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Bolitho zählte bis zehn und stieg dann ebenfalls hinauf, wo ihn ein spitznasiger Offizier mit einem Teleskop unterm Arm begrüßte, der ihn musterte, als sei er soeben einem Stück alten Käses entstiegen.

«Sie müssen nach achtern gehen, Sir. «Dabei zeigte er zur Schanze, wo Pears soeben in Gesellschaft des Flaggschiffkommandanten dem Schatten zustrebte.

Bolitho sah sich auf dem Achterdeck um, das dem der Trojan fast glich: Reihen festgezurrter Geschütze, die Taljen säuberlich belegt, das Tauwerk aufgeschossen auf den schneeweißen Decksplanken. Seeleute verrichteten ihre Arbeit, ein Fähnrich, das Glas auf eine einlaufende Brigg gerichtet, bewegte beim Entziffern ihrer Kennung lautlos die Lippen. Unten auf dem Batteriedeck stand ein Seemann neben einem Korporal der Marineinfanterie, während ein anderer Fähnrich einem Offizier Meldung machte. Wurde der Mann gleich zur Bestrafung abgeführt? Zur Beförderung oder zur Degradierung? Es war eine alltägliche Szene, die vielerlei bedeuten konnte. Bolitho seufzte. Wie auf der Trojan, und doch auch wieder völlig anders.

Er ging langsam weiter nach achtern und war überrascht, Musik und gedämpftes Lachen von Männern und Frauen zu hören. Sämtliche Trennwände waren entfernt, die Admiralsräume dadurch in einen großen Saal verwandelt worden. An den offenen Heckfenstern spielten ein paar Geiger mit großer Konzentration, und zwischen der dichtgedrängten Menge von Seeoffizieren, Zivilisten und Damen eilten Stewards in roten Jacken mit Tabletts voller Gläser hin und her, während andere an einem langen Büffet diese so rasch wie möglich nachfüllten.

Pears war in der Menge verschwunden; Bolitho nickte einigen Leutnants zu, die wie er nur stillschweigend geduldet waren.

Eine hohe Gestalt erschien aus dem Gedränge, und Bolitho erkannte Lamb, den Kommandanten der Resolute. Er war ein Mann mit ruhigem Blick und strengen Gesichtszügen, die sich aber völlig veränderten, wenn er lächelte.

«Sie sind Mr. Bolitho, nicht wahr?«Lamb streckte ihm die Hand entgegen.»Willkommen an Bord. Ich habe von Ihren Taten im März gehört und wollte Sie gern kennenlernen. Wir brauchen mutige Männer, die bereits erfahren haben, was Krieg bedeutet. Es ist eine harte Zeit, aber sie bietet jungen Leuten wie Ihnen große Chancen. Wenn der Augenblick kommt, packen Sie zu. Glauben Sie mir, Bolitho, eine Chance kommt selten zweimal.»

Bolitho dachte an den schnittigen Schoner, an die plumpe Thrush. Seine Chance war schon gekommen und hatte ihn gleich wieder übergangen.

«Ich werde Sie dem Admiral vorstellen. «Lamb bemerkte Bo-lithos Ausdruck und lachte.»Er wird Sie nicht auffressen!»

Gedränge, gerötete Gesichter, laute Stimmen. Es war schwer, sich vorzustellen, daß der Krieg nur ein paar Meilen entfernt tobte. Bolitho sah mächtige blaue Schultern und einen goldberänderten Kragen: schwerfällig, plump. Eine Enttäuschung.

Aber der Kommandant schob den schwergewichtigen Mann beiseite und enthüllte eine schlanke Gestalt, die dem Dicken allerdings nur knapp bis zur Schulter reichte.

Konteradmiral Graham Coutts sah eher wie ein Leutnant als wie ein Flaggoffizier aus. Sein dunkelbraunes Haar trug er im Nacken lose zusammengebunden. Er hatte ein junges Gesicht, faltenlos und ohne die Maske der Autorität, die man sonst so oft zu sehen bekam.

Der Admiral streckte die Hand aus.»Bolitho, nicht wahr?«Er nickte und lächelte gewinnend.»Ich bin stolz, Sie kennenzulernen. «Dann winkte er einem Steward nach Wein und fuhr leichthin fort:»Ich weiß alles über Sie und vermute, wenn Sie diesen Bootsangriff geführt hätten, wäre die Brigantine möglicherweise in unsere Hand gefallen!«Er lächelte.»Auf alle Fälle zeigt es, was man leisten kann, wenn der Wille da ist.»

Eine elegante Erscheinung in blauem Samtanzug löste sich aus einer lauten Gruppe bei der Heckgalerie, und der Admiral erklärte:

«Sehen Sie diesen Herrn dort, Bolitho? Das ist Sir George Helpman aus London. «Seine Lippen schürzten sich ein wenig.»Ein „Experte" für unsere Malaise hier, eine wichtige Persönlichkeit, auf die alle hören sollten.»

Plötzlich war er wieder Admiral.»Amüsieren Sie sich gut, Bo-litho, lassen Sie sich reichen, was Ihnen zusagt. Das Essen ist heute ausgezeichnet!»

Er wandte sich ab, und Bolitho sah, wie er den Mann aus London begrüßte, den er nicht sonderlich zu mögen schien. Sein Hinweis hatte fast wie eine Warnung geklungen, obwohl Bolitho nicht ganz einsah, was ein Leutnant wie er damit zu tun haben sollte.

Er dachte über Coutts nach, der keineswegs dem Bild entsprach, das er sich von ihm gemacht hatte. Schon jetzt empfand er für den Admiral Bewunderung und Loyalität, wenn er sich das auch nach diesen wenigen Minuten des Kennenlernens selbst noch nicht eingestehen wollte.

Es wurde schon dunkel, als die Gäste aufbrachen. Einige waren so betrunken, daß man sie in ihre Boote tragen mußte, andere torkelten mit gläsernem Blick allein zum Fallreep, vorsichtig jeden Schritt erzwingend, um sich keine Blöße zu geben.

Bolitho wartete und beobachtete vom Achterdeck, wie die Gäste hinuntergeleitet, einige auch mit Taljen über die Reling gehievt und in die längsseits liegenden Boote gefiert wurden.

Er kam an einer Kabine vorbei, deren nicht ganz geschlossene Tür einen kurzen Blick ins Innere ermöglichte. Eine kichernde Frau hatte die nackten Arme um den Hals eines Offiziers geschlungen, der ihr das Kleid abstreifte. Ihr Mann oder Begleiter lag womöglich betrunken in einem der Boote, dachte Bolitho und lächelte. War er schockiert, war er neidisch? Er wußte es selber nicht.

Ein Bootsmaat rief eifrig:»Ihr Kommandant kommt, Sir!»

«Aye. Rufen Sie das Boot. «Bolitho überprüfte den Sitz seines Degengurtes und rückte den Hut zurecht.

Pears erschien mit Kapitän Lamb. Sie schüttelten sich die Hände, dann folgte Pears Bolitho in ihr Boot.

Als es abgelegt hatte und in die starke Strömung hinaussteuerte, bemerkte Pears:»Widerlich, das Ganze!»

Drauf verfiel er in Schweigen und bewegte sich nicht, bis sie die erleuchteten Stückpforten der Trojan dicht vor sich hatten. Da erst sagte er abfällig:»Wenn das Diplomatie war, dann danke ich Gott, daß ich ein einfacher Seemann bin!»

Bolitho stand in dem schwankenden Boot neben Hogg, als Pears, der nach der Fallreepskette griff, ausrutschte. Bolitho glaubte ihn fluchen zu hören, war sich aber nicht ganz sicher. Dennoch fühlte er sich irgendwie ausgezeichnet durch Pears, der sich schon wieder vollkommen in der Gewalt hatte, wenn auch nur unter großer Anstrengung. Der Zwischenfall machte ihn menschlicher, als Bolitho ihn je erlebt hatte.

Pears scharfe Stimme kam von oben:»Stehen Sie nicht herum wie eine Salzsäule, Mr. Bolitho! Wenn Sie nichts zu tun haben, so müssen andere doch arbeiten!»

Bolitho blickte Hogg an und grinste. Das klang schon wieder mehr nach Pears.

Unter anderem gehörten die undankbaren Pflichten eines Wachoffiziers im Hafen zum Aufgabenbereich der Leutnants, wenn ihr Schiff in New York lag. Sie wurden dann für volle vierundzwanzig Stunden abgestellt und mußten unter anderem die zahlreichen Boote überwachen, die zwischen den Schiffen und den Anlegestellen verkehrten, damit keine feindlichen Agenten Gelegenheit zu Sabotage oder Spionage fanden. Ebenso mußten sie aufpassen, daß keine Deserteure in einer der vielen Hafenkneipen Unterschlupf suchten.

Seeleute, die an Land zu tun hatten, gerieten leicht in Versuchung, in einer Spelunke einzukehren; Betrunkene aber wurden festgenommen und auf ihre Schiffe zurücktransportiert, wo eine gute Tracht Schläge auf sie wartete.

Zwei Tage nach dem Besuch auf dem Flaggschiff hatte der Dritte Offizier der Trojan, Richard Bolitho, sich zur Verfügung des Hafenkommandanten zu halten. New York machte ihn nervös, diese Stadt, die nur darauf zu warten schien, daß etwas geschah, und zwar etwas Entscheidendes und Endgültiges. Hier herrschte ständig Bewegung. Flüchtlinge kamen aus dem Landesinneren, Menschen drängten sich vor den Regierungsgebäuden und suchten nach Angehörigen, andere wiederum brachen bereits auf, um das Land zu verlassen und nach England oder Kanada zu fliehen. Manche warteten auch darauf, vom Sieger reichen Lohn zu kassieren, gleichgültig, wer es auch sein würde. Nachts war New York ein gefährliches Pflaster, besonders in der übervölkerten Hafengegend mit ihren Kneipen, Bordells, Spielhöllen und billigen Absteigen. Alles war dort zu haben, wenn nur genügend Geld dafür geboten wurde.