324.

Philosophie der Schauspieler. — Es ist der beglückende Wahn der grossen Schauspieler, dass es den historischen Personen, welche sie darstellen, wirklich so zu Muthe gewesen sei, wie ihnen bei ihrer Darstellung, — aber sie irren sich stark darin: ihre nachahmende und errathende Kraft, die sie gerne für ein hellseherisches Vermögen ausgeben möchten, dringt nur gerade tief genug ein, um Gebärden, Töne und Blicke und überhaupt das Ausserliche zu erklären; das heisst, der Schatten von der Seele eines grossen Helden, Staatsmannes, Kriegers, Ehrgeizigen, Eifersüchtigen, Verzweifelnden wird von ihnen erhascht, sie dringen bis nahe an die Seele, aber nicht bis in den Geist ihrer Objecte. Das wäre freilich eine schöne Entdeckung, dass es nur des hellseherischen Schauspielers bedürfe, statt aller Denker, Kenner, Fachmänner, um in's Wesen irgend eines Zustandes hinabzuleuchten! Vergessen wir doch nie, sobald derartige Anmaassungen laut werden, dass der Schauspieler eben ein idealer Affe ist und so sehr Affe, dass er an das» Wesen «und das» Wesentliche «gar nicht zu glauben vermag: Alles wird ihm Spiel, Ton, Gebärde, Bühne, Coulisse und Publicum.

325.

Abseits leben und glauben. — Das Mittel, um der Prophet und Wundermann seiner Zeit zu werden, gilt heute noch wie vor Alters: man lebe abseits, mit wenig Kenntnissen, einigen Gedanken und sehr viel Dünkel, — endlich stellt sich der Glaube bei uns ein, dass die Menschheit ohne uns nicht fortkommen könne, weil wir nämlich ganz ersichtlich ohne sie fortkommen. Sobald dieser Glaube da ist, findet man auch Glauben. Zuletzt ein Rath für Den, der ihn brauchen mag (er wurde Wesley von seinem geistlichen Lehrer Böhler gegeben):»Predige den Glauben, bis du ihn hast, und dann wirst du ihn predigen, weil du ihn hast!«—

326.

Seine Umstände kennen. — Unsere Kräfte können wir abschätzen, aber nicht unsere Kraft. Die Umstände verbergen und zeigen uns dieselbe nicht nur, — nein! sie vergrössern und verkleinern sie. Man soll sich für eine variable Grösse halten, deren Leistungsfähigkeit unter Umständen der Begünstigung vielleicht der allerhöchsten gleichkommen kann: man soll also über die Umstände nachdenken und keinen Fleiss in deren Beobachtung scheuen.

327.

Eine Fabel. — Der Don Juan der Erkenntniss: er ist noch von keinem Philosophen und Dichter entdeckt worden. Ihm fehlt die Liebe zu den Dingen, welche er erkennt, aber er hat Geist, Kitzel und Genuss an Jagd und Intriguen der Erkenntniss — bis an die höchsten und fernsten Sterne der Erkenntniss hinauf! — bis ihm zuletzt Nichts mehr zu erjagen übrig bleibt, als das absolut Wehethuende der Erkenntniss, gleich dem Trinker, der am Ende Absinth und Scheidewasser trinkt. So gelüstet es ihn am Ende nach der Hölle, — es ist die letzte Erkenntniss, die ihn verführt. Vielleicht, dass auch sie ihn enttäuscht, wie alles Erkannte! Und dann müsste er in alle Ewigkeit stehen bleiben, an die Enttäuschung festgenagelt und selber zum steinernen Gast geworden, mit einem Verlangen nach einer Abendmahlzeit der Erkenntniss, die ihm nie mehr zu Theil wird! — denn die ganze Welt der Dinge hat diesem Hungrigen keinen Bissen mehr zu reichen.

328.

Worauf idealistische Theorien rathen lassen. — Man trifft die idealistischen Theorien am sichersten bei den unbedenklichen Praktikern; denn sie brauchen deren Lichtglanz für ihren Ruf. Sie greifen darnach mit ihren Instincten und haben gar kein Gefühl von Heuchelei dabei: so wenig ein Engländer mit seiner Christlichkeit und Sonntagsheiligung sich als Heuchler fühlt. Umgekehrt: den beschaulichen Naturen, welche sich gegen alles Phantasiren in Zucht zu halten haben und auch den Ruf der Schwärmerei scheuen, genügen allein die harten realistischen Theorien: nach ihnen greifen sie mit der gleichen instinctiven Nöthigung, und ohne ihre Ehrlichkeit dabei zu verlieren.

329.

Die Verleumder der Heiterkeit. — Tief vom Leben verwundete Menschen haben alle Heiterkeit verdächtigt, als ob sie immer kindlich und kindisch sei und eine Unvernunft verrathe, bei deren Anblick man nur Erbarmen und Rührung empfinden könne, wie wenn ein dem Tode nahes Kind auf seinem Bette noch seine Spielsachen liebkost. Solche Menschen sehen unter allen Rosen verborgene und verhehlte Gräber; Lustbarkeiten, Getümmel, fröhliche Musik erscheint ihnen wie die entschlossene Selbsttäuschung des Schwerkranken, der noch einmal eine Minute den Rausch des Lebens schlürfen will. Aber dieses Urtheil über die Heiterkeit ist nichts Anderes, als deren Strahlenbrechung auf dem düsteren Grunde der Ermüdung und Krankheit: es ist selber etwas Rührendes, Unvernünftiges, zum Mitleiden Drängendes, ja sogar etwas Kindliches und Kindisches, aber aus jener zweiten Kindheit her, welche dem Alter folgt und dem Tode voranläuft.

330.

Noch nicht genug! — Es ist noch nicht genug, eine Sache zu beweisen, man muss die Menschen zu ihr auch noch verführen oder zu ihr erheben. Desshalb soll der Wissende lernen, seine Weisheit zu sagen: und oft so, dass sie wie Thorheit klingt!

331.

Recht und Gränze. — Der Asketismus ist für Solche die rechte Denkweise, welche ihre sinnlichen Triebe ausrotten müssen, weil dieselben wüthende Raubthiere sind. Aber auch nur für Solche!

332.

Der auf geblasene Stil. — Ein Künstler, der sein hochgeschwollenes Gefühl nicht im Werke entladen und sich so erleichtern, sondern vielmehr gerade das Gefühl der Schwellung mittheilen will, ist schwülstig und sein Stil ist der aufgeblasene Stil.

333.

«Menschlichkeit«. — Wir halten die Thiere nicht für moralische Wesen. Aber meint ihr denn, dass die Thiere uns für moralische Wesen halten? — Ein Thier, welches reden konnte, sagte:»Menschlichkeit ist ein Vorurtheil, an dem wenigstens wir Thiere nicht leiden.»

334.

Der Wohlthätige. — Der Wohlthätige befriedigt ein Bedürfniss seines Gemüths, wenn er wohlthut. Je stärker dieses Bedürfniss ist, um so weniger denkt er sich in den Anderen hinein, der ihm dient, sein Bedürfniss zu stillen, er wird unzart und beleidigt unter Umständen. (Diess sagt man der jüdischen Wohlthätigkeit und Barmherzigkeit nach: welche bekanntlich etwas hitziger ist, als die anderer Völker.)

335.

Damit Liebe als Liebe gespürt werde. — Wir haben nöthig, gegen uns redlich zu sein und uns sehr gut zu kennen, um gegen Andere jene menschenfreundliche Verstellung üben zu können, welche Liebe und Güte genannt wird.

336.

Wessen sind wir fähig? — Einer war durch seinen ungerathenen und boshaften Sohn den ganzen Tag so gequält worden, dass er ihn Abends erschlug und aufathmend zur übrigen Familie sagte:»So! nun können wir ruhig schlafen!«— Was wissen wir, wozu uns Umstände treiben könnten.

337.

«Natürlich«. — In seinen Fehlern wenigstens natürlich zu sein, — ist vielleicht das letzte Lob eines künstlichen und überall sonst schauspielerischen und halbächten Künstlers. Ein solches Wesen wird deshalb gerade seine Fehler keck herauslassen.

338.

Ersatz-Gewissen. — Der eine Mensch ist für den anderen sein Gewissen: und diess ist namentlich wichtig, wenn der andere sonst keines hat.

339.

Verwandlung der Pflichten. — Wenn die Pflicht aufhört, schwer zu fallen, wenn sie sich nach langer Übung zur lustvollen Neigung und zum Bedürfniss umwandelt, dann werden die Rechte Anderer, auf welche sich unsere Pflichten, jetzt unsere Neigungen beziehen, etwas Anderes: nämlich Anlässe zu angenehmen Empfindungen für uns. Der Andere wird vermöge seiner Rechte von da an liebenswürdig (anstatt ehrwürdig und furchtbar, wie vordem). Wir suchen unsere Lust, wenn wir jetzt den Bereich seiner Macht anerkennen und unterhalten. Als die Quietisten keine Last mehr an ihrem Christenthume hatten und in Gott nur ihre Lust fanden, nahmen sie ihren Wahlspruch» Alles zur Ehre Gottes!«an: was sie auch immer in diesem Sinne thaten, es war kein Opfer mehr; es hiess so viel als» Alles zu unserm Vergnügen!«Zu verlangen, dass die Pflicht immer etwas lästig falle — wie es Kant thut — heisst verlangen, dass sie niemals Gewohnheit und Sitte werde: in diesem Verlangen steckt ein kleiner Rest von asketischer Grausamkeit.