„Vielleicht haben Sie die Tatsache nicht berücksichtigt, daß es sich bei dem Wesen, über dessen emotionale Ausstrahlung wir sprechen, um keinen Patienten handelt, Freundin Naydrad“, entgegnete Prilicla, wobei er sich so ausdrückte, daß es ihm als Empathen gerade noch möglich war, einem anderen Wesen mitzuteilen, es sei im Unrecht. „Und in diesem Fall stellt Doktor Conway das einem Patienten am meisten ähnelnde Wesen dar, da er sich um seine Zukunft sorgt und zu seiner Beruhigung eine Information über die emotionale Ausstrahlung Doktor O'Maras benötigt…“

Naydrads silbriges Fell sträubte sich und wogte; es zeigte somit an, daß die kelgianische Oberschwester antworten wollte. Doch in diesem Augenblick kam Dr. O'Mara aus dem Vorzimmer herein, und das Gespräch, das sich zu einer interessanten Diskussion über ethische Grundsätze hätte entwickeln können, fand ein vorzeitiges Ende.

Der Chefpsychologe nickte jedem der Reihe nach kurz zu und setzte sich in den einzigen weiteren physiologisch passenden Stuhl im Raum, nämlich in seinen eigenen.

In seiner typisch höhnischen Art sagte er: „Bevor ich Ihnen mitteile, warum ich gerade Sie vier gebeten hab, Major Fletcher zu begleiten, und Ihnen nähere Einzelheiten Ihres Auftrags mitteile, von denen Sie ohne Zweifel schon in ihren Grundzügen erfahren haben, muß ich Ihnen noch einige Hintergrundinformationen nichtmedizinischer Natur geben.

Das Problem, Leute wie Sie in dieses Thema einzuführen, besteht darin, daß ich es mir nicht leisten kann, Vermutungen über den Grad Ihrer Unkenntnis in Bereichen außerhalb Ihrer Spezialgebiete anzustellen. Falls Ihnen einige dieser Informationen zu elementar sein sollten, dann können Sie natürlich Ihren Gedanken freien Lauf lassen, jedenfalls solange ich Sie dabei nicht erwische.“

„Sie haben unsere ungeteilte Aufmerksamkeit, Freund O'Mara“, versicherte ihm Prilicla, der natürlich wußte, daß das eine Tatsache war.

„Jedenfalls vorläufig“, fügte Naydrad hinzu.

„Oberschwester Naydrad!“ platzte Major Fletcher heraus, dessen rot angelaufenes Gesicht in einem ausgesprochen unharmonischen Gegensatz zum Dunkelgrün seiner Uniform stand. „Sie sind einem ranghöheren Offizier gegenüber alles andere als respektvoll. Solch ein beleidigendes Benehmen werde ich auf meinem Schiff nicht dulden, und ich werde auch solch ein…“

O'Mara hob beschwichtigend die Hand. „Ich fühle mich nicht beleidigt, Major, und das sollten Sie sich auch nicht fühlen“, sagte er in ruhigem Ton.

„Bis jetzt haben Sie während Ihrer Laufbahn noch nie einen engen persönlichen Kontakt mit Extraterrestriern gehabt, und deshalb ist Ihr Irrtum verständlich. Er wird sich wahrscheinlich auch nicht wiederholen, sobald Sie erst einmal gelernt haben, die Gedankengänge und Verhaltensweisen der Wesen zu verstehen, mit denen Sie an diesem Projekt zusammenarbeiten werden.

Oberschwester Naydrad ist eine Kelgianerin“, fuhr O'Mara in einem für seine Verhältnisse recht freundlichen Ton fort, „eine raupenähnliche Lebensform, deren hervorstechendstes Merkmal ein den ganzen Körper überziehendes silbergraues Fell ist. Sie werden bereits bemerkt haben, daß Naydrads Fell in ständiger Bewegung ist, als ob es durch einen stetigen Wind zu Büscheln und kleinen Wellen geblasen würde. Das sind vollkommen unwillkürliche Bewegungen, die von ihren Gefühlsreaktionen auf äußere Reize gesteuert werden. Die evolutionären Gründe für diesen Mechanismus sind nicht ganz klar, nicht einmal den Kelgianern selbst, doch es wird allgemein angenommen, daß der emotional ausdrucksfähige Pelz den kelgianischen Sprechapparat ergänzt, dem eine gewisse Flexibilität des Tonfalls fehlt. Sie müssen jedenfalls begreifen, daß die Bewegungen des Fells einem zweiten Kelgianer vollkommen klarmachen, was der erste bei dem Gesprächsthema empfindet. Deshalb sagen die Kelgianer immer genau das, was sie meinen; denn was sie denken, ist ganz offensichtlich — wenigstens für einen anderen Artgenossen. Sie können einfach nicht anders handeln. Im Gegensatz zu Doktor Prilicla, der immer freundlich ist und manchmal die Wahrheit zurechtstutzt und die unangenehmeren Fakten für sich behält, wird Schwester Naydrad ohne Rücksicht auf Ihren Rang und Ihre Gefühle stets die Wahrheit sagen. Sie werden sich bald daran gewöhnen, Major.

Aber eigentlich hatte ich nicht vor, einen Vortrag über Kelgianer zu halten. Vielmehr hatte ich vor, kurz über die Entstehung dessen zu sprechen, was jetzt die galaktische Föderation genannt wird…“

Auf dem Instruktionsschirm hinter ihm erschien plötzlich eine dreidimensionale Darstellung der galaktischen Doppelspirale mit ihren wichtigsten stellaren Eigenschaften und die Ausläufer einer benachbarten Galaxis, deren Entfernung man nicht einmal schätzen konnte. Während sie den Erläuterungen O'Maras zuhörten, erschien nah am Rand der Milchstraße eine kurze, helle Linie aus gelbem Licht, dann eine weitere, schließlich noch eine — die Verbindungen zwischen der Erde und den frühen Erdkolonien und den Systemen von Orligia und Nidia, den ersten extraterrestrischen Kulturen, mit denen man in Kontakt getreten war. Ein weiteres Bündel gelber Linien erschien und bezeichnete die Welten, die vom Planeten Traltha aus kolonialisiert oder kontaktiert worden waren.

Mehrere Jahrzehnte hatten vergehen müssen, bevor sich Orligianer, Nidianer, Tralthaner und Menschen ihre Planeten gegenseitig zugänglich gemacht hatten — zu jener Zeit neigten nämlich sämtliche beteiligten Wesen zu Mißtrauen, was in einem Fall sogar zu einem Krieg führte —, doch in diesem Bild wurde die verstrichene Zeit genauso wie die Entfernung komprimiert dargestellt.

Das Flechtwerk goldener Linien wurde rasch dichter, als zuerst Kontakte und dann Handelsbeziehungen mit den hochentwickelten und stabilen Kulturen von Kelgia, Illensa, Hudlar, Melf und deren eventuell vorhandenen angeschlossenen Kolonien aufgenommen wurden. Optisch gesehen handelte es sich dabei um keine geordnete Entwicklung. Die Linien schossen nach innen zum galaktischen Zentrum, kehrten wieder an den Rand zurück, bewegten sich zwischen Zenit und Nadir, und sprangen sogar mitten durch den intergalaktischen Raum, um sich mit den Planeten der Ianer zu verbinden, obwohl es in diesem Fall die Ianer gewesen waren, die mit den Reisen angefangen hatten. Als die Linien die Planeten der galaktischen Föderation verbanden, also die Planeten, von denen bekannt war, daß sie intelligentes und auf ihre eigene, manchmal recht eigentümliche Weise technisch und philosophisch hochentwickeltes Leben beheimateten, resultierte daraus ein unordentliches gelbes Gekritzel, das einer Kreuzung zwischen einem DNS-Molekül und einem Brombeerstrauch ähnelte.

„…nur ein winziger Bruchteil der Galaxis ist von uns oder einer der anderen Spezies der Föderation erforscht worden“, fuhr O'Mara fort.

„Und wir befinden uns in der Lage eines Menschen, der zwar Freunde in entfernten Ländern hat, aber keine Ahnung davon, wer bei ihm um die Ecke wohnt. Der Grund dafür ist, daß sich Reisende öfter treffen als Leute, die zu Hause bleiben, besonders dann, wenn diese Reisenden ihre Adressen austauschen und sich regelmäßig treffen…“

Vorausgesetzt, es traten unterwegs keine störenden Einflüsse auf, und die genauen Zielkoordinaten waren bekannt, dann war es wirklich genauso einfach, durch den Subraum zu einem benachbarten Sonnensystem zu reisen wie zu einem Planeten am anderen Ende der Galaxis. Aber man mußte erst einmal ein bewohntes Sonnensystem entdecken, bevor man dessen Koordinaten ins Logbuch eintragen konnte, und das erwies sich als eine nicht ganz leichte Aufgabe.

Es dauerte sehr lange, bis man wenigsten ein paar der kleineren weißen Flecken auf den Sternkarten eingetragen und erkundet hatte, allerdings mit nur wenig Erfolg. Wenn die Aufklärungsschiffe einen Stern mit Planeten fanden, war das schon an sich eine seltene Entdeckung — und eine noch seltenere, wenn auf dem Planeten Leben existierte. Und falls sogar eine der einheimischen Lebensformen intelligent war, dann fegte eine Welle des Jubels über die Planeten der Föderation hinweg, allerdings stets verbunden mit der Sorge, ob der Pax Galactica durch diese Aliens nicht möglicherweise bedroht sein könnte. Man sandte Spezialisten des Monitorkorps aus, um die knifflige, zeitraubende und oft gefährliche Arbeit zu verrichten, um erste Kontakte zu knüpfen und diese später zu vertiefen.