür, wobei er mit lauter Stimme rief:»Im Namen des Königs — öffnet!»

Drinnen hörte man Getrappel und unterdrückte Schreie, das Splittern von Glas und einen schweren Fall, als sei jemand, der zu fliehen versuchte, von Stockdales Knüppel getroffen worden.

Plötzlich sprang die Tür auf, aber an Stelle der erwarteten Menschenmenge sah sich Bolitho einer Riesin gegenüber, vermutlich der berüchtigten Lucy. Sie war so groß und breit wie ein Seebär und benutzte auch dieselben unflätigen Ausdrücke, als sie jetzt drohend die Faust erhob.

Lichter flammten ringsum auf, und aus den Fenstern beugten sich

Gestalten, die gierig auf die Szene herabstarrten und sehen wollten, wie Lucy die Marine in die Flucht schlug.

«Du pickeliger, grüner Lausejunge, wie kannst du behaupten, ich hätte hier Deserteure versteckt?«Sie stemmte die Arme in die Hüften und funkelte Bolitho wütend an.

Andere Frauen, einige halbnackt, hasteten die wackelige Treppe im Hintergrund herunter, um zu sehen, was sich abspielte. Ihre bemalten Gesichter glühten vor Aufregung.

«Ich tue meine Pflicht. «Bolitho widerte das höhnische und verächtliche Benehmen der Frau an.

Stockdale tauchte mit grimmiger Miene hinter ihr auf und keuchte:»Wir haben sie, Sir: Sechs, wie er gesagt hat.»

Bolitho nickte. Stockdale hatte also den hinteren Ausgang gefunden.

«Gut gemacht!«Mit plötzlichem Ärger fügte er hinzu:»Wenn wir schon hier sind, wollen wir uns doch gleich mal nach weiteren,unschuldigen' Bürgern umsehen.»

Lucy packte ihn unvermutet an den Rockaufschlägen und schürzte die Lippen, um ihm ins Gesicht zu spucken. Aber im nächsten Augenblick sah Bolitho nur nackte, strampelnde Beine und gewaltige Oberschenkel, als Stockdale die schreiende und fluchende Person die Stufen zur Straße hinunter trug. Ohne Umschweife steckte er ihren Kopf in einen Pferdetrog und hielt ihn mehrere Sekunden unter Wasser.

Als er sie losließ und sie taumelnd nach Atem rang, sagte er:»Wenn du noch einmal so zu dem Leutnant sprichst, meine Schöne, bekommst du meinen Dolch zwischen die Rippen, verstanden?«Dann nickte er Bolitho zu:»Alles in Ordnung, Sir!»

Dieser schluckte. Noch nie hatte er Stockdale so wütend erlebt.»Danke!«Er sah, wie sich seine Leute grinsend anstießen, und kämpfte um sein altes Selbstvertrauen.»Fangt an mit dem Durchsuchen!«Hinter ihm wurden die sechs Deserteure vorbeigeführt, einer von ihnen hielt sich den Kopf.

Aus einem Nachbarhaus schrie jemand:»Laßt sie doch laufen, ihr Stinktiere!»

Bolitho trat ein und besah sich die umgestürzten Stühle, leeren Flaschen und verstreuten Kleidungsstücke. Es sah eher aus wie in einem Gefängnis als wie in einem Freudenhaus.