Ein Vorschlag. — Wenn unser Ich, nach Pascal und dem Christenthume, immer hassenswerth ist, wie dürften wir es auch nur gestatten und annehmen, dass Andre es liebten — sei es Gott oder Mensch! Es wäre wider allen guten Anstand, sich lieben zu lassen und dabei recht wohl zu wissen, dass man nur Hass verdiene, — um von anderen, abwehrenden Empfindungen zu schweigen. — »Aber diess ist eben das Reich der Gnade.«— So ist euch eure Nächstenliebe eine Gnade? Euer Mitleid eine Gnade? Nun, wenn euch diess möglich ist, so thut noch einen Schritt weiter: liebt euch selber aus Gnade, — dann habt ihr euren Gott gar nicht mehr nöthig, und das ganze Drama von Sündenfall und Erlösung spielt sich in euch selber zu Ende!
Der mitleidige Christ. — Die Kehrseite des christlichen Mitleidens am Leiden des Nächsten ist die tiefe Beargwöhnung aller Freude des Nächsten, seiner Freude an Allem, was er will und kann.
Humanität des Heiligen. — Ein Heiliger war unter die Gläubigen gerathen und konnte ihren beständigen Hass auf die Sünde nicht mehr aushalten. Zuletzt sagte er:»Gott hat alle Dinge geschaffen, nur die Sünde nicht: was Wunder, dass er ihr nicht gewogen ist? — Aber der Mensch hat die Sünde geschaffen — und er sollte diess sein einziges Kind verstossen, blos weil es Gott, dem Grossvater der Sünde, missfällt! Ist das human? Alle Ehre Dem, dem Ehre gebührt! — aber Herz und Pflicht sollten doch zuerst für das Kind sprechen — und zuzweit erst für die Ehre des Grossvaters!»
Der geistliche Überfall. — »Das musst du mit dir selber ausmachen, denn es gilt dein Leben, «mit diesem Zurufe springt Luther heran und meint, wir fühlten uns das Messer an den Hals gelegt. Wir aber wehren ihn mit den Worten eines Höheren und Bedachtsameren von uns ab:»Es steht bei uns, über Diess und Das keine Meinung zu bilden und so unsrer Seele die Unruhe zu ersparen. Denn die Dinge selbst können ihrer Natur nach uns keine Urtheile abnöthigen.»
Arme Menschheit! — Ein Tropfen Blut zu viel oder zu wenig im Gehirn kann unser Leben unsäglich elend und hart machen, dass wir mehr an diesem Tropfen zu leiden haben, als Prometheus an seinem Geier. Aber zum Schrecklichsten kommt es erst, wenn man nicht einmal weiss, dass jener Tropfen die Ursache ist. Sondern» der Teufel«! Oder» die Sünde«! —
Die Philologie des Christenthums. — Wie wenig das Christenthum den Sinn für Redlichkeit und Gerechtigkeit erzieht, kann man ziemlich gut nach dem Charakter der Schriften seiner Gelehrten abschätzen: sie bringen ihre Muthmaassungen so dreist vor wie Dogmen und sind über der Auslegung einer Bibelstelle selten in einer redlichen Verlegenheit. Immer wieder heisst es» ich habe Recht, denn es steht geschrieben — «und nun folgt eine unverschämte Willkürlichkeit der Auslegung, dass ein Philologe, der es hört, mitten zwischen Ingrimm und Lachen stehen bleibt und sich immer wieder fragt: ist es möglich! ist diess ehrlich? Ist es auch nur anständig? — Was in dieser Hinsicht immer noch auf protestantischen Kanzeln an Unredlichkeit verübt wird, wie plump der Prediger den Vortheil ausbeutet, dass ihm hier Niemand in's Wort fällt, wie hier die Bibel gezwickt und gezwackt und die Kunst des Schlecht-Lesens dem Volke in aller Form beigebracht wird: das unterschätzt nur Der, welcher nie oder immer in die Kirche geht. Zuletzt aber: was soll man von den Nachwirkungen einer Religion erwarten, welche in den Jahrhunderten ihrer Begründung jenes unerhörte philologische Possenspiel um das alte Testament aufgeführt hat: ich meine den Versuch, das alte Testament den Juden unter dem Leibe wegzuziehen, mit der Behauptung, es enthalte Nichts als christliche Lehren und gehöre den Christen als dem wahren Volke Israel: während die Juden es sich nur angemaasst hätten. Und nun ergab man sich einer Wuth der Ausdeutung und Unterschiebung, welche unmöglich mit dem guten Gewissen verbunden gewesen sein kann: wie sehr auch die jüdischen Gelehrten protestirten; überall sollte im alten Testament von Christus und nur von Christus die Rede sein, überall namentlich von seinem Kreuze, und wo nur ein Holz, eine Ruthe, eine Leiter, ein Zweig, ein Baum, eine Weide, ein Stab genannt wird, da bedeute diess eine Prophezeiung auf das Kreuzesholz: selbst die Aufrichtung des Einhorns und der ehernen Schlange, selbst Moses, wenn er die Arme zum Gebet ausbreitet, ja selbst die Spiesse, an denen das Passahlamm gebraten wird, — alles Anspielungen und gleichsam Vorspiele des Kreuzes! Hat diess jemals Jemand geglaubt, der es behauptete? Man erwäge, dass die Kirche nicht davor erschrak, den Text der Septuaginta zu bereichern (z. B. bei Psalm 961 V. 10), um die eingeschmuggelte Stelle nachher im Sinne der christlichen Prophezeiung auszunützen. Man war eben im Kampfe und dachte an die Gegner, und nicht an die Redlichkeit.
Feinheit im Mangel. — Spottet nur nicht über die Mythologie der Griechen, weil sie so wenig eurer tiefsinnigen Metaphysik gleicht! Ihr solltet ein Volk bewundern, das seinem scharfen Verstande hier gerade Halt gebot und lange Zeit Tact genug hatte, der Gefahr der Scholastik und des spitzfindigen Aberglaubens auszuweichen!
Die christlichen Interpreten des Leibes. — Was nur immer von dem Magen, den Eingeweiden, dem Herzschlage, den Nerven, der Galle, dem Samen herkomme — alle jene Verstimmungen, Entkräftungen, Überreizungen, die ganze Zufälligkeit der uns so unbekannten Maschine! — Alles das muss so ein Christ wie Pascal als ein moralisches und religiöses Phänomen nehmen, mit der Frage, ob Gott oder Teufel, ob gut oder böse, ob Heil oder Verdammniss darin ruhen! Oh über den unglücklichen Interpreten! Wie er sein System winden und quälen muss! Wie er sich selber winden und quälen muss, um Recht zu behalten!
Das sittliche Wunder. — Das Christenthum kennt im Sittlichen nur das Wunder: die plötzliche Veränderung aller Werthurtheile, das plötzliche Aufgeben aller Gewohnheiten, die plötzliche unwiderstehliche Neigung zu neuen Gegenständen und Personen. Es fasst dieses Phänomen als die Wirkung Gottes und nennt es den Act der Wiedergeburt, es giebt ihm einen einzigen unvergleichlichen Werth, — Alles, was sonst Sittlichkeit heisst und ohne Bezug zu jenem Wunder ist, wird dem Christen damit gleichgültig, ja vielleicht sogar, als Wohlgefühl, Stolzgefühl, ein Gegenstand der Furcht. Im neuen Testament ist der Kanon der Tugend, des erfüllten Gesetzes aufgestellt: aber so, dass es der Kanon der unmöglichen Tugend ist: die sittlich noch strebenden Menschen sollen sich im Angesichte eines solchen Kanons ihrem Ziele immer ferner fühlen lernen, sie sollen an der Tugend verzweifeln und sich endlich dem Erbarmenden an's Herz werfen, — nur mit diesem Abschlusse konnte das sittliche Bemühen bei einem Christen noch als werthvoll gelten, vorausgesetzt also, dass es immer ein erfolgloses, unlustiges, melancholisches Bemühen bleibe; so konnte es noch dazu dienen, jene ekstatische Minute herbeizuführen, wo der Mensch den Durchbruch der Gnade «und das sittliche Wunder erlebt: — aber nothwendig ist dieses Ringen nach Sittlichkeit nicht, denn jenes Wunder überfällt nicht selten gerade den Sünder, wenn er gleichsam vom Aussatze der Sünde blüht; ja, es scheint selber der Sprung aus der tiefsten und gründlichsten Sündhaftigkeit in ihr Gegentheil etwas Leichteres und, als sinnfälliger Beweis des Wunders, auch etwas Wünschbareres zu sein. — Was übrigens ein solcher plötzlicher vernunftloser und unwiderstehlicher Umschlag, ein solcher Wechsel von tiefstem Elend und tiefstem Wohlgefühl physiologisch zu bedeuten habe (ob vielleicht eine maskirte Epilepsie?), — das mögen die Irrenärzte erwägen, welche ja dergleichen» Wunder«(zum Beispiel als Mordmanie, Manie des Selbstmordes) reichlich zu beobachten haben. Der verhältnissmässig» angenehmere Erfolg «im Falle des Christen macht keinen wesentlichen Unterschied. —